Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
Скачать книгу
Hüten geschrieben stand: Gib Friede, Herr, in unsern Tagen! Nun, an den Hüten der preußischen Hauptleute und Obersten war das freilich nicht zu lesen, aber um so breiter stand das friderizianische Offizierkorps nach dem Siebenjährigen Kriege auf diesem frommen Wunsche. Denn da die »wuchernden Krämer« nur im Frieden ausbeuten konnten, so begreift man leicht, wie anfeuernd der Krieg auf den »Heldengeist« dieses »Heldenheeres« wirkte. Erst die ökonomischen Voraussetzungen des friderizianischen Heeres erklären die ganze Schmach von 1806, erklären den feigen Verrat der Junker-Offiziere, erklären das frohe Aufatmen, womit viele Tausende von Soldaten nach der Niederlage die Fahnen verließen, erklären endlich die ingrimmige Freude der Bevölkerung über die zermalmenden Schläge, mit denen die »Federbüsche« für den scheußlichen Wucher von Jahrzehnten gestraft worden waren. Aber es ist fraglich, ob das Heer zur Zeit von Jena noch ganz so schlecht war wie in den letzten Jahrzehnten des Königs Friedrich. Denn etwas von dem Hauche der Französischen Revolution war doch über die Elbe gedrungen, und einzelne Offiziere wie Scharnhorst, Blücher, Gneisenau, auch tüchtige Junker wie Yorck hatten gar manches an der Heeresverfassung gebessert.

      Während nun aber Friedrich in der Militärverwaltung den junkerlichen Offizieren völlig freie Hand ließ, führte er in der Zivilverwaltung einen wahrhaft selbstmörderischen Krieg gegen das Beamtentum, in dem sein Vater sich eine Stütze der königlichen Gewalt gegenüber den Junkern zu sichern gesucht hatte. Auch die Bürokratie wurde wenigstens in ihren maßgebenden Stellen von bürgerlichen Elementen gereinigt; während seiner ganzen Regierung hat Friedrich nur einen bürgerlichen Minister ernannt. Ebenso gehörten die Landes- und Provinzialkollegien dem Adel; einzig als Präsidenten der Oberrechenkammer bevorzugte der König, bezeichnend genug, Bürgerliche. Immerhin hatte sich ein gewisses Klassen- und Pflichtbewußtsein in der Bürokratie erhalten, und es gereichte dem Generaldirektorium zur Ehre, als es sich nach dem Siebenjährigen Kriege der Absicht des Königs, für militärische Zwecke den jährlichen Steuerertrag um zwei Millionen Taler zu erhöhen, entschieden widersetzte und jede weitere Belastung des Volkes für unmöglich erklärte. Man muß sich nur die damaligen Zustände des Landes vergegenwärtigen, die Schmoller folgendermaßen schildert: »Zu Ende des Krieges waren die preußischen Provinzen in einem entsetzlichen Zustande; die Menschen-, Vieh-, Kapitalverluste waren übermäßig; ein Drittel der Berliner lebte von Armenunterstützung; in der Neumark gab es notorisch fast kein Vieh mehr; Tausende von Häusern und Hütten waren niedergebrannt; eine volkswirtschaftliche Krise der schlimmsten Art folgte dem Frieden und dauerte noch mehrere Jahre.« Somit war das Generaldirektorium in seinem guten Rechte, wenn es dem bis auf den Tod erschöpften Lande zu den schon bestehenden schweren Lasten nicht noch neue Steuern auferlegt wissen wollte. Vielleicht war das Verständnis der Bürokratie für die Leiden der Bevölkerung auch dadurch geschärft worden, daß die Beamten während der letzten vier Kriegsjahre statt ihrer Gehälter sogenannte »Kassenscheine« erhalten hatten, die beim Wechsler nur mit vier Fünftel Verlust untergebracht werden konnten und die nach dem Frieden von den königlichen Kassen mit dem schlechten Kriegsgelde, also mit ungeheurem Kursverlust, eingelöst wurden.

      Statt nun aber auf den pflicht- und sachgemäßen Einspruch des Generaldirektoriums zu hören, benützte der König die willkommene Gelegenheit, dem preußischen Beamtentum einen letzten, vernichtenden Schlag zu versetzen. Er ließ aus Frankreich einen Haufen von Steuer- und Zollbeamten kommen, »eine Bande unwissender Spitzbuben«, wie Hamann sagte; »Sansfassons und Raubmarquis, die man zur Ferme kommen ließ«, wie Bürger in einer Ballade sang; »lauter Schurkenzeug«, wie der König selbst nach fast zwanzigjähriger Bekanntschaft sie nannte. Ihnen übertrug er die Verwaltung der Akzise und der Zölle, denn aus den direkten Steuern war – wir werden gleich sehen, weshalb nicht – nichts mehr herauszupressen. Wie das so in Preußen alte Sitte ist, wurde die Erhöhung der Steuerlast abermals als eine »Reform« der Steuern ausposaunt. Der König sagte dem Franzosen de Launay, dem Leiter der neuen »Generaladministration der königlichen Gefälle«, die im Volksmunde den kürzeren Namen der Regie erhielt: »Nehmen Sie nur von denen, die bezahlen können; ich gebe sie Ihnen preis.« In einem Briefe an Launay nannte er sich den Anwalt der Arbeiter und Soldaten, deren Vorteile er bei der Steuerverwaltung wahrzunehmen habe, und in einem öffentlichen Patente erläuterte er die »Reform« der Steuern dahin, daß »die Reichen mit ihrem Überfluß in gewisser Weise zur Entlastung der Armen beitragen und daß zwischen beiden ein gerechtes und verständiges Verhältnis besteht«. Dies sind die Sätze, auf denen die schöne Legende des friderizianischen »Sozialismus« beruht. Schade nur, daß die Apostel dieser Legende sich an der Bewunderung von Friedrichs Worten genügen lassen und stets hinzuzufügen vergessen, daß seine Taten über seine Worte dahinjagten wie ein Regiment schwerer Kavallerie über den Töpfermarkt.

