Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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verworrenen Chaos eines entarteten und seinem ursprünglichen Sinne gänzlich entfremdeten Merkantilismus, das in Mirabeau einen so beredten Ankläger gefunden hat. Er kann es nicht bitter genug tadeln, daß der König im Jahre 1766 die Einfuhr von nicht weniger als 490 Artikeln einfach verbot oder im Jahre 1774 auf die Ausfuhr der Wolle Todesstrafe setzte, aber er übersah, daß dieser besondere Merkantilismus eben die ideologische Wirtschaftsform dieses besonderen Militärstaats war und sein mußte. Friedrichs ökonomische Einsichten und Kenntnisse hätten ungleich bedeutender sein können, als sie waren, und es wäre doch nicht anders gewesen. So viel sah der König schon ein, daß die feinere Gewebeindustrie der Höhepunkt der damaligen ökonomischen Entwicklung war – sie war für das achtzehnte Jahrhundert, was die Eisen- und Kohlenindustrie für das neunzehnte Jahrhundert ist –, und er handelte im eigentlichen Geiste des Merkantilsystems, wenn er gleich nach seinem Regierungsantritt im Generaldirektorium ein eigenes Kommerzien- und Manufakturdepartement einrichtete, dem er besonders anbefahl, eine neue Industrie der seidenen Zeuge, der französischen Gold- und Silberstoffe usw. einzuführen. Aber während Frankreich und England die größten Opfer für ihre Seidenindustrie brachten, hat Friedrich während seiner ganzen Regierung nur etwa zwei Millionen Taler auf dies verzärtelte Lieblingskind gewandt. Schmoller, Die preußische Seidenindustrie im achtzehnten Jahrhundert, 35. Er gab ihm wenig zu essen und zu trinken; dafür hütete er um so ängstlicher seinen dünnen Lebensfaden, indem er es in fest geschlossenen Räumen auf Schritt und Tritt gängelte. Bei dieser ihm so ans Herz gewachsenen, schließlich aber doch abgestorbenen Industrie ist es klar, daß der König nicht mehr tat, weil er nicht mehr tun wollte, sondern weil er nicht mehr tun konnte. Die Mittel fehlten ihm mehr als die Einsicht. In dem feudalen Militärstaate Preußen mußte der Merkantilismus ebenso auf die mittelalterlichen Bann- und Zwangsrechte zurückschlagen, wie er sich in dem bürgerlichen Industrielande England zum Freihandel entwickeln mußte.

      Im Grunde tut die friderizianische Legende dem Könige bitteres Unrecht, wenn sie an allen zehn Fingern die bei alledem unzähligen Millionen aufzählt, die er namentlich nach dem Siebenjährigen Kriege in »landesväterlicher Fürsorge« für die Hebung der allgemeinen Wohlfahrt ausgegeben haben soll. Hätte der König wirklich die freie Verfügung über so bedeutende Mittel gehabt, wie er angeblich mit verschwenderischer Hand ausgestreut hat, so wäre seine Wirtschaftspolitik von dem Vorwurfe ungewöhnlicher Beschränktheit schwer freizusprechen. Tatsächlich hat er aber in den 23 Jahren von 1763 bis 1786 nach der Berechnung des Ministers v. Hertzberg, des verhältnismäßig sachkundigsten Urteilers, nicht mehr als 24 399 838 Taler für jenen Zweck ausgegeben. Wir sagen: des verhältnismäßig sachkundigsten Urteilers, denn wenngleich Hertzberg der bedeutendste und erfahrenste Minister in Friedrichs Spätzeit war, so gehörte es doch zu den unverbrüchlichen Grundsätzen des ersten Dieners des Staats, daß kein Minister eine volle Einsicht in die Lage des Staatshaushaltes gewinnen durfte. Alle Überschüsse der jährlichen Staatseinkünfte über die etatsmäßigen Ausgaben sowie gewisse Regalien und Steuern flossen in die sogenannte Dispositionskasse, die der König allein mit einigen untergeordneten Werkzeugen verwaltete. Eine ziffernmäßig genaue Übersicht der friderizianischen Finanzwirtschaft ist dadurch sehr erschwert, wenn nicht ganz unmöglich gemacht; allein die Frage, auf die es uns hier allein ankommt, die Frage nach den Aufwendungen dieses aufgeklärten Despoten für das, was seine Bewunderer seine »sozialistische Staatshilfe« nennen, läßt sich wenigstens für die Zeit nach Einführung der Regie, also für die letzten zwanzig Jahre Friedrichs, wenn nicht mit absoluter, so doch mit relativer Sicherheit beantworten.

