Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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der innern Verwaltung, Ackerbau, Gewerbe, Handel, Verkehr, Kirchen- und Schulsachen, Rechtspflege usw., kamen höchstens insoweit in Betracht, als sich dabei eine Aussicht eröffnete, die Finanzen steigern und das Heer vermehren zu können. Sie entstanden erst aus der Finanzverwaltung, wie denn Schmoller sagt, daß vornehmlich an der Akzise das preußische Beamtentum erwachsen sei.

      Anzuerkennen ist immerhin, daß der König auch auf diesem Gebiete den Kampf mit dem Junkertum aufnahm. Er beförderte möglichst viele bürgerliche Elemente in die höheren und höchsten Beamtenstellen; er suchte namentlich das Landratsamt, den praktisch wichtigsten Posten der ganzen Verwaltung, den Junkern zu entreißen. Neuere preußische Historiker haben dies Amt in seiner eigentümlich preußischen Form als den letzten Rest altgermanischer Freiheit zu verklären gesucht; Friedrich Wilhelm I. dagegen sah – und darin kann man ihm nur beistimmen – in dem Rechte der kreiseingesessenen Gutsbesitzer, aus ihrer eigenen Mitte den obersten Verwaltungsbeamten des Kreises vorzuschlagen, nichts als einen Hebel mehr für die Herrschaft der Junker, die auf diese Weise ihr Klassenregiment über die bäuerliche Bevölkerung stärken und mit dem Schimmer staatlicher Autorität bekleiden, der Krone aber desto trotziger entgegentreten konnten. Allzuweit ist der König aber auch in diesem Strauße mit den Junkern nicht gekommen; er hat bei der Ernennung der Landräte das ständische Vorschlagsrecht häufig nach der persönlichen, aber nie nach der prinzipiellen Seite hin durchbrochen; er hat gar manches Mal den Kandidaten der Junker durch einen ihm genehmeren Kandidaten ersetzt, aber seinen Kandidaten doch immer auch aus den kreiseingesessenen Junkern genommen. Schmoller, Der preußische Beamtenstand unter Friedrich Wilhelm I.; Preußische Jahrbücher, 26, 162. Der König verstand recht gut, welche Waffe er sich in dem Beamtentum gegen die Junker schmieden konnte; in einer Instruktion an seinen Sohn spricht er offen aus, ein Beamter, der dem Könige treu dienen wolle, werde viele gegen sich haben, besonders den ganzen Adel; dieser alte Gegensatz ist ja noch zu unserer Zeit in dem sprühenden Hasse des Junkers Bismarck gegen die Bürokratie zu lebendigem Ausdruck gekommen. Aber Friedrich Wilhelm I. stumpfte die Waffe, die er sich in der Bürokratie gegen die Junker schmieden konnte und auch zu schmieden begann, selber ab, indem er zugunsten seiner Rekrutenkasse einen schlecht oder gar nicht verhüllten Ämterkauf trieb. Es kommt doch wesentlich auf dasselbe hinaus, wenn des Königs Entscheid in einzelnen Fällen bei Besetzung von Beamtenstellen lautete: »wer das meiste giebt«, oder wenn in einer allgemeinen königlichen Instruktion für das Generaldirektorium dieser Grundsatz dahin gemildert wird, »wer am habilesten ist und am meisten giebet«. Alle Ämter, auch die richterlichen, waren nur durch eine Abfindung mit der Rekrutenkasse zu erlangen; damit war den schlimmsten Mißbräuchen Tor und Tür geöffnet, und die Junker wußten ihren Vorteil gar wohl zu benutzen; der König muß immer wieder die Klage erheben, daß die Beamten »mit dem Adel eine Bande, und, was das allerärgste ist, Partie wider uns selbst machen«.

      Dies war denn so in allgemeinen Zügen die Magna Charta des preußischen Militärstaats, deren Wortlaut teils in vermoderten Scharteken vergraben, teils niemals niedergeschrieben worden ist, aber deren Wirksamkeit sich dauerhafter erwiesen hat als jenes »Blatt Papier«, das sich vorwitzigerweise zwischen »unsern Herrn Gott im Himmel und dieses Land schob«. Der preußische Staat war nur als preußisches Heer möglich; so bedangen es seine ökonomischen Grundlagen. Das Heer war der Staat; »in Preußen wurde konsequent von den Zeiten des großen Kurfürsten bis zum Tode Friedrichs des Großen jede Vermehrung der Einkünfte zur Vergrößerung der Armee verwendet, und die Einkünfte wurden vorzugsweise gesteigert, um die Armee vermehren zu können« Twesten, Der preußische Beamtenstaat; Preußische Jahrbücher, 18, 16.. Die ökonomischen Grundlagen des Heeres bildeten die preußische Verfassung, über deren Schranken kein preußischer König, so absolut regieren und so genial er sich gebärden mochte, auch nur den kleinsten »revolutionären« Sprung wagen durfte, geschweige denn, daß er mit dem Heere »revolutionäre Insurrektionen« machen konnte. Was Lassalle so nennt, war die Eroberung eines Landstrichs, die der preußische Militarismus um Lebens oder Sterbens willen machen mußte; darüber war sich schon der Kurfürst Friedrich Wilhelm klar, sobald er nur erst ein kleines preußisches Heer auf den Beinen hatte. Der von ihm eigenhändig niedergeschriebene Plan zur Erwerbung Schlesiens ist inzwischen durch Ranke aus dem hohenzollernschen Hausarchive veröffentlicht worden; bis auf Stunde und Minute (»demnach nun weltkundig ist, auf was schwachen fußen das Hauß Osterreich bestehet, und das zu befahren, das selbiges Hauß durch absterben, undt nicht Hinterlassung einiger Erben abgehen mochte« Ranke, Genesis des preußischen Staats, 518 ff.) ist hier der Einfall in Schlesien vorhergesehen, den der mehr als zwanzig Jahre später geborene Friedrich II. mehr als fünfzig Jahre später unternahm. Womit allein denn schon die Insurrektion und Revolution beseitigt sein dürfte.

