Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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schon von der Höhe herabsank, die er unter Friedrich Wilhelm erreicht hatte. Als Friedrich den Thron bestieg, hatte er sich mit allerlei literarischen und philosophischen Fragen befaßt, aber seine staats- und volkswirtschaftlichen Kenntnisse waren selbst für den Maßstab seiner Zeit sehr lückenhaft und unvollständig; die patriotische Fabel von dem praktischen Kursus, den er während seiner Küstriner Gefangenschaft in diesen Dingen gemacht haben soll, ist gegenüber den urkundlichen Zeugnissen selbst von den loyalen Geschichtsschreibern aufgegeben worden. Den Kleinbetrieb der Verwaltung, den er nach dem Willen seines Vaters in Küstrin lernen sollte, hat er nicht gelernt, nicht einmal lernen wollen; darüber sind die Klagen der Küstriner Behörden unerschöpflich, und der Kammerdirektor Hille tröstete sich mit der Hoffnung, daß er als Regent sich um die kleinen Einzelheiten nicht kümmern werde. Koser, Friedrich der Große als Kronprinz, 91 f. Aber bekanntlich kümmerte sich Friedrich als erster Diener des Staats um jeden Quark, und dazu verknöcherte die Art seines Selbstherrschertums noch die sehr unreifen Ansichten, mit denen er die Regierung angetreten hatte. Mit Recht hebt ein bürgerlicher Ökonom hervor, daß Friedrich, wie er selbst und seine Dienerschaft im Jahre 1786 nicht anders gekleidet gingen wie im Jahre 1740, so auch in anderen »wichtigeren Dingen zeitlebens bei den Anschauungen beharrte, die er als Kronprinz gewonnen hatte« Roscher, Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland, 414.. In den zwölfhundert Kabinettsordern, deren Wortlaut Preuß in den Urkundenbüchern zu Friedrichs Lebensgeschichte veröffentlicht, kann man von Jahr zu Jahr verfolgen, wie der König nicht eigentlich beschränkter – denn die Beschränktheit blieb immer dieselbe –, wohl aber eigensinniger und höhnischer gegen die fortschreitende Erkenntnis der Zeit wurde, und der vielgepriesene »Geist« dieser Verordnungen besteht tatsächlich nur in bald guten, bald schlechten, aber immer gleich peinlichen Witzen, worüber schon Lessing das erschöpfende Urteil gefällt hat: »Gott hat keinen Witz, und die Könige sollten auch keinen haben, denn hat ein König Witz, wer steht uns für die Gefahr, daß er deswegen einen ungerechten Ausspruch tut, weil er einen witzigen Einfall dabei anbringen kann?« Dieser Gefahr ist Friedrich immer wieder erlegen, und nicht zum wenigsten deshalb ging bei seinem Tode ein frohes Aufatmen durch die ganze Bevölkerung, weil sein Despotismus, wie in den Grundsätzen beschränkt und zäh, so in ihrer Handhabung launenhaft und willkürlich war. Goethe hörte bei einem Besuche in Berlin »über den großen Menschen seine eigenen Lumpenhunde räsonieren«; schade, daß er nicht ein paar Jahre unter dem Zepter Friedrichs lebte, um zu einem gründlichen Verständnisse dessen zu gelangen, was es mit den »Lumpenhunden« einer- und den »großen Menschen« andererseits auf sich hat.

      In erster Reihe das Heer, das Rückgrat des Militärstaats, verfiel unter Friedrich. Es ist lehrreich zu sehen, wie es ihm auch hier im Gegensatze zu seinem Vater mehr auf den Schein als das Wesen der Macht ankam. Während Friedrich Wilhelm I. die ökonomische Ausbeutung des Heeres durch die Junker nach Kräften hinderte, aber die Offiziere als seine Kameraden behandelte und den kameradschaftlichen Geist unter ihnen pflegte, ließ sein Sohn dem ausbeuterischen Treiben der Junker die Zügel schießen, während er sich nach dem Satze: Teile und herrsche! über die Offiziere als unnahbarer Kriegsherr aufzuschwingen und sie in jeder Weise zu schikanieren suchte. Gleich nach seiner Thronbesteigung stellte Friedrich dem Feldmarschalle seines Vaters, dem Fürsten von Dessau, einen andern Feldmarschall in dem Grafen Schwerin entgegen, und indem er bald den einen, bald den andern vorzog, bald den einen, bald den andern zurücksetzte, verhetzte er sie mit so glücklichem Erfolge, daß sich durch das ganze Offizierkorps eine anhaltinische und eine schwerinische Partei bildete, die dann auch nach dem Tode ihrer Häupter sich zu befehden fortfuhren. Ein ähnlicher Zwiespalt wie an der Spitze des ganzen Heeres wiederholte sich an der Spitze jedes einzelnen Regiments, indem Friedrich die Beziehungen zwischen Chef und Kommandeur in »einer nicht genau bestimmten Mischung von Subordinations- und sogenannt kollegialischem Verhältnisse« beließ. Fouqué, Lebensbeschreibung des Generals Fouqué, 55. Bekannt ist der eifersüchtige Neid, womit Friedrich im Kriege jeden General verfolgte, der ihn selbst verdunkelte oder auch nur zu verdunkeln schien; wie oft haben Schwerin und Seydlitz seine »Ungnade« erfahren müssen! Aber die Verehrer des Königs tun ihm zuviel, wenn sie als eine Schwäche seines persönlichen Charakters zu beschönigen suchen, was tatsächlich nur eine Schwäche seiner sozialen Stellung war. Friedrich war durchaus kein miles gloriosus; in seinen Schriften spricht er mit anständiger Bescheidenheit von seinen kriegerischen Erfolgen, mit anständiger Offenheit von den Mißgriffen seiner Feldherrnlaufbahn. Aber er glaubte den unumschränkten Kriegsherrn nur so spielen zu können, daß er keinen Junker zu einer überragenden Stellung im Heere kommen ließ. Nach dem Siebenjährigen Kriege ernannte er überhaupt keinen Feldmarschall mehr und kaum zwei oder drei Generale; bei seinem Tode war unter den aktiven Offizieren des Heeres nur ein einziger, auch schon halb abgedankter General, der alte Tauentzien, Lessings bekannter Freund.

