Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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Formen zu vertreten. Unter dem Dutzend hohenzollernscher Kurfürsten gibt es nicht einen, der sich der Bauern gegen die Junker angenommen, gibt es kaum einen, der die Bauern nicht noch tiefer, als es seine Vorgänger schon getan hatten, unter das Joch der Junker gebeugt hätte. Damit waren aber die Junker erst recht Herren im Lande, und eben ihrer Übermacht und der Schwäche der landesfürstlichen Gewalt, namentlich von der Mitte des sechzehnten bis zur Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts, war die geringe Entwicklung des brandenburgischen Heerwesens zu danken. Denn der Militarismus entwickelte sich historisch im gleichen Schritte mit dem Absolutismus.

      Wollte der Kurfürst Friedrich Wilhelm, der von 1640 bis 1688 regierte, überhaupt nach dem Dreißigjährigen Kriege als Fürst bestehen, so bedurfte er freilich eines Heeres. Aber nicht minder zweifellos war, daß er ohne die Junker, geschweige denn wider sie, auch nicht eine Kompanie dauernd unter Waffen halten konnte. Von seinen Domänen bezog er im Anfange seiner Regierung nach einer Berechnung von Riedel und Krug etwa 40 000 Taler, und diese Summe reichte nicht einmal für die Kosten seines verschwenderischen Hofhalts hin. Ohne Steuern kein stehendes Heer und ohne die Stände keine Steuern. Nun hatte der Kurfürst ganz und gar kein Mittel, die märkischen Stände zur Bewilligung der Steuern zu zwingen. Er war allerdings ein rücksichtslos durchgreifender, wenn auch nach dem Zeugnis der fremden Diplomaten, die mit ihm verkehrten, nur mäßig begabter Despot; Rücksichten auf Gesetze, Rechte, Verträge kümmerten ihn wenig, wo es die Verfolgung seiner dynastischen Interessen galt; er hat später, als er in der Mark festen Fuß gefaßt hatte und über ein stehendes Heer gebot, nach erlangter Souveränität über das Herzogtum Preußen den Widerstand der dortigen Stände mit blutiger und widerrechtlicher Gewalttat gebrochen. Aber gleich nach dem Dreißigjährigen Kriege besaß er durchaus kein Machtmittel, die Stände zur Bewilligung von Steuern zu zwingen, und daß sie um seiner schönen Augen und des Gemeinwohles willen ihm den miles perpetuus nicht bewilligen würden, das wußte er so gut, wie sie es wußten, und wenn er es nicht gewußt hätte, so hätte er sich aus den Schicksalen seiner Vorfahren darüber belehren können.

      Es konnte sich deshalb nur darum handeln, ob die Junker selbst ein Interesse an der Errichtung eines stehenden Heeres hatten. Und ein solches Interesse hatten sie allerdings aus verschiedenen Gründen. Zunächst mußte ihnen als herrschender Klasse an der Erhaltung des Staats gelegen sein; sie durften es nicht darauf ankommen lassen, daß dieses für sie so idyllische Gemeinwesen eines schönen Tages von den Polen oder Schweden verschluckt würde.

      Dann aber war die bäuerliche Bevölkerung durch den Dreißigjährigen Krieg in eine gewisse Gärung geraten. Mit Recht sieht Kautsky eine weitere Ursache für die lange Dauer des Krieges darin, daß seit dem großen Bauernkriege ein massenhaftes bäuerliches Proletariat in Deutschland vorhanden war, daß dies Proletariat nicht wie in andern Ländern durch die Industrie und die Kolonien aufgesogen wurde, daß es somit ein reiches Werbegebiet für Soldtruppen bot, daß endlich der Krieg selbst neues Bauernelend schuf, somit neues Proletariat und neue Söldner lieferte, bis er endlich an der allgemeinen Erschöpfung starb. Galt dies im allgemeinen von ganz Deutschland, so galt es besonders von der Mark Brandenburg, wo der Krieg am ärgsten gehaust hatte. Was noch von Bauern übrig war, hatte Waffen führen gelernt oder trug gar noch Waffen; auf den wüsten Hofstellen siedelten sich entlassene Soldaten an, und »wer eine Kriegsfeder am Hute getragen hatte, der sträubte sich gegen die harten Lasten eines Hörigen« Freytag, Bilder, 4, 421.. Wie schwer dieser Umstand für die ostelbischen Junker ins Gewicht fiel, beweisen die immer wiederholten strengen Verbote des Waffentragens untertäniger Leute, beweist noch mehr die für das benachbarte Schlesien erlassene landesherrliche Verordnung, daß, wer unter der Fahne gestanden hatte, für seine Person der Untertanenpflichten ledig sein solle. Aber je mehr die Not der Zeit das Herrenrecht erschütterte, um so mehr bemühten sich die Junker um seine straffe Wiederaufrichtung. Im Kriege war die bäuerliche Bevölkerung vielfach durcheinandergelaufen; Untertanen hatten eigenmächtig ihre Wohnsitze verlassen und sich auf fremdem Grunde angesiedelt; ihre alten Herren beanspruchten das Recht, sie wie Sklaven zurückzufordern und wenn nötig mit Gewalt zurückzuholen; es ist oft unter dem heftigsten Widerstande geschehen. Der Mangel an Arbeitskräften machte sich auch sonst den Gutsherren in empfindlicher Weise geltend; es fehlte an Gesinde, und was etwa noch da war, besaß die Keckheit, menschenwürdige Behandlung und Nahrung zu verlangen. Allen Dorfinsassen wurde verboten, Kammern an ledige Männer und Frauen zu vermieten; alle solche Inlieger mußten angezeigt werden und wurden in das Gefängnis gesteckt, bis sie sich entschlossen, Dienstboten zu werden. Aber es scheint, daß sich der für die junkerlichen Dienste notwendige Menschenbedarf schwer decken ließ; Kost und Lohn waren eine Zeitlang nach dem Kriege besser, als in den folgenden Jahrhunderten und als sie vor dem Kriege gewesen waren; man begreift leicht, daß die herzbrechenden Klagen der Junker über das boshafte und mutwillige Gesinde einige Jahrzehnte nach dem Kriege kein Ende nehmen wollten.

      Endlich gab es nach dem Kriege ein massenhaftes Lumpenproletariat in der Mark Brandenburg. Verlumpte Kriegsknechte, jeder Arbeit entwöhnt, Vagabunden, Zigeuner zogen haufenweise »fechtend« und »gartend«. umher; sie waren eine schwere Plage, namentlich für das platte Land; die geringste Weigerung, ihre Fäuste zu füllen, machte die Bettler zu Räubern. Aber noch lästiger vielleicht war für den märkischen Adel ein anderes Lumpenproletariat, das aus seinem eigenen Schoße aufwucherte. Wir haben bereits darauf hingewiesen, wie hoch vor dem Kriege das märkische Krautjunkertum ins Kraut geschossen war; es saßen ihrer oft mehrere auf einem; mäßigen Dorfe; ihre Güter waren vielfach nicht größer als Bauernhöfe. So war ein großer Teil von ihnen durch den Krieg besitzlos geworden. Diese sogenannten »Krippenreiter« trieben sich auch in ganzen Gesellschaften, koppelweise, wie man sich damals ausdrückte, im Lande umher, um bei den adligen begüterten Genossen, im Notfall auch bei Bürgern und Bauern zu schmarotzen. Auch sie waren geneigt, bei der geringsten Weigerung vom Betteln zum Rauben überzugehen, aber es kam wohl vor, daß sie sich bei untertänigen Leuten auch einen Buckel voll Prügel holten, was dann ja allerdings eine höchst frevelhafte Umwälzung der gottgewollten Ordnung war. Genug, dem Adel mußte sehr viel an der »standesgemäßen« Versorgung dieser »Edelsten und Besten« liegen, und wenn die »Gartbrüder« sich trefflich zu Soldaten eigneten, so waren die »Krippenreiter« ihre »geborenen« Offiziere.

      Dies waren im allgemeinen die Zustände, die den märkischen Junkern von ihrem Klassenstandpunkte aus die Errichtung eines stehenden Heeres als notwendig erscheinen ließen. So bewilligten sie dem Kurfürsten das Heer, aber natürlich nur unter den Bedingungen, die ihren Klasseninteressen entsprachen. Sie bedangen sich zunächst die umfassendste »Gutsherrlichkeit« aus, so wie sie »herkömmlich« war, also die landesherrliche Bestätigung eines unbeschränkten Verfügungsrechts über die Bauern; »in der verzweifelten Lage zu Anfang seiner Regierung (im Landtagsrezesse von 1653) kaufte der Kurfürst dem privilegierten Adel die Möglichkeit einer festen, höheren Politik, den miles perpetuus, gleichsam damit ab, daß er ihm die Bauern preisgab, ihm in unterster Instanz ein unbedingtes Herrenrecht zugestand«. Schmoller, Die innere Verwaltung des preußischen Staats unter Friedrich Wilhelm I.; Preußische Jahrbücher, 25, 587. Nicht nur die »herkömmlichen«, das heißt tatsächlich, ja in einem Teile der Mark sogar gesetzlich ungemessenen Dienste, Fronden und Lasten der Bauern, sondern auch Patronat, Patrimonialgerichtsbarkeit, Polizei standen den Junkern zu; die »unterste Instanz« war in Wirklichkeit die alleinige Instanz, denn wo sollte ein Bauer selbst gegen das schnödeste Unrecht, das ihm ein Junker zufügte, Recht finden? Der Kurfürst für seinen Teil dachte nur daran, die paar Mauselöcher, durch die ein Bauer in besondern Glücksfällen sich trotzdem noch einem allzu wüterischen Junker oder gar dem Dienstverhältnis überhaupt hätte entziehen können, sorgfältig zu verstopfen. In den erneuerten Bauern-, Gesinde-, Hirten- und Schäferordnungen, die er während seiner langen Regierung für die einzelnen Landesteile erließ, bestätigte er immer zuerst den Landtagsrezeß von 1653, um ihn dann nie zu mildern, sondern stets im gutsherrlichen Sinne zu verbessern. Er verbot wiederholt, fremde Untertanen aufzunehmen, gab den alten Herren wiederholt das Recht, Entlaufene ohne Rücksicht auf Verjährung zurückzufordern. Heruntergekommene Bauern, denen der Gutsherr die Hilfe zur Wiederherstellung ihres Hofes versagt, dürfen doch nicht wegziehen, sondern müssen wenigstens mit ihrer Person dienen. Hausleute, die drei Jahre an einem Orte gesessen haben, können darnach festgehalten werden, ja auch ihre Kinder werden untertänig, selbst wenn sie vor der Untertänigkeit der Eltern geboren worden sind. Und so weiter. »Nichts würde