      VII. Friedrichs aufgeklärter Despotismus

       Inhaltsverzeichnis

      Friedrich II. regierte von 1740 bis 1786. Sein aufgeklärter Despotismus gilt als die höchste Form des modernen Absolutismus und zwar in beiderlei Sinn des Wortes: sowohl nach der Unbeschränktheit der fürstlichen Macht hin als auch nach der Verwendung dieser Macht für die Wohlfahrt des Volkes. Die eine wie die andere Behauptung bedarf aber der Einschränkung durch den Satz: innerhalb der Grenzen, die durch die ökonomischen Grundlagen dieses Despotismus gegeben waren. Die preußenfreundlichen Mythologen täten nachgerade wohl daran, sich endlich zu dieser wissenschaftlichen Auffassung zu bekehren; denn in dem holden Streite mit ihren preußenfeindlichen Gegenfüßlern müssen sie hundert Niederlagen gegen einen Sieg davontragen, wenn auf Grund der Einbildung gekämpft wird, daß die Macht Friedrichs unbeschränkt und daß es seine Pflicht gewesen sei, diese Macht im Interesse der Volksmasse zu handhaben.

      Es ist richtig: Die Schranken des Despotismus, die beispielsweise in Frankreich und Österreich durch den Hof und die Kirche errichtet waren, bestanden für Friedrich nicht. Aber um so fester steckte er in dem eisernen Hemde des auf feudaler Grundlage, erwachsenen Militarismus. Sein beweglicher und lebendiger, obschon etwas flacher Geist war für literarische und philosophische Arbeiten wie geschaffen; Friedrich artete mehr nach der Mutter als nach dem Vater, war mehr Welfe als Hohenzoller, wie denn namentlich in seinen jungen Jahren die fremden Gesandten den »hannöverschen Typus« an ihm hervorheben. Unter den Welfen waren aber literarische Neigungen schon seit dem Mittelalter erblich; am Hofe Heinrichs des Löwen dichteten Vorläufer der höfischen mittelalterlichen Poesie; Herzog Heinrich Julius von Braunschweig, der Zeitgenosse Shakespeares, hielt an seinem Hofe eine Truppe englischer Schauspieler und schrieb selbst Theaterstücke; Herzog August gründete die Wolfenbütteler Bibliothek; Herzog Anton Ulrich dichtete Kirchenlieder und Romane; dann lebte Leibniz im Schutze des Welfenhauses, und Friedrichs Großmutter, die Königin Sophie Charlotte, im guten und schlimmen eine echte Welfin, zog ihn vorübergehend auch nach Berlin. Im Vorbeigehen lohnt es sich auch vielleicht zu bemerken, daß sich unter Friedrichs Urgroßmüttern ein französisches Edelfräulein befand, Eleonore d'Olbreuze, die Gemahlin eines welfischen Herzogs, die einige Tropfen frischen und munteren Blutes in das alte Geschlecht gesprengt hatte. Der schier unnatürliche Haß, mit dem Friedrich und sein Vater einander betrachteten, ein Haß, der sich dann zwischen Friedrich und seinem durchaus nach dem Vater artenden Bruder August Wilhelm, dem Stammvater der späteren Könige, wiederholte und hier in dem Tode des Bruders tragisch endete wie dort in der Enthauptung von Friedrichs Freunde Katte, läßt sich kaum anders als auf physiologische Ursachen zurückführen, sowenig damit auf den verleumderischen Hofklatsch über Friedrichs Mutter, dem selbst sein Vater zeitweise zugänglich war, irgend angespielt werden soll. Die wiederholten Heiraten zwischen Hohenzollern und Welfen ließen nur Friedrich, wie seine Schwester Wilhelmine und seinen Bruder Heinrich, stark auf den welfischen Typus zurückschlagen. Friedrichs Ehrgeiz strebte in erster Reihe nach dem Lorbeer des Dichters und Schriftstellers; als Mensch hat er sein ganzes Leben darnach gerungen; lieber wollte er Racines »Athalie« gedichtet als den Siebenjährigen Krieg geführt haben. Aber als König war er sich auch sein ganzes Leben darüber klar, unter welchen Bedingungen er überhaupt nur regieren könne. So führte er jenes Doppelleben, das einen manchmal schier unglaublichen Widerspruch zwischen seinen Taten und seinen Worten aufweist, das ihm so oft den scheinbar unwiderleglichen Vorwurf der Heuchelei eingetragen hat und das von seinen Bewunderern nicht minder oft durch die unwürdigsten Sophismen