Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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der Volksauspressung hatte er richtigere Begriffe als Friedrich. Er ließ sich eine fast unumschränkte Vollmacht über die Akzise- und Zollverwaltung sowie über ihre Beamten geben; er nahm für sich und drei ihm anfangs beigeordnete Regisseure Jahresgehälter von je 15 000 Taler an, während der ihnen anfangs zum Scheine vorgesetzte Minister v. Horst nur 4000 Taler bezog. Aber als der König für die Berechnung der Tantiemen ihm und seinen Genossen 25 Prozent von dem Überschusse anbot, den sie über den Reinertrag der Akzise im Etatsjahre 1764/1765 erzielen würden, hob Launay hervor, daß dieser Ertrag wegen der Nachwirkungen des Krieges mit noch nicht ganz 3½ Millionen Talern nicht normalmäßig sei; er ließ als Norm erst den Reinertrag von 1765/1766 mit etwas über 4½ Millionen gelten, und von dem über diese Summe zu erzielenden Überschusse beanspruchte er auch nur 5 Prozent Tantiemen. Launay setzte auch durch, daß wenigstens die unteren Stellen der Regieverwaltung mit preußischen Beamten besetzt wurden, während der König die einheimischen Beamten hermetisch von der Regieverwaltung ausgeschlossen wissen wollte. Die obigen Einzelheiten entstammen archivalischen Quellen. Siehe Walter Schultze, Geschichte der preußischen Regieverwaltung, 40 ff. In der »Neuen Zeit«, 10, 2, 769 ff., ist näher dargelegt, wie es Herrn Schultze dennoch gelingt nachzuweisen, daß der »Sozialismus«, den Friedrich bei Einrichtung der Regie bewährte, »tiefer, idealischer, heroischer« sei als der proletarische Sozialismus von heute.

      Gegen die ganze fürchterliche Plackerei der Regie, die Friedrich mit Stolz »mein Werk« zu nennen pflegte, machte die preußische Bürokratie nun aber noch einen pflicht- und sachgemäßen Vorstoß. Die ungeheuerliche Mehrbelastung des Massenverzehrs verursachte in dem dünn bevölkerten Lande, in dem die Arbeitskräfte sehr gesucht waren, eine Steigerung des Arbeitslohnes. Darüber erhoben die Kapitalisten das unvermeidliche Lamento, und der König forderte von dem Generaldirektorium amtliche Auskunft über die Gründe der »noch immer fortdauernden Klagen derer Fabricanten und Kaufleute«. In einer »Pflichtmäßigen Anzeige« wies darauf diese Behörde die »Behinderungen im Commercio in denen Königlichen Landen« nach; in der ruhigsten und sachlichsten Weise entwickelte sie die Schädlichkeit der Regie, hob sie die »verschiedenen im Lande eingeführten Monopolia, insonderheit den allergrößten Bedruck aus der General-Tabaks-Verpachtung«, als »dem allgemeinen Commercio höchst schädlich« hervor, erklärte sie die Steigerung des Arbeitslohns aus der höheren Belastung der Getränke, des Fleisches usw. Kaum aber hatte der König diese Eingabe am 2. Oktober 1766 erhalten, als er eigenhändig auf ihrem Rande verfügte: »Ich erstaune über der impertinenten Relation so sie mir schicken, ich entschuldige die Ministres mit ihre Ignorence, aber die Malice und die corruption des Concipienten muß exemplarich bestraffet werden sonsten bringe ich die Canaillen niemahls in der Subordination.« Am nächsten Tage erfolgte dann auch schon die Kabinettsorder, worin Se. K. M. dero General-Directorio bekanntmachen, »wie allerhöchst Dieselbe den Geheimen Finanzrath Ursinus cassiret und nach Spandau zur Festung bringen lassen«, und worin allen denjenigen, die sich auf den Wegen des Ursinus betreten lassen, angedroht wird, daß »Se. K. M. selbige, es mögen Räthe oder Ministres sein, ohne alle Umstände arretiren und auf Zeit Lebens werden zur Festung bringen lassen«. Mit dieser Gewalttat war der preußischen Bürokratie für Friedrichs Regierungszeit das Rückgrat gebrochen.

      Wir haben die beiden großen Eingriffe des Königs in die Finanz- und Militärverfassung des Staats etwas ausführlicher geschildert, sowohl weil sie am klarsten zeigen, was es mit dem aufgeklärten Despotismus dieses Fürsten auf sich hat, als auch weil sich an ihnen das Wesen der großen Männer studieren läßt, die regelmäßig das größte Unheil anrichten, wenn sie anfangen, die »Geschichte zu machen«. Wir haben aber schon gesehen, daß Friedrich im allgemeinen viel vernünftiger war als seine Bewunderer und daß er sich gar wohl in die ökonomischen Lebensbedingungen zu finden wußte, die ihm gegeben waren. Diesen Bedingungen entsprach es durchaus, daß er in seiner Wirtschaftspolitik einem platten Merkantilismus huldigte. Die merkantilistische Theorie war das ideologische Wirtschaftssystem des fürstlichen Absolutismus, der sich aus dem Warenhandel und der Warenproduktion entwickelt hatte. Die ökonomischen Zustände, welche sie widerspiegelte, ergaben ihre einseitige Betonung des Handels und der Verarbeitungsgewerbe, ihre Überschätzung der Bevölkerungsdichtigkeit und des baren Geldes als der Ware aller Waren und endlich ihre Forderung, daß die neuentstandene Staatsgewalt alles zu fördern habe, woraus und weswegen sie entstanden sei: also Handel und Gewerbe, die Vermehrung der Volkszahl und der Geldmasse. Aber der Hammer schlägt nicht nur den Amboß, sondern der Amboß schlägt auch den Hammer; die Praxis erzeugt immer erst die Theorie, aber die Theorie gestaltet dann auch die Praxis. Das Merkantilsystem wurde für den Absolutismus ein Hebel seiner dynastischen Interessen: Es ermöglichte ihm das Sophisma, wonach Geldbesitz und Reichtum einer Nation ein und dasselbe seien, und damit hatte er gewonnen Spiel für die fiskalische Ausbeutung des Volkes. Je mehr Geld die Fürsten für ihre Heere und Höfe ins Land ziehen und im Lande behalten konnten, um so reicher wurde das Volk, und auch die sinnloseste Verschwendung war unbedenklich, »wenn das Geld nur im Lande blieb«.