      Während der König aber auf diese Weise die militärische Tüchtigkeit des Offizierkorps verringerte, ließ er seiner ökonomischen Entartung den freisten Spielraum. Er verstand nicht seines Vaters Meinung, daß des Königs Kriegsknecht es besser haben müsse als des Gutsherrn Ackerknecht; er gestattete dem Offizier, den Kriegsknecht auszubeuten, wie nur immer der Junker den Ackerknecht ausbeuten mochte. In der ersten Hälfte von Friedrichs Regierung hielt die alte Überlieferung, die ewige Kriegsnot, vielleicht auch die frischere Kraft des Königs das Gefüge des Heeres noch einigermaßen aufrecht trotz aller Mißbräuche, die auch damals schon eingerissen waren. Nachdem aber der Siebenjährige Krieg das alte Heer verschlungen hatte, wußte Friedrich nur ein neues Heer zu schaffen, das schon bei der ersten Probe; im Bayerischen Erbfolgekriege von 1778, vollständig versagte. In dem einen Feldzuge verlor es mehr Mannschaften durch Desertion als im ganzen Siebenjährigen Kriege. Friedrich war überrascht, aber er wurde keineswegs durch den argen Mißerfolg belehrt. Er war wohl flink bei der Hand mit dem Kassieren einzelner Offiziere, aber er änderte nichts an seinem falschen System. Während schon zu seiner Zeit scharfsichtige Beobachter erkannten, daß dies Heer verfallen mußte, weil es mehr und mehr von einer bevorzugten Klasse ausgebeutet wurde, warf Friedrich die bürgerlichen Offiziere, die er in den letzten Notjahren des Siebenjährigen Krieges hatte ernennen müssen, nach dem Frieden trotz aller Verdienste einfach aufs Pflaster und füllte die Lücken lieber durch adelige Abenteurer aus der Fremde, denn er sah nun einmal »den ersten Schritt zum Verfalle des Staats« in der Anstellung bürgerlicher Offiziere. Œuvres, 9, 186.

      Hier aber lag die Wurzel des Übels. Die Kompaniewirtschaft der Junker, die Friedrich Wilhelm möglichst in Schranken zu halten suchte, nahm unter Friedrich zunächst folgende Gestalt an. Der König zahlte Jahr für Jahr die Monatslöhnung von drei Taler fünf Groschen auf den Gemeinen für die gesamte Kopf stärke der Kompanie. Die Exerzierzeit war aber schon von drei Monaten auf zwei zusammengeschrumpft; während zehn Monaten des Jahres durften die Hauptleute 50 bis 60 von den etwa 70 Inländern der Kompanie beurlauben und den entsprechenden Betrag der Gesamtlöhnung in die Tasche stecken. Dafür waren sie verpflichtet, den Bestand der Ausländer, 50 bis 60 Mann auf die Kompanie, vollständig zu erhalten, und zwar in bestimmten Größen – nicht unter fünf Fuß zehn Zoll. Im allgemeinen rechnete man den jährlichen Abgang von Ausländern bei einer Kompanie auf vier Mann, zu deren Ersatz ungefähr 500 Taler nötig waren. Ferner hatten die Kompaniechefs für die Instandhaltung der gelieferten und den Ersatz der fehlenden kleinen Montierungsstücke zu sorgen. Immer aber blieb ihnen ein bedeutender Reingewinn. Jähns, 3, 2259. Nach Pertz, Gneisenau, 1, 51, bezog selbst Gneisenau, an dem kein Verdacht unredlichen Gewinns haftet, von seiner Kompanie bis 2000 Taler jährlich. Die Beschaffung der großen Montierungsstücke (Rock, Hose, Weste, Hut oder Mütze, Strümpfe und Reiterstiefel) besorgte die Kleiderkasse des Regiments, für die jedem Unteroffizier und Gemeinen ein Teil der Löhnung abgezogen wurde; von dem monatlichen Solde gingen ein Taler fünf Groschen für Kleider und sonstige Regimentsunkosten drauf.

      Diese Kompaniewirtschaft rührte im wesentlichen noch aus Friedrich Wilhelms Zeit her, sosehr sie unter Friedrich auch schon dadurch verschlechtert worden war, daß jedes Gegengewicht gegen die durch diese ganze Wirtschaft immer wieder angereizte Ausbeutungslust der Junker fehlte. Nach dem Siebenjährigen Kriege entschloß sich der König aber zu einer »Reform«, die dem Fasse den Boden ausschlug. Er entzog nämlich einem großen Teil der Regimenter, besonders denen, die im Kriege seine Unzufriedenheit erregt hatten, die eigene Werbung. Er ließ den betreffenden Kompaniechefs etwa noch 30 oder 20 oder auch nur 10 Beurlaubte zugute kommen,