Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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darzustellen, gehen uns hier nicht weiter an.

      Wie bei der Rekrutierung, so entspann sich auch bei der Finanzierung des Heeres ein Klassenscharmützel zwischen dem König und den Junkern. Wenn Preußen, das dem Flächeninhalte nach die zehnte, der Bevölkerungsziffer nach gar erst die dreizehnte Stelle unter den europäischen Staaten einnahm, die vierte Kriegsmacht des Erdteils spielen wollte (mit 80 000 Mann gegen 160 000 französische, 150 000 russische und 100 000 österreichische Truppen, wobei zu bemerken ist, daß diese Zahlen, wenigstens in Rußland und in Österreich, bei weitem nicht so fraglos waren wie in Preußen), so mußten natürlich die Kriegsgefälle, die Kontribution und die Akzise aufs äußerste angespannt oder, wie man das in Preußen zu nennen beliebt, »reformiert« werden. In der Tat steigerte Friedrich Wilhelm die Staatseinkünfte auf sieben Millionen Taler, von denen gegen sechs Millionen auf das Heer verwandt wurden. Hiergegen hatten die Junker als gegen eine Vermehrung ihrer Sinekuren natürlich auch gar nichts einzuwenden, im Gegenteil, aber um so heftiger sträubten sie sich gegen die Absicht des Königs, sie selbst wenigstens einigermaßen zur Steuer heranzuziehen, eine Absicht, die um so anerkennenswerter war, als Friedrich Wilhelm I. keine Blutprofite aus der Vermietung seiner Truppen an ausländische Mächte gezogen hat. Aber den Junkern hat er nur eine winzige Steuer aufzuerlegen vermocht, die sogenannten Lehnpferdegelder. Er bot ihnen die Aufhebung des nexus feudalis, die rechtliche Ablösung des Vasallendienstes, gegen eine jährliche Abgabe von vierzig Talern für jedes bisher im Kriegsfalle zu stellende Ritterpferd an. Aber da der Vasallendienst längst verfallen war und die Junker ihre Lehngüter tatsächlich als Erbgüter besaßen, so erhoben sie ein Zetermordio über die Absicht des Königs, gingen bis vor Kaiser und Reich und fügten sich erst nach vieljährigem Streite der winzigen Last. Denn diese Steuer wurde bei ihrer Repartierung keineswegs »reformiert«; es wurde nicht, wie es ursprünglich gemeint war, auf je sechs Hufen ein Ritterpferd gerechnet, sondern es blieb bei der Verteilung, die sich in dem schon geschilderten Verfalle des rittermäßigen Lehndienstes herausgebildet hatte. So daß wohl einige Rittergüter mehr als ein Pferd, viele andere dagegen nur ein halbes oder nur einen Fuß, ja sogar nur einen halben oder einen viertel Fuß zu dem jährlichen Kanon von je vierzig Talern auf ein ganzes Pferd abzulösen hatten.

      So gering dieser Erfolg war, so war er doch alles, was der König den Junkern an Steuern aufzuerlegen vermochte. Alles oder so gut wie alles. Denn die berühmte Geschichte mit dem Felsen von Erz, als den dieser König die Souveränität gegenüber den Herren Junkern aufgerichtet haben soll, hatte in Wirklichkeit bei weitem nicht den heroischen Verlauf wie in den patriotischen Anekdotenbüchern. Der ganze Handel bezog sich zunächst allein auf Ostpreußen. Hier hatte einerseits der Adel unter dem deutschen Ritterorden und dann unter der polnischen Fremdherrschaft sich nicht die Steuerfreiheit zu erobern vermocht wie in der Mark Brandenburg unter den Hohenzollern, andererseits aber hatte der Kurfürst Friedrich Wilhelm den staatsrechtlichen Widerstand der preußischen Stände gegen seine Souveränität zwar durch rechtlose Gewalttat gebrochen, aber dadurch keineswegs die ökonomische Obmacht des Adels vernichtet. Die Veranlagung und Verteilung der verschiedenen Steuern, deren vornehmlichste ein Horn- und Klauenschoß war, blieb den Ständen. Nun riß bald eine bodenlose Wirtschaft ein; Bestechungen der ständischen Steuerbeamten und zahllose Steuerdefraudationen waren an der Tagesordnung; Tausende von Hufen wurden in den Steuerkatastern unterschlagen; um dem Horn- und Klauenschoße zu entgehen, hielt der Adel kein Vieh mehr und überspannte die Frondienste in so unerträglicher Weise, daß eine ununterbrochene Flucht der Hörigen nach Polen stattfand. Trotzdem bestand diese Raubwirtschaft jahrzehntelang und würde vermutlich auch noch weiter fortbestanden haben, wenn sie nicht dem großen Adel ein Übergewicht über den kleinen gegeben und so einen Interessengegensatz innerhalb des Junkertums selbst geschaffen hätte. Von 1690 bis 1714 waren vierzig arme Junker von ihren reicheren Klassengenossen ausgekauft worden, und hierauf fußend verlangte Graf Truchseß von Waldburg als Fürsprecher des kleinen Adels vom Könige die Umwandlung der verschiedenen Steuern in einen festen, nach der Größe der Besitzung abgestuften Generalhufenschoß.