      Überall wo der Warenhandel und die Warenproduktion sich naturwüchsig in bedeutendem Umfange entwickelt hatten, so beispielsweise in Frankreich, konnte das Merkantilsystem nicht so leicht entarten, weil die Praxis unausgesetzt die Theorie im Zaume hielt; Colbert, der bedeutendste Staatsmann des Merkantilismus, wußte gar wohl, daß es »im Staate nichts Köstlicheres als die Arbeit der Menschen« gäbe, und eine Glanzseite seiner Verwaltung war der Bau von Landstraßen, um den Verkehr zu fördern. In Deutschland dagegen hatte der Absolutismus mehr einen feudalen als einen kapitalistischen Ursprung, und so konnte oder mußte aus der ökonomischen Vernunft der merkantilistischen Theorie um so leichter eine absolutistische Unvernunft werden. Friedrich verfocht die »ebenso einleuchtende wie wahre« Ansicht: »Nimmt man alle Tage Geld aus einem Beutel und steckt nichts dagegen wieder hinein, so wird er bald leer werden«, was denn eben die platteste Auffassung des Merkantilismus war, und er ließ die Landstraßen verfallen, damit ausländische Reisende um so länger aufgehalten würden und um soviel mehr Geld im Lande verbrauchten. Noch weit bezeichnender als der Vergleich zwischen Colbert und Friedrich ist der Briefwechsel, den der König im Jahre 1765 mit der Kurfürstin-Regentin Maria Antonia von Sachsen wegen der gegenseitigen Handelssperre führte. Sachsen war unter den deutschen Teilstaaten der ökonomisch entwickeltste; die Leipziger Kaufleute verlangten schon den ganz freien Handel, und so schrieb die Kurfürstin an Friedrich: »Unser großes Prinzip ist die Freiheit des Handels und die Reziprozität der Vorteile.« Aber Friedrich weiß darauf nichts zu erwidern als einige sentimentale Phrasen über die schlimmen Seiten von Gold und Silber, die leider notwendige Übel geworden seien. Und solche Notwendigkeit lege die Pflicht auf, diese an sich gemeinen und verächtlichen Metalle zu suchen. Er blieb der Ansicht seines Launay, daß die Schädigung des Auslands der Vorteil des Vaterlandes sei, eine Ansicht, die freilich auch noch Voltaire vertreten hatte, aber die Mirabeau doch schon »monströs und eines Staatsmanns im elften Jahrhundert würdig« nennt.

      Gerade im brandenburgisch-preußischen Staat war der Merkantilismus nicht aus der ökonomischen Entwicklung erwachsen, sondern wurde die ökonomische Entwicklung nach den merkantilistischen Lehren zu leiten gesucht. Als der Merkantilismus im westlichen Europa längst in voller Blüte stand, gab die Vertreibung der Hugenotten aus Frankreich dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm kurz vor seinem Tode die erste namhafte Gelegenheit, große Kapitalien ins Land zu ziehen. Nicht ein religiöser, sondern ein ökonomischer Beweggrund veranlaßte ihn, die vertriebenen Glaubensgenossen in seine Staaten zu laden. Er hatte schon vorher einzelne kleine Versuche mit einer Seifen- und einer Zuckersiederei, mit einer Porzellanbäckerei gemacht, aber die ersten Fabriken und Manufakturen in größerem Umfange datieren erst aus der Zeit der französischen Einwanderung. Indessen auf diesem agrarisch-feudalen Boden mit seinen verkümmerten Kleinstädten blieben sie ein künstliches Gewächs, das im Treibhause der merkantilistischen Lehren mühsam gepflegt werden mußte. Es stimmte äußerlich vortrefflich mit diesen Lehren, daß der wachsende Militärstaat nach immer mehr Geld und Menschen schrie, aber dieser Militärstaat verschlang den Zuwachs an Geld und Menschen, den das Merkantilsystem für die Belebung von Handel und Industrie forderte, für seine Kanonen und seine Rekruten. Für Handel und Industrie blieb wenig oder nichts übrig, während gerade für sie, wenn sie in dem ungünstigen Boden der ostelbischen Landschaften gedeihen sollten, viel oder alles hätte aufgewandt werden sollen. Um aber die künstliche Pflanze dennoch am Leben zu erhalten, schenkte ihr der preußische Absolutismus seine