Am schärfsten tritt die Kurzsichtigkeit von Friedrichs innerer Politik auf solchen Gebieten hervor, auf denen man gerade von ihm, dem Philosophen und Poeten, ein besseres Verständnis seiner Pflichten hätte erwarten sollen. Sein Vater war ein banausischer Verächter von Bildung und Wissenschaft, aber er hatte doch eine Ahnung davon, daß geistige Kenntnisse zur Hebung des Wohlstandes und damit zur Stärkung der Finanzen beitragen. Er gründete Militär- und Volksschulen; er führte die allgemeine Schulpflicht wenigstens auf dem Papier ein. Das wurde unter Friedrich anders und viel schlechter. Er kümmerte sich um die Volksschulen sehr wenig, so gut wie gar nicht, oder um das Ding beim richtigen Namen zu nennen: Er schlug sie einfach tot. Kurz vor dem Hubertusburger Frieden sandte er aus Sachsen, dem in seiner Art klassischen Lande des deutschen Schulwesens, acht Schullehrer nach Preußen, von denen vier in der Kurmark und vier in Hinterpommern angestellt wurden, aber dann verfügte der König, daß seine invaliden Soldaten die Schullehrerstellen erhalten sollten, so daß, »war der Vorgänger ein nur nicht ganz unwissender Mann, die Schüler unterrichteter waren als der in Waffen ergraute Lehrer«. Was alles den modernen Byzantinismus nicht gehindert hat, in Friedrich den »Heros der Aufklärung auf dem Gebiete des Schulwesens« zu feiern. Weber in seiner Weltgeschichte nennt den König so. Wir beschränken uns auf wenige Worte über die Volksschule unter Friedrich, da diese Seite seiner Regententätigkeit in der bekannten trefflichen Schrift von Seidel schon gründlich erörtert worden ist. Allerdings machte der König auf diesem Gebiete keinen Unterschied zwischen seinen glücklichen Untertanen. Um die Hochschulen stand es ebenso elend wie um die Volksschulen. Man braucht nur einen Blick auf die kläglichen Etats der vier Landesuniversitäten zu werfen. Duisburg hatte 5678, Königsberg 6920, Frankfurt a. O. 12648 und Halle 18116 Taler Einkünfte. Die Besoldungen der Professoren waren jammervoll, die wissenschaftlichen Institute fast durchweg im tiefsten Verfalle. Preuß, 3, 111 ff. und – ausführlicher – Martin Philippson, Geschichte des preußischen Staatswesens vom Tode Friedrichs des Großen bis zu den Freiheitskriegen, 1, 133 ff. Von diesem Werke sind nur die beiden ersten bis zum Tode Friedrich Wilhelms II. reichenden Bände erschienen; nach deren Veröffentlichung wurden dem Verfasser die preußischen Archive gesperrt – von wegen seiner Tendenz. Gegen diese Tendenz ist nun allerdings insofern manches einzuwenden, als sie eine einseitig preußisch-patriotische ist. Herr Philippson weiß von Friedrichs »wahrhaft sozialistischer Allsorgfalt« zu erzählen und steckt auch sonst voller Illusionen über die friderizianische Zeit. Aber ein Hofgeschichtsschreiber ist er nicht. Er beschönigt die häßlichen und traurigen Dinge, die er in den Akten findet, nicht geflissentlich, sondern teilt sie offen mit, auf daß die Gegenwart aus den Fehlern der Vergangenheit lerne. Und diese höchst veraltete Anschauung ist für die reine Wissenschaft des neuen Deutschen Reichs natürlich strafwürdige – Tendenz. Von dem einzigen Manne ersten Ranges unter den preußischen Universitätslehrern, von Kant in Königsberg, hat Friedrich nichts gewußt, wobei immerhin nicht vergessen werden darf, daß Kants epochemachendes Hauptwerk erst 1781 erschien und erst 1789, nach dem Tode Friedrichs, allgemein bekannt wurde. Dagegen würden wir von dem einzigen Universitätslehrer, dem Friedrich eine ansehnliche, ja glänzende Stellung gab, nichts mehr wissen, wenn Lessing diesem Geheimbderat Klotz in Halle als einem Kabalenmacher und Nichtswisser ersten Ranges nicht eine unerfreuliche Unsterblichkeit beschert hätte. Und dabei mußten sich die preußischen Untertanen an jenen vier verfallenen Quellen wissenschaftlicher Erkenntnis genügen lassen; nach wiederholten Verfügungen Friedrichs sollte das Studieren auf nichtpreußischen Universitäten, und wenn es nur ein Vierteljahr gedauert hatte, mit lebenslänglicher Ausschließung von allen Kirchen- und Zivilämtern, bei Adeligen sogar noch mit Einziehung des Vermögens bestraft werden.
Es gibt nur ein einziges Gebiet der inneren Verwaltung, auf dem Friedrich wirklich reformiert oder doch zu reformieren versucht hat, und es ist ein vor allem wichtiges Gebiet: nämlich die Rechtspflege. Er beseitigte gleich nach seinem Regierungsantritte die Folter; ferner hob er, wie für andere Beamte, so namentlich auch für die richterlichen, die »Infamie« des Ämterkaufs auf, obschon er an einer Besoldungssteuer festhielt; er verfügte auch, daß alle Sporteln der Gerichte nicht dem einzelnen Richter, der sie veranlaßt hatte, sondern einer gemeinsamen Kasse zufließen sollten. Ferner sorgte er für ein beschleunigtes Gerichtsverfahren mit der Maßgabe, daß gemeiniglich jeder Prozeß im Laufe eines Jahres zum rechtskräftigen Abschlusse gebracht sein müsse. Endlich wollte er auch die Unabhängigkeit der Gerichte verbürgen; er sprach sich wiederholt gegen jede Kabinettsjustiz aus. Aber freilich hatten auch hier die Dinge keineswegs jenes ideale Aussehen, das ihnen die französische Fabel von dem Müller in Sanssouci scheinbar gegeben hat. Friedrich schrieb wohl: Die Gesetze müssen sprechen und der Souverän muß schweigen, aber er handelte allzuoft nach dem umgekehrten Grundsatze. Als Philosoph sah er in der Wahrung des Rechts die stärkste Wurzel der fürstlichen Souveränität, aber als König glaubte er ebendeshalb überall eingreifen zu müssen, wo ihm die Gerichte das Recht nicht richtig zu handhaben schienen, womit dann die Kabinettsjustiz seines Vaters glücklich wiederhergestellt war.
Es liegt im Wesen des aufgeklärten Despotismus, daß der aufgeklärte Despot sich auch dann oder vielmehr dann erst recht in einem verderblichen Kreise herumbewegt, wenn er wirklich einmal einen Kulturfortschritt anbahnen will. Friedrich haßte die »Justiz nach der alten Leier«, die nach seiner triftigen Behauptung immer den reichen Leuten geholfen hatte, die halb verkäufliche, halb versimpelte Justiz seines Vaters, der die Richterstellen teils nach den Einzahlungen in die Rekrutenkasse vergab, teils nach dem Grundsatze, daß Bewerber von »Kop« der Verwaltung, »dume Teuffel« aber der Justiz überwiesen