      Hierauf ging der König begreiflicherweise begierig ein und setzte unter dem Vorsitze des Grafen Truchseß eine Kommission ein, die nach dessen Plänen die neue Steuer veranlagen und ausschreiben sollte. Natürlich widersetzte sich der große Adel und sandte eine Deputation von vier Mitgliedern nach Berlin, die gegen die Einsetzung der Kommission protestierte und die Einberufung eines allgemeinen Landtags zur Beratung der Steuerfrage verlangte. Auf ihr Anliegen verfügte der König nun zwar: »Die Hubenkommission soll seinen Fortgang haben, ich komme zu meinem Zweck und stabilire die Souveränetät und setze die Krone fest wie Rocher de Bronce und lasse den Herren Junkern den Wind von Landtag.« Indessen mündlich gab er den ständischen Abgesandten doch die beruhigende Erklärung, daß er die Steuer nicht einführen werde, wofern sie ein Ruin des Adels sein sollte, und daß der Adel immer in gerechtsamen Sachen einen Rekurs an ihm finden würde; vor allem aber ließ er den Abgesandten bei ihrer Abreise trotz seines Geizes 5500 Taler Diäten überreichen, »vor ihre Mühe, das sie zu Hause was versäumt haben«, was denn einer Bestechung so ähnlich sah wie ein Ei dem anderen. Es kam dann auch nur noch ein Protest des Feldmarschalls Dohna, in dem der neue Schoß als Ruin des ganzen Landes erklärt wurde, worauf der König antwortete: »Curios, tout le pays cera Ruiné, Nihil Kredo, aber das Kredo, das den Junkers Ihre Ottorität Niposwollam wird ruiniret werden, trux soll seine Verantwortung einschicken. Die Stände sollen steuern, da bleibe ich biß an mein sehlich Ende.« Der König, oder vielmehr trux, Graf Truchseß, hat denn auch den Generalhufenschoß für den ostpreußischen Adel durchgesetzt. Aber man sieht, daß es mit dem vielgepriesenen »Stabiliren der Souveränetät« nicht so gar weit her war. Die kleinen Junker in Ostpreußen regelten mit Hilfe des Königs die in diesem Landesteile von alters her bestehende gesetzliche Steuerpflicht des Adels so, daß sie von ihren ökonomisch stärkeren Klassengenossen nicht mehr erdrückt werden konnten: Das ist alles. Weder hat Friedrich Wilhelm I. – von den geringfügigen Lehnpferdegeldern abgesehen – die Steuerfreiheit des Adels in irgendeinem andern Landesteile anzutasten gewagt, noch auch hat er die ostpreußischen Junker stärker herangezogen, als es eben dem trux, das heißt dem kleinen Adel beliebte und dem großen Adel eben noch erträglich sein mochte. Nach einer amtlichen, von dem Präsidenten der Oberrechenkammer verfaßten Denkschrift aus der Zeit Friedrichs II. zahlte der ostpreußische Junker von der Hufe nach Magdeburgischem Maß (die Hufe zu dreißig Magdeburgischen Morgen) noch nicht zwei, der brandenburgische Bauer aber von demselben Flächenmaße über acht Taler Kontribution, wozu dann noch kommt, daß der jährliche Kanon an Lehnpferdegeldern für die ostpreußischen Rittergüter auf zehn Taler herabgesetzt worden war. Zakrzewski, Die wichtigeren preußischen Reformen der direkten, ländlichen Steuern im achtzehnten Jahrhundert. Schmoller, Die Epochen der preußischen Finanzpolitik im Jahrbuche für Gesetzgebung usw., Jahrgang 1877, S. 43 ff. Die Denkschrift des Präsidenten Roden bei Preuß, 4, 415 ff.

      So fiel die Erhöhung der Steuern, welche die Verstärkung des Heeres notwendig machte, mit fast ausschließlicher Wucht auf die bäuerliche und städtische Bevölkerung. Und wie die Kontribution für jene auf eine erdrückende Höhe stieg, so wuchs sich für diese die Akzise zu jenem Weichselzopf von Steuern aus, der hier mit Schmollers Worten gezeichnet werden mag: »Wir können die brandenburgisch-preußische Akzise als ein System von Steuern bezeichnen, das, ausschließlich auf die Städte beschränkt, neben einer mäßigen Grund-, Gewerbe- und Kopfsteuer wesentlich indirekte Steuern, und zwar solche auf Getränke, Getreide, Fleisch, Viktualien und Kaufmannswaren, umfaßte. Die Erhebung fand in verschiedener Weise, teils beim Einbringen in die Stadt, teils bei der Produktion, teils beim Verkaufe statt. Die einzelnen Steuersätze waren relativ sehr niedrig, aber dafür um so zahlreicher auf möglichst viele Artikel und Waren ausgedehnt.« Zur Erhebung dieser umfassenden Steuern war nun aber auch eine geschulte Bürokratie notwendig, und so stellte Friedrich Wilhelm I. die neue Staatsverwaltung her, wie sie im wesentlichen bis 1806 bestanden hat und in ihren Grundzügen noch heute besteht. Die besondere schöpferische Genialität, die er dabei bewiesen haben soll, ist schwer zu erkennen, denn die bürgerliche Verwaltung ergab sich von selbst aus den Lebensbedingungen dieses Militärstaats. Als unterste Stufe die Kriegs- und Steuerräte in den Städten, die Landräte auf dem platten Lande, darüber die Kriegs- und Domänenkammern, was heute die Bezirksregierungen sind, und als oberste Spitze das Generaloberfinanz-, Kriegs- und Domänendirektorium, das heutige Ministerium – die Namen dieser Behörden sagen zumeist schon, um was es sich handelte: