Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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untersuche, so beneide ich alle itzt regierenden Könige in Europa, den einzigen König von Preußen ausgenommen, der es einzig mit der Tat beweist, Königswürde sei eine glorreiche Sklaverei.« In der Tat erkannte Friedrich von Anfang an, daß gemäß der preußischen Verfassung jeder preußische König unweigerlich den alten Kurs zu segeln hat, und darin, daß er auch nicht einmal versuchte, wider den Stachel zu löcken, obgleich ihm nach Anlagen und Neigungen eine solche Versuchung unter allen preußischen Königen weitaus am nächsten lag, wurzelt sein Anspruch auf historische Bedeutung oder – wenn denn einmal das Wort gebraucht werden soll – auf historische Größe.

      Aber eben weil dazu ein nicht gewöhnlicher Charakter und ein nicht gewöhnlicher Geist gehörten, liegt es von vornherein auf der Hand, daß jene »Reformen Friedrichs im Innern«, von denen Lassalle spricht, niemals bestanden haben und niemals auch nur geplant worden sind. Friedrichs Thronbesteigung wurde ein Tag der Enttäuschungen, wie einer der schmerzlich Enttäuschten selber schrieb. Der von seinem Vater so arg mißhandelte »Querpfeifer und Poet«, der seine Uniform einen »Sterbekittel« genannt hatte, erließ das kurze und bündige Regierungsprogramm: Alles bleibt auf dem Fuße, auf dem mein Väter es eingerichtet hat; nur das Heer will ich um soundso viel Bataillone und Schwadronen vermehren. Die Mittel dazu gewann Friedrich zunächst durch die Auflösung des Riesenregiments, das sein Vater in einer närrischen Liebhaberei aus menschlichen, durch greuliche Gewalttaten und um wahnsinnige Summen aus allen Enden der Welt herbeigeschafften Kolossen zusammengesetzt hatte. Sonst änderte Friedrich aber nichts oder doch nichts Wesentliches an den Einrichtungen Friedrich Wilhelms I., weil er trotz aller philosophischen und poetischen Schwärmerei und trotz des schroffsten persönlichen Gegensatzes zu seinem Vater sehr wohl wußte, daß er nichts daran ändern konnte, daß der preußische Staat so bestehen mußte, wie er bestand, oder überhaupt nicht bestehen konnte.

      Eine einzige wichtige Änderung scheint Friedrich nun aber doch an dem bisherigen Regierungssystem vorgenommen zu haben, nämlich die schon erwähnte Steigerung der fürstlichen Machtvollkommenheit, die in dem geflügelten Worte von dem Fürsten als dem ersten Diener des Staats ihren ideologischen Ausdruck gefunden hat. Da hat anscheinend doch der überlegene Wille eines kräftigen Herrschers einen tiefen Schnitt in die auf ökonomischen Grundlagen beruhende Verfassung des Staats getan. Allein dieser Schein trügt vollständig. Es vollzog sich hier ein ähnlicher Prozeß wie hundert Jahre vorher unter Friedrichs Urgroßvater. Damals verzichteten die Junker scheinbar auf ihre politischen Vorrechte, indem sie die Errichtung des fürstlichen Absolutismus durch das stehende Heer und die ständige Steuer zugaben, aber was sie in ihren verfallenen Ständetagen preisgegeben hatten, gewannen sie zehnfach durch die ökonomischen, sozialen und militärischen Vorrechte wieder, die ihnen der Absolutismus einräumen mußte, ehe sie ihm ihren Segen gaben. In ganz ähnlicher Weise regierte Friedrich II. mit einigen subalternen Schreibern aus seinem Kabinett den Staat, während tatsächlich unter seiner Regierung jenes Adelsregiment aufwucherte, das bei Jena ein schmachvolles, aber hundertfach verdientes wenn auch leider noch immer nicht endgültig besiegeltes Schicksal ereilt hat.

      Die ideologische Geschichtsschreibung ist bisher unfähig gewesen, die Aufklärung des friderizianischen Despotismus zu analysieren; sie hat nur verstanden, mit preisenden oder scheltenden, mit schmeichelnden oder schimpfenden, aber stets ganz allgemeinen und leeren Redensarten darüber hinwegzutappen. Aber von der materialistischen Geschichtsauffassung wissen wir, daß die »Geschichte aller bisherigen Gesellschaft die Geschichte von Klassenkämpfen« ist. Das hatte Friedrich Wilhelm I. auf seine Weise ganz gut begriffen, Friedrich II. aber begriff es nicht. Wenn man unter aufgeklärtem Despotismus das Verständnis für die historische Möglichkeit und damit auch für die historische Berechtigung des Despotismus versteht, so war Friedrich Wilhelm I. ein sehr viel aufgeklärterer Despot als sein Sohn. Indem er der herrschenden Klasse des Junkertums, so gut er es vermochte, den Boden streitig machte, indem er sich ein fürstliches Heer, ein fürstliches Beamtentum zu schaffen suchte, indem er möglichst viel bürgerliche Elemente in die Staatsverwaltung zog, vertrat er den Despotismus, der nach den allgemeinen Zeitverhältnissen möglich und über die feudale Wirtschaft des Mittelalters hinaus ein historischer Fortschritt war. Friedrich dagegen besaß zwar jenes welfische Herrscherbewußtsein, das dem hohenzollernschen, wie alte und neue Beispiele zeigen, noch überlegen ist, aber von dem fürstlichen Klassenbewußtsein seines Vaters hatte er viel zuwenig. Friedrich Wilhelm I. witterte mit gutem Klasseninstinkte in der »Hoffart« seines Sohnes eine schwere Gefahr für den fürstlichen Despotismus; sie verhieß dem Junkerregimente, das er selbst auszurotten getrachtet hatte, eine neue Blüte. Selbst in seiner Küstriner Gefangenschaft, in einem Leben voll der schwersten Demütigungen, machte Friedrich ungezogene Bemerkungen darüber, daß adlige Landräte an den bürgerlichen Kammerdirektor Hille als an ihren Vorgesetzten berichten mußten, worauf Hille mit treffender Ironie erwiderte, die Welt sei allerdings auf den Kopf gestellt, wie könnten sonst Fürsten, die nicht recht klug wären oder sich nur mit Tand abgäben, vernünftigen Leuten Befehle erteilen? Die derbe Lektion fruchtete so wenig wie die Schläge des Vaters. Friedrich hat nie begriffen, daß die despotische Macht, die sein Vorgänger ihm vererbte, im Kampfe gegen das Junkertum erobert war und also auch nur im Kampfe gegen das Junkertum erhalten oder gar gesteigert werden konnte.