      Beispielsweise hatte der »Anwalt der Arbeiter und Soldaten« mit Worten die denkbar höchste Steigerung der Weinsteuer befürwortet, denn »so was bezahlt der Arme nicht«, dagegen eine Herabsetzung der Branntweinsteuer verlangt und höchstens eine kleine Steigerung der Biersteuer zugelassen. Dagegen verfügte der König mit Taten eine kleine Erhöhung der Weinsteuer, eine Steigerung der Branntweinsteuer mindestens um die Hälfte und die Verdoppelung der Biersteuer. In Wirklichkeit brachte die Regie den Volksmassen einzig eine teilweise Ermäßigung der Brotsteuer; dagegen erhöhte sie in mehr oder minder erheblichem Maße die Steuern auf Fleisch und Getränke, fügte sie zu dem drückenden Salzmonopol ein ebenso drückendes Tabak- und Kaffeemonopol, unterwarf sie überhaupt alles, was der Mensch zum Leben und Sterben braucht, der Akzise, so daß beispielsweise das Verzeichnis der Akzisegegenstände für Berlin 107 Folioseiten umfaßte, deren jede durchschnittlich 30 bis 40 Artikel enthielt. Befreit von allen diesen Lasten blieb nach wie vor die reichste Klasse der Bevölkerung, nämlich der Adel. Zwar wollten die »Sansfassons und Raubmarquis«, die es sich nicht vergebens hatten sagen lassen, daß ihnen die wohlhabenden Klassen preisgegeben seien, und denen ohnehin in beklagenswerter Weise das historische Verständnis für die durch Lug und Trug ergatterte Steuerfreiheit der Junker fehlte, auch dem Adel ihre Schröpfköpfe ansetzen, aber hier legte der König ein sehr entschiedenes Veto ein. Nominell war zwar das platte Land überhaupt von der Akzise frei, aber da ebendeshalb der Betrieb von Handwerk und Industrie mit wenigen Ausnahmen auf dem Lande verboten war, so mußte die ländliche Bevölkerung, was sie an Kleidung und Nahrung, an Arbeitswerkzeugen und Genußmitteln nicht selbst produzierte, aus den Städten entnehmen und in dem Preise, den sie dort entrichtete, auch die Verbrauchssteuer mit bezahlen. Hier also mußte die »gesetzliche« Steuerfreiheit des Landadels gegen die Gelüste der Regie noch besonders verpanzert werden, und so verfügte Friedrich, daß, was die Junker an Bier, Wein und sonstigen steuerpflichtigen Gegenständen auf ihre Güter einführten, von der Akzise völlig befreit sein solle. Dagegen mußte der Bauer in dem Pfluge, mit dem er arbeitete, in dem Rocke, mit dem er zur Kirche ging, in dem Glase Bier oder der Pfeife Tabak, mit denen er auf Augenblicke seine nagenden Sorgen betäubte, auch noch zur Akzise mitsteuern.

      Trotz alledem erreichte der König seinen Zweck nicht; die Regie hat ihm die jährlichen Mehreinkünfte nicht in dem ersehnten Maße gebracht. Nach den günstigsten Berechnungen hat sie in den 21 Jahren ihres Bestehens etwa ebenso viele Millionen Mehrertrag abgeworfen, nach den wahrscheinlichsten noch erheblich weniger, etwa 700 000 bis 800 000 Taler fürs Jahr. Und mit Recht hat schon der alte loyale Preuß hervorgehoben, daß diese höheren Einnahmen in der langen, nur durch ein Kriegsjahr unterbrochenen Friedenszeit von 1766 bis 1787 »durch erhöheten Wohlstand und vermehrte Bevölkerung bei redlicher Verwaltung« gleichfalls erzielt worden wäre. Die Ursachen des Mißlingens liegen auch auf der Hand. Die Kosten der Akzise- und Zollverwaltung stiegen durch die Regie von 300 000 auf 800 000 Taler; außerdem waren die französischen Beamten durch Tantiemen beteiligt, und die meisten wirtschafteten daneben in ihre Taschen. Dazu kam, daß eine so drückende und raffinierte Besteuerung ununterbrochene Defraudationen erzeugte. Zwar bedrohte der König die Hinterziehungen der Akzise mit sehr schweren Strafen, und zu ihrer Verhütung entstand ein wahrhaft scheußliches Denunziations- und Spioniersystem, aber das alles half, wie immer in solchen Fällen, wenig oder nichts. Die Masse der Bevölkerung stand eben hinter den Schmugglern, und von Gewissensbedenken brauchte sie sich um so weniger plagen zu lassen, als der Schmuggel, soweit es sich um die Einschwärzung preußischer Waren durch die Zollschranken der benachbarten Gebiete handelte, keinen eifrigeren Beschützer besaß als den König. Unter diesen Umständen war es noch eine Art grönländischen Sonnenscheins, daß wenigstens das Haupt der französischen