Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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der Isar oder am Rheine gesiegt, so rottete sich schon wieder ein Feindesheer an der Elbe oder der Oder zusammen; die höchste Kunst des Feldherrn bestand in einer sozusagen demagogischen Fähigkeit, möglichst viel Futter für Pulver möglichst sicher an die Fahne zu fesseln, und wie gefährlich diese Demagogie für die Fürsten selbst werden konnte, zeigte das Beispiel Wallensteins. Aus diesen Erfahrungen und Lehren, entstand das stehende Söldnerheer, für welches das durch den Krieg erzeugte Lumpenproletariat gleich den nötigen Rohstoff lieferte.

      Also nicht darin unterschied sich der brandenburgisch-preußische Staat von den übrigen Staaten, daß er überhaupt ein Militärstaat wurde, sondern nur dadurch, daß er gewissermaßen zum Militärstaat unter den Militärstaaten erwuchs, und diese Entwicklung ergab sich aus den ökonomischen Zuständen der Landesteile, aus denen er bestand. Die Ursachen der ostelbischen Kolonisation, die sich in der zweiten Hälfte des Mittelalters vollzog, können hier nicht dargelegt werden, ebensowenig die verschiedenen Formen, welche sie in Brandenburg, Pommern, Schlesien und Preußen annahm: Genug, die Mark Brandenburg, das Stammland des preußischen Staats, war ursprünglich eine Militärkolonie gewesen. Die Grundlage aller Besitzverhältnisse bildete damals die Rücksicht auf den Krieg; alle Grundstücke waren für diesen Zweck von Anfang her pflichtig; es wurde für sie gezinst oder Lehndienst geleistet. Für den Lehndienst zog ein zahlreicher, aus unfreien Ministerialen bestehender Militärstand zu; seine Bestimmung war in erster Reihe der Kriegsdienst und keineswegs der Ackerbau; das Lehngut sollte die Mannschaft unterhalten, und nur so viele Hufen sollten zinsfrei sein, als zur Erhaltung der lehnmäßigen Ausrüstung nötig wären; im Jahre 1280 wurde festgesetzt, daß der Ritter sechs Hufen unter dem Pfluge frei haben solle, aber für jede Hufe darüber zinsen müsse. Allein diese Einrichtung verfiel sehr schnell. Die bewaffnete Macht wurde eine ökonomische Klasse, die ihr öffentliches Amt zu einer Quelle sozialen Eigennutzes machte; die unfreie Kriegerkaste warf sich ebenso zum Herrn über den Markgrafen wie über die freien Bauern auf, die neben, nicht unter ihnen saßen und die gerade über die Elbe gewandert waren, um den Bedrückungen der Gutsherren im eigentlichen Reiche zu entgehen.

      In dem märkischen Landbuche von 1375 finden sich schon Rittergüter von 10, 20, 25 Freihufen, die doch nur ein Lehnpferd zu leisten haben; es gibt Rittergüter von mehr als 6 Freihufen, die nur ½, ¼, 1/8 Lehnpferd leisten; drei Ritter in Wilmersdorf bei Berlin haben 10, 8, 3 Freihufen und leisten jeder nur ein halbes Viertelpferd. Statt der 4000 Ritter, die im fünfzehnten Jahrhundert in den Marken aufsaßen, kamen im sechzehnten nur noch 600; statt der vollen Lanze, dem Ritter mit zwei oder drei Knappen, einem Schützen, ein paar Knechten kamen »Einspänner«; endlich schickte der Vasall gar, statt selbst zu erscheinen, »einen Kutscher, Vogt, Fischer oder dergleichen schlimm und unversucht Lumpengesindel«, wie es in einem kurfürstlichen Erlasse von 1610, also am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges heißt. War dieser Verfall der Landesverteidigung schon nicht möglich ohne Schuld der Landesherren, die sich die Dienstpflicht der Mannschaft abkaufen, abschmeicheln, abtrotzen ließen, so trugen die Markgrafen, die askanischen, bayerischen, luxemburgischen wie hohenzollernschen, noch größere Schuld an dem Untergange der freien Bauernschaft. Sie belehnten die Ritter gegen Geld und Gunst mit dem Hufenzinse, den Hand- und Spanndiensten, kurzum, den Gefällen, die ihnen als Landesherren von den Bauern zustanden; sie bahnten der »Gutsherrlichkeit« den Weg, indem sie aus der dinglichen Pflicht gegen den Landesherrn, die durch die Dorfobrigkeit, den Lehnschulzen, wahrgenommen worden war, eine Art von persönlicher Abhängigkeit gegen Personen machten, die nicht zum Dorfe gehörten; sie verkauften den Rittern die höhere und niedere Gerichtsbarkeit über die Dörfer; sie duldeten, daß die Ritter neben den ihnen verkauften Abgaben und Diensten der Bauern noch eine Fülle anderer Abgaben, Dienste und Pflichten einführten; um den Rittern diese Fronden dauernd zu sichern, nahmen die Markgrafen schließlich den Bauern die Freizügigkeit und erklärten sie als »zur Hufe geboren«. Und als dann mit der wirtschaftlichen Umwälzung des Reformationszeitalters die feudale Ordnung zerfiel, der »gemeine Mann von Adel« sich auf sein Gut setzte und den Ackerbau als ein Gewerbe betrieb, da gestattete ihm Kurfürst Joachim II. sogar gegen bare Vergütung, die Bauernhöfe zu »legen«, den Schulzenhof, die Schäferei, Bauern- und Kossätenstellen zum Rittergute zu schlagen oder auch für seine Söhne in ebenso viele Rittergüter zu verwandeln, für die sich die Steuerfreiheit von selbst verstand. Im Beginn des Dreißigjährigen Krieges hatte sich in der Mark schon ein förmliches Schlachtschitzenwesen entwickelt. Droysen, Geschichte der preußischen Politik, 1, 39 ff.