      Dies in der Tat ist der springende Punkt, aus dem sich der Despotismus Friedrichs erklärt, soweit er sich von dem Despotismus seines Vaters unterschied. So töricht war der König nicht, den Selbstherrscher in dem Sinne spielen zu wollen, in dem er ihn nach den heutigen Bewunderern seines aufgeklärten Despotismus gespielt haben soll; um sich mit einem sic volo sic jubeo über die tatsächlichen Machtverhältnisse hinwegzusetzen, dazu war er viel zu einsichtig. Wollte er den ersten Diener des Staats vorstellen, wollte er sich unabhängig machen von dem Mitraten und Mittaten des Beamtentums, so mußte er den Adel bei seiner gnädigen Laune erhalten. Das wußte und berücksichtigte er sehr gut. Er überhäufte den Adel in sehr unphilosophischer Weise mit allen erdenklichen Begünstigungen und Vorrechten; er förderte die Junkerherrlichkeit in einer Weise, die seinem Vater ganz fremd gewesen war. Während Friedrich Wilhelm die Tüchtigkeit der Beamten an ihrer Widerstandskraft gegen die junkerlichen Interessen abmaß, empfahl Friedrich dem Generaldirektorium als den Hauptzweck der staatlichen Verwaltung die Erhaltung des Adels. Während Friedrich Wilhelm das Landratsamt den Junkern zu entreißen bemüht war, machte Friedrich das ständische Vorschlagsrecht nicht nur zu einem wirklichen Wahlrecht, indem er seine Bestätigung immer unweigerlich gab, sondern er schloß noch obendrein die Domänen, die Amtsstädte, die Güter in städtischem Besitze von der Wahl der Landräte aus. Und so in allem. Friedrich Wilhelm suchte den Klassenkampf mit dem Adel, Friedrich wich ihm aus. Was jener erkämpfen wollte, das wollte dieser erkaufen. Aber der Vater verstand viel besser, worauf es im Widerstreite der sozialen Interessen ankommt, als der Sohn. Mochte Friedrich Wilhelm im Kriege gegen das Junkertum verhältnismäßig wenig erreichen, es war tatsächlich viel mehr als das verhältnismäßig Große, das der berühmteste Selbstherrscher des achtzehnten Jahrhunderts erreicht zu haben schien. Die Steigerung der Souveränität, die Friedrich dem Adel abkaufen wollte, war ebendeshalb ein leerer Dunst. Er gab das Wesen der Macht hin für ihren Schein. Es kam hinzu oder vielmehr: Es hing mit der Verschiedenheit in dem fürstlichen Klassenbewußtsein der beiden Könige zusammen, daß Friedrich Wilhelm, der über wenig mehr als zwei Millionen Einwohner herrschte, täglich fünf bis sechs Stunden mit seinen Kabinettsräten, mit dem Generaldirektorium arbeitete; Friedrich II. aber, unter dem die Bevölkerungsziffer auf sechs Millionen anwuchs, machte täglich – mit Ausnahme der militärischen Revuen – alles in anderthalb Stunden ab, ohne die Minister zu hören, ja mit geflissentlicher Mißachtung und Mißhandlung des Beamtentums. Menschlich mag es sehr wohl zu verstehen sein, daß ein geistig angeregter Mann sich möglichst schnell aus dem eintönigen und traurigen Räderwerk dieses Staatswesens zu seinen Dichtern, Musikern und Philosophen flüchtete; politisch ist es aber klar, daß Friedrich, der auf diese Weise das ganze staatliche Getriebe bis auf die kleinste Einzelheit zu übersehen und zu leiten glaubte, tatsächlich gar wenig übersah und leitete. Die wirkliche Regierung fiel dem Adel um so sicherer zu, als Friedrich ihm auch, abermals in scharfem Gegensatze zu seinem Vater, alle maßgebenden Stellen der bürgerlichen Verwaltung eingeräumt hatte. Der glänzende Schein seines aufgeklärten Despotismus verhüllte einzig ein wucherisches Junkerregiment. So setzt die Dialektik der ökonomischen Entwicklung, je »genialer« sie mißachtet wird, sich um so rücksichtsloser und verhängnisvoller durch.