Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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am nächsten komme«, wie selbst ziemlich unbefangene Forscher sagen. Friedrich verbot die Ausfuhr des Getreides, um seinen Preis möglichst niedrig zu halten; in einer seiner Instruktionen an das Generaldirektorium verlangt er, daß der Preis des Scheffels Roggen immer zwischen 18 Groschen und 1 Taler festgehalten werde. Das geschah, um für sein Heer billiges Brot und für den Kriegsfall gefüllte Magazine zu haben, aber wenn er diese Magazine nun auch benutzte, um der bäuerlichen Bevölkerung Brot- und Saatkorn zu liefern, sobald ihr Hungerleben durch irgendein unglückliches Naturereignis in den Hungertod umzuschlagen drohte, so läßt sich dieser »Sozialismus« am Ende noch mit gemäßigter Hochachtung bewundern.

      Man würde übrigens irren, wenn man in dem Bauern aus Tempelhof bei Berlin, den Roden schildert, den elendesten Typus des friderizianischen Bauern sehen wollte. In der Mark war der Prozentsatz der Kontribution noch am niedrigsten bemessen; wo er, wie in Friedrichs westfälischen Besitzungen, auf mehr als 50 Prozent stieg, verschlechterte sich entsprechend die Lage der bäuerlichen Bevölkerung. Roden schreibt darüber:

      »Die Kontributionsprinzipia sind im Mindenschen so angelegt, daß zuvörderst die sämtlichen Ländereien, Gärten und Wiesen durch diverse vereidete Taxatoren nach dem jährlichen Ertrage abgeschätzt sind; darnach ist die Kontribution dergestalt ausgemittelt, daß von jedem Taler Ertrag jährlich an Kontribution 13 Groschen bezahlt wird. Die Hufe à 30 Morgen Magdeburgisch kommt im Durchschnitt der Totalité auf 19 Taler 5 Groschen ½ Pfennige, obgleich viel schlecht Land vorhanden: Solchergestalt hat der Landmann noch 11 Groschen pro Taler übrig. Davon soll er sich und seine Familie unterhalten, die Haushaltung führen, Gesindelohn geben, dem Erb- oder Gutsherrn sein Pacht zahlen und die übrigen Lasten tragen, so schlechterdings unmöglich wäre, wenn der Bauer sich sonst nicht durchzuhelfen suchte. Im Minden- und Ravensbergischen ist er mit Frau, Kindern und Gesinde, sobald er nur vom Ackerbau eine Zeit oder gar nur Stunden übrig hat, zumal im Herbst bei den langen Abenden und den Winter hindurch, mit Garnspinnen zu Leinwand beschäftigt, und damit sucht er sich zu ernähren; sonst müßte er davonlaufen, indem es dort viele Bauernhöfe gibt, die mehr Abgaben haben, als die Höfe auch in den besten Jahren aufbringen können.«

      So der kundigste Verwaltungsbeamte des friderizianischen Staats in offiziellster Urkunde, in dem Berichte, durch den er auf Befehl des Königs den Thronfolger in das Finanzwesen der Monarchie einweihen sollte.

      Wir wollen um der Gerechtigkeit willen aus Rodens Darstellung nicht unerwähnt lassen, daß Friedrich wenigstens in den beiden von ihm eroberten Provinzen, in Schlesien und Westpreußen, den Adel zur Kontribution heranzog; hier standen ihm die Junker nicht mit altererbter Macht gegenüber, und er mußte sie wegen ihrer Anhänglichkeit an Österreich und Polen scharf im Zügel halten. Aber auch auf diesem verhältnismäßig lichtesten Gebiete der friderizianischen Steuerpolitik ist ihre Tendenz nicht, wie sie selbst behauptete, Entlastung des Armen auf Kosten des Reichen, sondern Belastung des Armen zugunsten des Reichen. So zahlte in Westpreußen – unter fast durchgängigem Wegfalle der Lehnpferdegelder – der evangelische Edelmann 20, der katholische – Grundgedanke des Nathan? – 25, der Bauer aber 33½ Prozent Kontribution. Und ähnlich in Schlesien. In einer Anmerkung des Kapitals, 1, 762), erwähnt Marx die elende Lage des friderizianischen Bauern unter Anziehung einiger Sätze von Mirabeau, wofür er von preußischen Historikern der tendenziösen Darstellung geziehen worden ist. Wir haben aus schon angeführten Gründen das Werk von Mirabeau-Mauvillon ganz beiseite gelassen, möchten aber bemerken, daß die von Marx beiläufig angezogenen Sätze Mirabeaus ein nicht so krasses Bild der Sachlage geben wie der amtliche Bericht von Roden. Überhaupt tun die wenigen Worte, die Marx im Vorbeigehen dem friderizianischen »Regierungsmischmasch von Despotismus, Bürokratie und Feudalismus« widmet, diesem seltsamen Gebilde eher zuwenig als zuviel. Wenn beispielsweise Marx sagt, Friedrich habe in den meisten Provinzen Preußens den Bauern Eigentumsrecht gesichert, so gilt das tatsächlich nur von den Domänenbauern. Am 20. Februar 1777 verfügte Friedrich, »daß an allen Orten, wo es noch nicht geschehen, die unter die Ämter gehörigen Bauerngüter den Untertanen erb- und eigentümlich übergeben werden«. Siehe die Order bei Preuß, 4, 466 f.

