Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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Werk gerichtet werde.« Darauf versammelten sich am 29. Juni die vorpommerschen Landstände in Demmin und richteten eine Promemoria an den König, worin sie sich halb als gekränkte Unschuld und verkannte Wohltäter der Bauern aufspielten, halb aber mit »Depeuplierung des Landes und Desertion vom Militär« drohten, »weil kein Bauer imstande ist, den Hof, das Zuchtvieh und Ackergerät zu bezahlen, keiner aber auf den Fall, es ihm umsonst zu lassen, schuldig, folglich ein jeder sich anderswohin zu begeben bedacht sein würde«. So dummdreist diese Drohung war – denn der Junker hatte gar kein Recht auf den Hof des Bauern, und was half ihm der Hof, wenn kein Bauer da war, ihn zu bewirtschaften? –, so genügte sie doch vollkommen, den König lahmzulegen. Weder Gewalt noch Recht konnten ihm helfen, denn das Heer befehligten die Junker, und in den Gerichtshöfen sprachen sie Recht. Er gab also klein bei, sosehr es sonst unter seinen Grundsätzen obenan stand, um seiner despotischen Unfehlbarkeit willen niemals einen Befehl zurückzunehmen.

      So mußte sich Friedrich denn darauf beschränken, in einem fortdauernden Kleinkriege seine militärpolitischen Interessen möglichst gegenüber dem gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse zu wahren. Es gibt eine große Anzahl von Kabinettsordern, worin er diesem Ziele nachstrebt. Er kämpfte gegen das Bauernlegen, die »Abmeierung der Bauern«, und bemühte sich, den Bauern das Eigentums- und Erbrecht an ihren Schollen zu sichern. Man kann sogar anerkennen, daß er in dieser Beziehung weiter blickte als der heutige Militärstaat. Wenn dieser in erstaunlicher Seelenruhe es ruhig mit ansieht, wie in weiten Fabrikdistrikten die Masse der arbeitenden Bevölkerung verkrüppelt, so eiferte Friedrich sehr häufig gegen die gesundheitsschädlichen Mißhandlungen der Bauern durch die Junker und die Domänenpächter. Wenn der heutige Militärstaat sich hartnäckig weigert, die unmäßige Arbeitszeit durch einen gesetzlichen Normalarbeitstag zu beschränken, weil er in seiner überstiegenen Weisheit davon eine Schädigung der Industrie befürchtet, so war sich Friedrich schon im Jahre 1748 darüber klar, wie er in einer Instruktion an das Generaldirektorium sagte, daß »bei den schweren und ganz unerträglichen Diensten mehrenteils vor den Gutsherrn wenig Nutzen, vor den Bauersmann aber sein gänzlicher Verderb augenscheinlich herauskommt«. Der König verlangt deshalb eine »serieuse Untersuchung, ob nicht sowohl Amts- als auch Städte- und adlige Unterthanen von diesem dem Bauer so gar ruineusen Umstände in gewisse Maße befreiet und die Sache dergestalt eingerichtet werden könne, daß, anstatt daß der Bauer jetzo die ganze Woche hindurch dienen muß, derselbe die Woche über nicht mehr als drei oder vier Tage zu Hofe dienen dürfe. Es wird dieses zwar anfangs etwas Geschrei geben, allein da es vor dem gemeinen Mann nicht auszustehen ist, wenn er wöchentlich fünf Tage oder gar sechs Tage dienen soll, die Arbeit an sich auch bei denen elenden Umständen, worin er dadurch gesetzt wird, von ihm sehr schlecht verrichtet werden muß, so muß darunter einmal durchgegriffen werden, und werden alle vernünftigen Gutsherrn sich hoffentlich wohl accomodiren, in diese Veränderung derer Diensttage ohne Schwierigkeit zu willigen, um so mehr, da sie in der That ersehen werden, daß, wenn der Bauer sich nur erst ein wenig wieder erholt hat, er in denen wenigen Tagen ebensoviel und vielleicht noch mehr und besser arbeiten wird, als er vorhin in denen vielen Tagen gethan hat.« Eine hausbackene, aber treffliche Wahrheit, die der »geniale« Herr Bismarck bekanntlich nie begreifen konnte und die der neue Kurs im deutschen Reiche bekanntlich auch noch immer nicht begreifen zu können scheint.

