Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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verbot, die Worte Miliz und Militär überhaupt auf die preußische Soldateska anzuwenden. Er wollte ein Söldnerheer im schärfsten Sinne des Worts haben, ein Heer, das nur an die Person des Fürsten gebunden war, und er hatte dazu seine sehr guten Gründe. Denn er wollte durch das Heer die Macht des Junkertums brechen, und solange die Junker wie eine Mauer zwischen ihm und der bäuerlichen, das heißt der großen Mehrheit der Bevölkerung standen, konnte er gar nicht an ein geregeltes Aushebungssystem unter den Landeskindern denken, am wenigsten für den Zweck, den er verfolgte.

      Wenn daher der König sofort nach seinem Regierungsantritte den schmarotzenden Hofadel zum Teufel jagte, dagegen das Heer von 38 Bataillonen und 53 Schwadronen auf 66 Bataillone und 114 Schwadronen vermehrte, so konnte er die nötigen Rekruten nur durch Kauf oder, was sich durch größere Wohlfeilheit empfahl, durch Raub von Menschen zu bekommen hoffen. Gerade unter diesem Fürsten, dem angeblichen Schöpfer der allgemeinen Wehrpflicht, nahm die »ausländische Werbung«, das heißt der systematische Menschenraub in denjenigen deutschen Staaten, deren Fürsten schwächer waren als der König von Preußen, jene scheußliche Ausdehnung und Form an, deren dunkle Schatten selbst noch in den patriotischen Anekdotenbüchern erkennbar sind. Hier mag es genügen, ein urkundliches Zeugnis anzuführen, einen Erlaß der hannoverschen Regierung vom 14. Dezember 1731 gegen die preußischen Werber, worin verordnet wird, »solche Werber ohne Ansehen von Stand und Würden sogleich zu arretieren und, wenn sie sich in starker Zahl einfinden, durch Läutung der Sturmglocken zu verfolgen, auch Miliz aufzubieten, wenn solche sich in der Nähe befindet. Sie sollen als Straßen- und Menschenräuber, Störer des Landfriedens und Verletzer der Landesfreiheit traktiert und, wenn sie schuldig befunden werden, am Leben gestraft werden. Sollten sie sich aber zur Wehr setzen, so soll man sie totschlagen oder niederschießen.« Und ein nicht minder grelles Schlaglicht auf den Menschenraub im Innern des preußischen Staats wirft der Stoßseufzer des Generalauditeurs Katsch, daß bei den Werbungen wenigstens das viele Blutvergießen vermieden werden möge. Aber im eigenen Lande konnte der König den Menschenraub nicht entfernt so lange betreiben wie im Auslande; der Wille des Despoten zersprang wie Glas an der Macht der ökonomischen Verhältnisse. Die junge Mannschaft entwich, wo sie konnte, über die Grenzen; es mangelte überall an Arbeitskräften; die königlichen Behörden erklärten, daß der Ertrag der Kontribution und der Akzise unaufhörlich abnehme; die Städte lärmten, das Kommerzium floriere nicht mehr, und was am wichtigsten war: Die Junker bewaffneten ihre Hörigen und schickten die königlichen Werber mit blutigen Köpfen heim. Schon im Jahre 1714, kaum ein Jahr nach seinem Regierungsantritte, muß der König alle gewaltsame Werbung öffentlich verbieten; nur auf sehr unköniglichen Schleichwegen wagt er sie noch zu betreiben, indem er seinen Werbern »möglichste Listigkeit« empfiehlt oder die Vermeidung »großer Gewalttätigkeiten«, wegen deren »Klagen einkommen« könnten. Ja noch mehr: Nach weiteren drei Jahren muß er selbst schon »Exemtionen« von der Werbung verfügen; Wollarbeiter, Handwerker, Manufakturiers, Kinder von Beamten und wohlhabenden Leuten, überhaupt im allgemeinen die Bevölkerung der Städte und namentlich der größeren Städte, der Sammelbecken des Kapitals, sollen nicht »enrolliert« werden dürfen.