      Stellt man nun aber jenen erdrückenden Belastungen der Bauern die ängstliche Sorgfalt gegenüber, womit Friedrich im allgemeinen die Steuerfreiheit des Adels beschützte, so kann man die edle Dreistigkeit jener Hofgeschichtsschreiber bewundern, die von dem »Bauernkönige« Friedrich schwatzen und die Hohenzollern durch Beschützung des kleinen Mannes groß werden lassen, so kann man den herrlichen Wert jener »Schulreform« ermessen, die nach diesem Leitmotive den Geschichtsunterricht an den deutschen Schulen klittern will. Da sollten wir »gemütvollen« und »tiefsinnigen« Deutschen uns doch nur ja vor den »leichtfertigen« und »oberflächlichen« Franzosen verkriechen! Denen konnte Marx schon im Jahre 1869 nachrühmen, daß sie der napoleonischen Legende mit allen Waffen der Forschung, der Kritik, der Satire, des Witzes den Garaus gemacht haben, und was ist die napoleonische Legende doch für ein ander Ding als die friderizianische! Der napoleonische Staat besteht in allem wesentlichen, in der Heeresverfassung, in der inneren Verwaltung, im Finanz-, Justiz-, Unterrichtswesen noch fort, wie der erste Konsul ihn im Jahre 1804 begründet hat – natürlich nicht als großer Mann, sondern als Erbe des Konvents –, und eine bürgerliche Verfassung, die drei Dynastien, drei Invasionen und selbst drei Revolutionen überstanden hat, kann denn doch eher schon zum Heroenkultus des Mannes führen, auf dessen Namen sie nun einmal getauft ist. Aber der friderizianische Staat, der bei Jena in tausend Stücke zerschmettert wurde unter der stürmischen Zustimmung der bürgerlichen und arbeitenden Klassen, die in ihm zu leben verurteilt waren, und eine feudal-militärische Verfassung, deren wüste Trümmer wie ein betäubender Alp auf allem gesunden Leben der Gegenwart lasten, dürfen sich immer noch, ja je länger je unbeschämter in einer Legende spiegeln, deren schüchterne Kritik im Reiche der Gottesfurcht und frommen Sitte schon als Hochverrat und Majestätsverbrechen gilt.

      Friedrich selbst darf natürlich dafür nicht verantwortlich gemacht werden. Er ist ganz unschuldig an der kecksten Unwahrheit dieses Jahrhunderts, dem sogenannten »sozialen Königtum«, und er würde den Humbug nicht einmal verstehen, wenn er seine wohlgesinnten Geschichtsschreiber von heute lesen könnte. Was ihm als »monarchische Sozialpolitik« angerechnet wird, war einzig durch militärpolitische Gesichtspunkte bestimmt. An sich zwar gehörte es zu den Aufgaben des absoluten Königtums, die Leibeigenschaft der Bauern zu beseitigen, nicht aus Humanität, die ihm ganz fremd war und auch ganz fremd sein mußte, sondern aus fürstlichem Klasseninteresse. Die Leibeigenschaft stand wie eine Mauer zwischen dem Despoten und der Mehrheit der Bevölkerung; solange sie währte, hatte der Junker über die Bauern zu verfügen und der König höchstens insoweit, als es ihm der Junker gestattete. Wir haben gesehen, wie sich seit der Entwicklung des stehenden Heeres dieser Interessengegensatz zwischen dem Könige und dem Junkertum bildete und verschärfte; schon die beiden ersten preußischen Könige rüttelten an der Leibeigenschaft, und namentlich Friedrich Wilhelm I. erklärte, »was es denn vor eine edle Sache sei, wenn die Unterthanen statt der Leibeigenschaft sich der Freiheit rühmen«. Er war denn freilich auch wohl ehrlich genug, den Kabinettsordern, worin er den Behörden die »Konservation« der »Untertanen« empfahl, die Worte hinzuzufügen: »Damit der Landesherr seine Steuern erhalte«, was bei der höchst merkwürdigen Ausbildung der alten deutschen Sprache im neuen deutschen Reiche heute zu lesen ist: »Soziales Königtum der Hohenzollern«. Friedrich selbst spricht in seinen Schriften mit lebhaftestem Abscheu von der Leibeigenschaft als einem »barbarischen Gebrauch«, einer »abscheulichen Einrichtung«, aber er bekennt auch offen, daß es nicht in seinem guten Willen liege, damit aufzuräumen. Daraus läßt sich ihm gewiß kein Vorwurf machen. Er konnte wirklich nicht, auch wenn er wollte, die Leibeigenschaft abschaffen. Sie war die ökonomische Zelle der Gesellschaft, deren politischer Repräsentant der preußische Militärstaat war, und der »erste Diener« dieses Staats konnte ihr ebensowenig anhaben, als etwa die Zinne eines Turms auf den verwegenen Einfall geraten kann, die Mauer umzustürzen, worauf sie ruht.

      Ergibt sich diese Auffassung von selbst aus der ganzen Lage, so fügt es sich glücklich, daß sie sich sogar urkundlich bestätigen läßt. Einmal nämlich siegte der despotische Größenwahn über Friedrichs nüchternen Sinn, und am 25. Mai 1765 dekretierte er von Kolberg aus: »Sollen absolut, und ohne das geringste Raisonniren, alle Leibeigenschaften, sowohl in Königlichen, Adligen, als Stadteigentumsdörfern, von Stund an gänzlich abgeschafft werden, und alle