      Wie vernünftig nun aber diese und ähnliche Instruktionen Friedrichs nicht nur klingen, sondern auch sind, so darf man dabei doch mehrerlei nicht übersehen. Erstens daß der König nicht für den Bauer gegen den Junker, sondern gegen den Junker um den Bauer kämpft. Er wollte eine andere Verteilung des aus dem Bauern gezapften Mehrwerts, eine für ihn günstigere und deshalb für das Junkertum ungünstigere, aber wenn der Proletarier etwa seinen Lohn auf Kosten des Mehrwerts zu steigern gedachte, so war Friedrich immer auf Seite der möglichst erschöpfenden Ausbeutung. So bedrohte er in der Gesindeordnung sowohl die Empfänger als unter Umständen auch die Geber eines die Taxe überschreitenden Lohns mit Zuchthausstrafe, wogegen »es sich von selbst versteht«, daß ein unter der Taxe bleibender Lohn erlaubt ist. Und wenn gar die Bauern unruhig wurden über die »unerträglichen Dienste« und »ruineusen Umstände«, dann wußte Friedrich auch nichts anderes, als was große Männer unter solchen Umständen immer nur wissen, also was Luther im sechzehnten und Bismarck im neunzehnten Jahrhundert wußte. Als ein Jahr vor Friedrichs Tode die schlesischen Arbeiter zu murren begannen, schrieb der König an den schlesischen Provinzialminister v. Hoym: »Das mehrste zur Beruhigung der Leute wird beitragen, da sie doch im Gebirge meistens evangelisch sind, wenn die Prediger ihnen zureden und alles ordentlich erklären ... Sodann müssen auch die Schulzen, besonders da im Gebirge, scharf vigiliren, wenn sich etwa fremdes Gesindel sehen läßt, das Zusammenkünfte hält und dem gemeinen Volk allerhand Dinge in den Kopf setzt; diese müssen sie auf der Spur verfolgen und sobald sie den geringsten Unrath merken, sie sogleich bei den Ohren nehmen und an die Gerichte abliefern.« Die Order ist, wie gesagt, im Jahre 1785 erlassen. Sonst könnte man fast meinen, sie stamme aus dem Jahre 1878, wo auch erst die Religion dem Volke erhalten werden sollte und dann das Sozialistengesetz auf dem Fuße hinterdreinmarschiert kam.

      Zweitens aber hat Friedrich mit jenem Kleinkriege nicht viel erreicht. Am ehesten noch etwas in den beiden eroberten Provinzen Schlesien und Westpreußen, wo der König leichteres Spiel mit den Junkern hatte. So zwang er die schlesischen Grundherren zur Wiederherstellung der bäuerlichen Hütten und Scheunen, zur Ausstattung der Bauerngüter mit Vieh und Gerät. Aber sein eigenes Interesse, die Sorgen um seine Kassen und seine Rekruten, war auch hier die Grenze, die er nicht überschritt. Zudem liegt auf der Hand, wie wenig damit gesagt, geschweige denn getan war, wenn er den schlesischen Bauern das Recht gewährte, sich über strenge körperliche Züchtigung bei den Regierungen zu beschweren, oder wenn er in Westpreußen die »polnische Sklaverei«, den »harten, polnischen Fuß« auf die »preußische Landesart« gemildert wissen wollte. Die ehrlicheren bürgerlichen Historiker machen dann auch kein Hehl aus der Erfolglosigkeit dieser Bemühungen. »Die alten Verhältnisse blieben ... Bei dem allen blieb der Landmann gebunden, scholleigen der Masse nach« (Preuß); »praktisch hat dies alles fast gar keine Frucht getragen: nicht einmal auf den Domänen, wo der Erfolg doch so leicht gewesen wäre« (Roscher). Als der König vierzehn Tage vor seinem Tode bei dem Kammerpräsidenten von Königsberg anfragte, ob »nicht alle Bauern in Meinen Ämtern aus der Leibeigenschaft« gesetzet werden können, schrieb er selbst das treffendste Urteil über seine Bauernpolitik.

      Drittens und letztens aber – selbst wenn man Friedrichs angebliche Verdienste um die Bauernbefreiung so hoch schätzen wollte wie die preußischen Byzantiner, so würden diese Verdienste dennoch mehr als aufgewogen durch Friedrichs Gemeinteilungsgesetze, die Aufteilung der Gemeinweiden, die seltsamerweise auch von den besseren bürgerlichen Historikern, so von Freytag und Roscher, als eine Art sozialer Reform aufgefaßt werden, tatsächlich aber nach einem Worte von Rudolf Meyer darauf hinausliefen, daß die Gemeinweiden »meist den großen Gütern zugeschlagen und damit die kleinen Leute, wenn auch teilweise gegen Entschädigung, der freien Viehweide beraubt, teilweise proletarisiert und somit für den Gutsgesindedienst adaptiert wurden«. Dies »eifrige Wegräumen aller solchen Beschränkungen des freien Grundeigentums, die mit dem mittelalterlichen Gemeindewesen zusammenhängen«, lief in der Tat auf die Proletarisierung der bäuerlichen Bevölkerung hinaus, und wenn Roscher darin die helle Seite des »Januskopfes« sieht, den Friedrichs agrarische Sozialpolitik biete, so mag man sich nicht leicht einen zu dunklen Begriff von dessen dunkler Seite machen. Siehe Rudolf Meyer, Das nahende Ende des landwirtschaftlichen Großbetriebs, in der »Neuen Zeit«, 11, 1, 304. Ferner Roscher, 399. Sonst ist Roschers Darstellung der friderizianischen Sozialpolitik in der bürgerlichen Geschichtsliteratur wohl noch die unbefangenste. Für die Einzelheiten sind die Kabinettsordern des Königs und teilweise auch seine Schriften einzusehen, dann aber auch die ältere preußische Geschichtsschreibung etwa bis zum Jahre 1848. Die neuere Literatur, namentlich soweit sie aus Archiven schöpft, ist nicht wertlos, doch müssen diese Bücher wie Palimpseste behandelt werden. Man muß zunächst die frommen Lobgesänge auf den friderizianischen »Sozialismus« beseitigen und dann untersuchen, was sich von dem verkratzten und verwischten Urtext noch entziffern läßt. Natürlich gibt es auch vortreffliche Ausnahmen; so Knapp, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen Preußens, wo in der Einleitung bemerkenswerte Einzelheiten über die Erfolglosigkeit der friderizianischen Bauernpolitik gegeben sind.