      Er selbst gibt die jährlichen Staatseinkünfte für diese Zeit auf 21 700 000 Taler an. Sie werden von keiner Seite höher, von den meisten sonst sachkundigen Urteilern wie Boyen, Krug und Riedel usw. erheblich niedriger geschätzt. Jedenfalls sind sie erst in den letzten Jahren des Königs so hoch gestiegen, der starken Akziseausfälle in den Hungerjahren 1770 und 1771, in dem Kriegsjahre 1778 nicht erst zu gedenken. Lassen wir es aber bei der von Friedrich angegebenen Ziffer für den ganzen Zeitraum bewenden! Von diesen Einkünften rechnet er 5 700 000 Taler als Überschuß, den er für den Kriegsschatz, Festungsbauten, Landesverbesserungen oder sonstige außergewöhnliche Ausgaben verwenden konnte. Diese Summe ist wieder denkbar hoch gegriffen. Denn 16 Millionen beanspruchte der regelmäßige Etat mindestens. Das Heer kostete jährlich 13 Millionen, die Hofstaatskasse, was wir heute Zivilliste nennen, erhielt 492 000, und die Regieverwaltung verschlang 800 000 Taler, so daß für die ganze übrige Staatsverwaltung nur rund 1 700 000 Taler übrigblieben, eine fast unglaublich niedrige Summe, selbst wenn man die miserable Besoldung der deutschen Beamten in gebührenden Anschlag bringt. Auf keinen Fall hat Friedrich mehr als die von ihm selbst angegebenen 5 700 000 Taler Überschuß gehabt. Dagegen ist seine Angabe, daß er davon regelmäßig 2 Millionen in den Kriegsschatz gelegt habe, nichts weniger als zweifelsfrei. Da er vor dem Jahre 1766 nicht wohl mit der Bildung eines neuen Schatzes beginnen konnte, so hätten bei seinem Tode 40 Millionen darin sein müssen; alle sonstigen Berechnungen, soweit sie auch von 55 Millionen (Krug und Riedel) bis 76 Millionen (Lombard) auseinandergehen, stimmen darin überein, daß der König einen beträchtlich größeren Schatz hinterlassen hat, als nach seiner eigenen Angabe hätte erwartet werden dürfen. Lassen wir es indessen bei seinen 2 Millionen auf das Jahr bewenden!

      Dann blieben ihm jährlich noch 3 700 000 Taler für außergewöhnliche Ausgaben, auf 20 Jahre gerechnet also 74 Millionen Taler. Nun hat er in dieser Zeit rund 8 Millionen für den Bau von Festungen, für Artillerie usw. verwandt; der Bayerische Erbfolgekrieg kostete 29 Millionen; endlich zahlte Friedrich 3 Millionen Subsidien an die Kaiserin Katharina für ihre Türkenkriege. Das sind im ganzen 40 Millionen. Ferner aber hatte der König, obgleich er persönlich aller höfischen Verschwendung abgeneigt war und nach einer Versicherung seines Testaments für seine Person nie mehr als 220 000 Taler jährlich verbrauchte, doch einzelne sehr kostspielige Liebhabereien. In seinem Nachlasse fanden sich 130 mit Brillanten und andern kostbaren Steinen besetzte Dosen, die einen Gesamtwert von gegen 1½ Millionen darstellten. Viel schwerer noch fiel ins Gewicht, daß er in reichlichem Maße die Bauwut aller Despoten teilte. Die eine Tatsache, daß er gleich nach dem Kriege, mitten in dem fürchterlichsten Elend des Landes, den ebenso kostspieligen wie zwecklosen Bau des Neuen Palais in Potsdam begann, sollte ehrliche Leute schon hindern, den Mund gar zu voll zu nehmen von seiner »landesväterlichen Fürsorge«. Nach Retzow kostete dieser Bau 11 Millionen und ebensoviel seine innere Ausstattung. Retzow, Charakteristik der wichtigsten Ereignisse des Siebenjährigen Krieges, 2, 455. Nehmen wir indessen an, daß Retzow, der dem Könige nicht wohlgesinnt war, arg übertrieben hat, so gibt doch ein unterrichteter und wohlgesinnter Zeuge, ein Baumeister Friedrichs, die Summe dessen, was allein in und bei Potsdam verbaut worden ist, auf mehr als 10½ Millionen an. Manger, Baugeschichte von Potsdam, 3, 825. Es mag nun ganz unberechnet bleiben, was Friedrich für Bauten in Breslau, Königsberg, Berlin (die Bibliothek, die großen Kirchen auf dem Gendarmenmarkte, mehrere Brückenkolonnaden und anderes mehr) aufgewandt hat: Mangers 10½ und die für Dosen verausgabten 1½ Millionen ergeben weitere 12 Millionen, die von den 74 Millionen abzuziehen sind, über die Friedrich in den letzten zwanzig Jahren seiner Regierung für außergewöhnliche Ausgaben verfügt hat. Es bleiben also für Hebung des Volkswohlstandes nur 22 Millionen übrig, und um überhaupt auf Hertzbergs Ziffer zu kommen, muß man die gegen 2½ Millionen einrechnen, die Friedrich nach seiner Angabe gleich beim Friedensschlusse von Hubertusburg von den für den nächsten Feldzug bereitliegenden Geldern für die notdürftigste Wiederherstellung des Landes aufgewandt hat.

      Es sei nochmals hervorgehoben, daß diese Ziffern keinen absoluten Wert haben sollen. Um ein möglichst erschöpfendes und zutreffendes Bild der friderizianischen Finanzwirtschaft zu geben, wäre bei der verwickelten Kassenführung des Königs und den höchst tendenziösen Darstellungen, die darüber veröffentlicht worden sind, ein eigenes Buch notwendig. Für unsern Zweck: nämlich festzustellen, welche Summe Friedrich günstigstenfalls für Landesverbesserungen verbraucht haben kann, war es aber erlaubt, auch mit ungewissen Ziffern zu rechnen, wenn wir unter den abweichenden Angaben immer die höchsten für seine gesamten Einkünfte und immer die niedrigsten für seine sonstigen Ausgaben einstellten. Dies haben wir durchweg getan, auch wenn wir in einem besonderen Falle es einmal nicht getan zu haben scheinen. So haben wir uns nicht entschließen können, die etatsmäßigen Heereskosten Friedrichs von den 13 Millionen, die ältere und unbefangene Schriftsteller mit großer Übereinstimmung angeben, auf die 12 100 978 Taler herabzusetzen,