      Der Umschwung erklärt sich daraus, daß den Junkern auf ihre Weise gelang, was dem König auf seine Weise mißlungen war. Gegen eine Vermehrung des Heeres hatten sie ganz und gar nichts einzuwenden, vorausgesetzt, daß dabei ihr Klasseninteresse gewahrt blieb. Jede neue Kompanie bedeutete für sie gewissermaßen ein neues Rittergut, ein oft noch einträglicheres, als ihre väterlichen Sandbüchsen in der Mark und in Pommern sein mochten. Der Kompaniechef war »Unternehmer an der Spitze einer Waffengenossenschaft«. Von dem Pauschquantum an Unteroffizier- und Gemeinensold, das ihm die königliche Kriegskasse zahlte, hatte er die Leute zu unterhalten; ferner durfte er einen Teil der Kompanie während eines Teils des Jahres beurlauben, um durch die so ersparte Löhnung das nötige Werbegeld für den Ersatz der Mannschaft zu gewinnen, die durch Desertion und Tod abging; was er durch geriebene Wirtschaft von dem Pauschquantum ersparte, das fiel in seine Tasche. Es war, auch wenn es dabei ohne alle Gaunereien abging, immer schon eine stattliche Jahresrente von ein paar Tausend Talern. Eine starke Vermehrung des Heeres bedeutete also für die Junker eine starke Vermehrung ihrer Sinekuren, und da griffen sie mit allen zehn Fingern zu. Nur mußte die Sache auf ihre Weise gemacht werden, so daß der politische und ökonomische Profit ihnen ungeschmälert in die Tasche fiel. Sie konnten ihre Hörigen gegen den König bewaffnen; aber der König konnte nicht die Hörigen gegen die Junker bewaffnen: Sie hatten seine große, lärmende Werbung durchkreuzt, aber er konnte nicht ihre kleine, stille Werbung verhindern. Die Junker fingen an, Landeskinder einzustellen, das heranwachsende Geschlecht, soweit es kräftigen Leibes schien, schon von früh an zu »enrollieren«, in die Aushebungslisten einzutragen. Die bäuerlichen Rekruten waren von Kindesbeinen an die Fuchtel der Junker gewöhnt; sie erhielten kein Handgeld: Sie desertierten immerhin seltener als Ausländer, und wenn ja einer desertierte, so war er leicht durch einen andern seinesgleichen ersetzt. Freilich verloren die Junker dadurch einen Teil der ländlichen Arbeitskräfte, aber diesem Schaden ließ sich abhelfen, sogar mit wachsendem Profit; das Beurlaubungssystem brauchte nur auf einen immer größeren Teil des Jahres und einen immer größeren Teil der Kompanie angewandt zu werden; dann hatten die Junker-Landwirte ihre Hörigen wieder, und die Junker-Kompaniechefs steckten um so reichlicher ersparten Sold in die Tasche. Endlich aber waren diese Soldaten weit anspruchsloser als das fahrende Gesindel, das sich sonst anwerben ließ; sie konnten bei den Lieferungen an Geld, Kleidung, Nahrung, die der Kompaniechef ihnen zu machen hatte, um so leichter übers Ohr gehauen werden, was denn auch noch eine Menge kleiner, aber zusammengerechnet doch auch wieder recht erklecklicher Schwänzelpfennige ergab.

      Darnach ist es klar, was jene »Exemtionen« in der »Enrollierung« bedeuteten, die Friedrich Wilhelm I. Hals über Kopf verfügen mußte, nachdem er eben erst selbst die gewaltsamste Werbung im ganzen Lande zu treiben versucht hatte. Er mußte die Gewerbe und Handel treibende Klasse, die städtische Bevölkerung überhaupt, ferner was er an Beamten, an Geistlichen, an Lehrern brauchte usw. vor den gierigen Griffen der Junker schützen. Er war aus der Offensive vollständig in die Defensive zurückgeworfen worden. Er konnte froh sein, wenn die Junker seine »Exemtionen« respektierten, aber sonst mußte er ihr eigenmächtiges Vorgehen bestätigen, indem er das Land in bestimmte Kantonierungsbezirke für die einzelnen Regimenter einteilte, wofür er freilich, falls er etwa darnach gegeizt haben sollte, heute den Vorzug genießt, von den Lesern des Herrn v. Treitschke als dritter Bahnbrecher der allgemeinen Wehrpflicht neben Macchiavell und Spinoza bewundert zu werden. Er mußte durch den grausamsten Drill der Truppen, durch die schärfste Aufsicht über die Offiziere die Schlagfertigkeit des Heeres aufrechtzuerhalten suchen, die unausgesetzt durch die ausbeuterischen Tendenzen der Junker-Offiziere erschüttert wurde. Die Kabinettsordern des Königs zeugen von diesem fortwährenden Ringen. So verbietet er bei schwerer Strafe, in den Beurlaubungen eine gewisse Grenze zu überschreiten; so richtet er, um die volle Etatstärke der Kompanie wenigstens für einen Teil des Jahres zu sichern, eine regelmäßig wiederkehrende Übungsperiode, die sogenannte Exerzierzeit von April bis Juni, ein; so beschwert er sich, daß die Kompaniechefs den Soldaten für zwei Groschen ankreiden, was ihnen selbst nur einen Groschen koste; so verbietet er ihnen auch, das Guthaben, das etwa durch Desertion oder Tod eines Soldaten verlorengehe, solidarisch auf die ganze Kompanie zu verteilen und zur Abtragung gar die neu eingestellten Rekruten heranzuziehen. Man begreift nunmehr die Vorliebe Friedrich Wilhelms I. für ein reines Söldnerheer auch vom rein militärischen Gesichtspunkte aus; ohne die geworbenen Ausländer, die natürlich nicht einen Augenblick von der Fahne entlassen werden durften und in dem menschenarmen Lande immer doch noch mindestens die Hälfte der Truppen bildeten, hätte er das preußische Heer nicht auf die von ihm und seinem Freunde, dem Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau, tatsächlich erreichte Höhe der Ausbildung bringen können. Aber auch an diesem Kerne des Heeres zehrte die junkerliche Ausbeutung; wenigstens innerhalb der Garnisonmauern begann sie auch Ausländer zu beurlauben, und gegen Ende seiner Regierung mußte Friedrich Wilhelm I. den Soldaten der Berliner Garnison untersagen, zu handeln und zu hausieren, Hökerei und Handwerk zu treiben. Die obige Darstellung beruht auf dem archivalischen Material, das Max Lehmann in der »Historischen Zeitschrift«, 67, 254 ff. über die »Werbung, Wehrpflicht und Beurlaubung im Heere Friedrich Wilhelms I.« beigebracht hat. Herr Lehmann sagt unter anderem: »Die Kompaniechefs haben zu beurlauben begonnen, wie sie den Anfang mit der Enrollierung machten: In beiden Fällen war es ein wirtschaftliches