Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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sich daraus eine erhebliche Verschlechterung des Menschenmaterials. Bei der eigenen Werbung hatten die Kompaniechefs immerhin ein gewisses Interesse, auf einen möglichst starken und zuverlässigen Menschenschlag zu sehen; je weniger Abgang von Ausländern sie hatten, um so größer war ihr Profit. Des Königs Werbeoffiziere hatten gerade im Gegenteile das Interesse, den verrufensten Menschenkehricht aus aller Herren Länder aufzutreiben, denn der war am billigsten zu haben, und je billiger sie warben, um so mehr profitierten sie an den Werbegeldern. »Es gibt Offiziers, die den Menschenhandel so gut verstehen wie die Juden, welche den Engländern und Franzosen ihre Sklaven für die Kolonien liefern«, schrieb der preußische Leutnant Rahmel, nachdem er in den amerikanischen Dienst übergetreten war. Boyen aber schreibt von den Ergebnissen der »großen Werbung«, man könne ohne Übertreibung sagen, daß von den jährlich in die Armee eintretenden ausländischen Rekruten höchstens die Hälfte leichtsinnige, aber nicht durchaus verdorbene Menschen waren, während die andere Hälfte aus nichtsnutzigen Wesen bestand, die das Desertieren aus einem Dienste in den andern, um sich im neuen Handgeld berauschen zu können, zum Gewerbe ihres Lebens machten, in der Zwischenzeit aber durch Betrug und Diebstahl sich eine Zulage in ihrer Garnison zu erhaschen suchten. Erinnerungen aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Hermann v. Boyen, 1, 195 ff. Boyen ist der berühmte Schüler von Scharnhorst, der Freund und Gesinnungsgenosse von Gneisenau, Grolman, Clausewitz, der preußische Kriegsminister von 1814 bis 1819, der nach dem endgültigen Siege der junkerlichen Reaktion in den Karlsbader Beschlüssen sein Amt niederlegte. Seine Memoiren sind ein höchst bedeutendes Werk, das unter der preußischen Legende die fürchterlichsten Verheerungen anrichtet, worauf hier leider nicht näher eingegangen werden kann. Es sei aber ausdrücklich erwähnt, daß die obige Darstellung der friderizianischen Kriegsverfassung teils auf Boyens Memoiren, teils auf dem großen, schon mehrfach angezogenen Werke des Generalstabsmajors Jähns beruht. Andere Quellen, wie das bekannte von der preußischen Geschichtsschreibung als tendenziös angefochtene und jedenfalls nicht in gleichem Maße quellenmäßige Werk von Mirabeau-Mauvillon, sind absichtlich unberücksichtigt geblieben. Um dies Gesindel, dessen unausgesetzte Exzesse den Soldatenstand in den übelsten Ruf brachten, einigermaßen bändigen und an die Fahne fesseln zu können, war die gewaltsamste Behandlung notwendig, und diese wirkte dann wieder im höchsten Grade demoralisierend auf die besseren Elemente der Truppe zurück. Um nur eins zu erwähnen: Man legte den schlechten Soldaten, namentlich zur Überwachung während der Nacht, zu einem guten ins Zimmer; gelang dem schlechten dennoch die Desertion, so mußte der gute unbarmherzig Spießruten laufen. Die Soldatenmißhandlungen stiegen ins Unerträgliche; die »abscheulichen Stubenexekutionen« gewannen damals zuerst ihren unheimlichen Ruf; Selbstmord und Wahnsinn rafften die noch nicht jeden Ehrgefühls baren Rekruten dahin. Wie der Reichskanzler v. Caprivi noch nach dem Erscheinen von Boyens Erinnerungen, von allen andern urkundlichen Zeugnissen abgesehen, im Reichstage bestreiten konnte, daß die Soldatenmißhandlungen der Kitt des friderizianischen Heeres gewesen seien, ist ein völliges Rätsel. Der Stock gehörte zu diesem Heere wie der Schatten zum Körper, und wenn er leider auch noch im deutschen Heere der Gegenwart eine jammervolle Rolle spielt, so geschieht es deshalb, weil dies Heer eben kein »Volk in Waffen« ist, sondern mit der allgemeinen Wehrpflicht wesentliche Teile der friderizianischen Kriegsverfassung verbindet. Solange es ein bevorrechtetes, als besondere Kaste von Heer und Volk abgesondertes Offizierkorps, eine besondere militärische Gerichtsbarkeit, grausame Arreststrafen, die an gewissem Raffinement fast noch die friderizianischen Kriegsartikel überbieten, und anderes der Art mehr gibt, werden auch die Soldatenmißhandlungen nicht aufhören. Mit Verboten ist dagegen nichts zu machen. Sie sind gar nicht einmal eine Errungenschaft »moderner Humanität«, sondern auch nur eine Überlieferung des Söldnerheeres; das erste Verbot der Soldatenmißhandlungen hat sogar schon der Kurfürst Friedrich Wilhelm am 29. Januar 1688 erlassen. Die Mißhandlungen, die darin gerügt sind, können sich übrigens nicht entfernt mit den schaudererregenden Torturen messen, die der bekannte Erlaß des Herzogs Georg von Sachsen aufzählt. Und mit alledem noch nicht genug. Die inländische Rekrutierung verdarb auf diese Weise auch vollständig. Der Kriegsdienst war die entehrendste und peinvollste Strafe in preußischen Landen geworden und wurde zuletzt vom Könige auch als solche verhängt, so über Preßvergehen, wie wir schon gesehen haben. Die natürliche Folge davon war, daß alle Bevölkerungsklassen, die überhaupt noch etwas zu verlieren hatten, vom Kriegsdienste »eximiert« werden mußten. Man durfte gar nicht daran denken, den höherentwickelten westlichen Landesteilen mit der Kantonpflicht zu nahen, eine ökonomische Notwendigkeit, deren bitteren Beigeschmack sich Friedrich durch die Behauptung versüßte, daß der rheinisch-westfälischen Bevölkerung »Treue und Ausdauer im militärischen Dienstverhältnis fehle«. Aber auch in den ostelbischen Provinzen reichten die »Exemtionen« herab bis auf die Arbeiter, die »nützliche Gewerbe trieben«. Für die Enrollierung blieb nur übrig einerseits landstreicherisches und verbrecherisches Gesindel, andererseits die – ärmste Armut, der jedes Mittel zur Flucht und zum Widerstande fehlte, es sei denn, daß die einen sich den Daumen verstümmelten, was den König zu besonderen verbietenden Edikten veranlaßte, oder daß die anderen sich für Schinder- und Scharfrichterknechte ausgaben, welche erdichtete Infamie sie im Bayerischen Erbfolgekriege aber auch nicht vor Aufnahme in die Freikorps schützte. Treffend nennt Boyen die Rekrutierung unter Friedrich eine »an der Armut ausgeübte Gewalttat«.

      Ferner aber hatte die »Reform« des Königs noch eine andere verhängnisvolle Seite. Wenn er die Einkünfte der Junker-Offiziere durch die »große Werbung« schmälerte, so waren diese braven Patrioten keineswegs geneigt, sich ihren Profit schmälern zu lassen. Für das, was ihnen der Kriegsherr nahm, erholten sie sich an dem Kriegsknechte. Die Kompaniechefs bewirtschafteten ihre Aushebungsbezirke wie eine Art Eigentum; das Grauen der Bevölkerung vor dem Kriegsdienste gab ihnen trotz aller »Exemtionen« willkommenen Anlaß zu allerlei Erpressungen; mit barem Gelde mußten sich die Kantonisten, auch wenn sie gar nicht zum Kriegsdienste herangezogen werden durften, die Erlaubnis zur bürgerlichen Niederlassung und zur Verheiratung einhandeln. Dann aber wurde eine neue Form der Beurlaubung erfunden. Der König hatte 1763 bestimmt, daß wenigstens 76 sogenannte Diensttuer auf die Kompanie beständig bei den Fahnen bleiben sollten, aber bald mußte er nachgeben, daß auch von diesen 76 noch 26 Mann als Freiwächter, das heißt, da es sich zumeist um Ausländer handelte, innerhalb der Garnisonmauern beurlaubt werden konnten. Aus den 26 machten die Hauptleute aber oft 40 und noch mehr, so daß für zehn Monate des Jahres höchstens 50 bis 40 Mann auf die Kompanie bei den Fahnen standen; der Sold der Freiwächter, die selber sehen mochten, wo sie Beschäftigung fanden, fiel in die Tasche der Hauptleute. In dasselbe Gebiet gehört es auch, daß die inländischen Rekruten, die bei ihrem Eintritt in das Heer zunächst ein Jahr unter den Waffen bleiben sollten, schon nach einmaliger Exerzierzeit ohne jede Rücksicht auf ihre militärische Ausbildung beurlaubt wurden. Weiter wurden die Kleiderkassen wahre Goldgruben für die Junker-Offiziere. Sie verschlechterten die Montierungsstücke, um in ihren eigenen Geldbeutel zu wirtschaften. Sie kürzten den Schnitt der Röcke, wodurch eine bedeutende Anzahl Ellen des Zeuges gespart wurden. Die Weste der Soldaten wurde nach und nach von der junkerlichen Profitwut ganz verspeist; man begann damit, ihre Ärmel abzuschneiden und endete damit, sie durch einen zwischen den vorderen Rockklappen angenähten Lappen zu markieren. Ein leckeres Gericht für die Hauptleute war auch das Schuhzeug der Mannschaft; »wenn Dido«, so schreibt der schon erwähnte Leutnant Rahmel, »aus einer Kuhhaut den Platz zur Erbauung einer Stadt schnitt, so wollen die Kapitäns aus den Schuhsohlen ihrer Kompanie den Plan zu ein paar Rittergütern schneiden«. Anderes, beispielsweise wie bei der Lieferung der Fourage für die Kavallerie die Bauern übers Ohr gehauen wurden, wie in den Listen gestorbene Soldaten als lebend fortgeführt, wie bei den Revuen die Lazarette ausgeleert wurden, um die Rotten zu füllen, und sonstige Einzelheiten dieses höchst raffiniert ausgebildeten Gaunersystems übergehen wir; die angeführten Tatsachen genügen zur Erklärung dafür, daß Boyen die Offiziere dieses friderizianischen Heeres nicht mehr Soldaten, sondern »wuchernde Krämer« nennt.

      All dem Unwesen sah der König ruhig zu. Höchstens daß er mal eine Order gegen das Überhandnehmen der Freiwächter erließ, aber wenn sie nicht half, so gab er sich auch zufrieden. In dem Heere selbst fehlte jede Kontrolle, denn auch wenn der Hauptmann zum Obersten oder General aufrückte, behielt er eine Kompanie; diesen Fleischtopf nahm er bis zu den höchsten Chargen mit, und da somit alle höheren Offiziere Krähen waren, so hackte keiner dem andern die Augen aus. Was dabei aus dem kriegerischen