      Diese verhängnisvolle Sozialpolitik übte aber noch einen weiteren Rückschlag auf die militärischen Verhältnisse des Landes. Der sogenannte »Landesausschuß«, der neben den Lehnpferden als Kriegsmacht bestand, das Aufgebot des zwanzigsten Mannes aus der Bevölkerung für den Kriegsfall, war gleichfalls verfallen; ein amtlicher Entwurf zu einer neuen Wehrordnung spricht mit trockenen Worten aus, die Bauern seien zwar kriegstüchtiger als die Bürger, aber sie seien mit Fronden überlastet, und überdem sei es bedenklich, ihnen Mittel in die Hand zu geben, durch die sie sich aus ihrer Dienstbarkeit befreien könnten. Der Entwurf ist aus dem Archive mitgeteilt von Jähns, 2, 1073. In der Tat fürchtete man diese Möglichkeit so, daß man trotz der Zweifel an der Kriegstüchtigkeit der städtischen Bevölkerung doch aus ihr den »Landesausschuß« zu bilden und durch einige Übungen für den Wachtdienst tauglich zu machen versuchte. Allein es geschah, wie man befürchtet hatte, und der landesfürstliche Beutezug, mit dem die ersten Hohenzollern im fünfzehnten Jahrhundert die märkischen Städte bis auf den letzten Groschen ausgepumpt hatten, trug seine Früchte. Sogar die Berliner Bürger weigerten sich des Kriegsdienstes; in einer schriftlichen Beschwerde vom 17. November 1610 erklärten sie, einige von ihnen hätte man beim Üben so gedrillt, daß sie den Tod davon gehabt, auch sei das Schießen sehr gefährlich, denn es erschrecke die schwangeren Weiber, und was dieser heroischen Protestgründe mehr waren. Kaum ein anderer deutscher Teilstaat hatte am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges eine so verfallene Heeresverfassung wie die Mark Brandenburg; höchstens in dem andern Hauptbestandteile des damaligen brandenburgisch-preußischen Staats, in dem Herzogtum Preußen, der jetzigen Provinz Ostpreußen, sah es noch anarchischer aus, denn hier stand die fürstliche Gewalt überhaupt erst auf sehr schwankenden Füßen, abhängig, wie sie war, nicht nur von den junkerlichen Ständen, sondern auch von dem polnischen Lehnsherrn. So mußte denn der Hohenzollernstaat in erster Reihe die Zeche der dreißig Jahre zahlen. Bei seiner fast völligen Wehrlosigkeit verheerte die Kriegsfurie seine einzelnen Teile in entsetzlicher Weise, drückte sie auf einen Zustand der Barbarei herab, den man sich nach den zeitgenössischen Schilderungen nicht gräßlich genug vorstellen kann. Die armen, kleinen und wenig zahlreichen Städte des Gebietes waren vollends verkommen und zerstört, die Oder- und Weichselmündungen befanden sich in den Händen der Schweden und Polen. Die arg gelichtete bäuerliche Bevölkerung vegetierte in mehr tierischen als menschlichen Verhältnissen. Man muß diese ökonomischen Zustände genau ins Auge fassen, um zu verstehen, wie aus ihnen der preußische Staat entstehen konnte, einerseits der schroffst ausgebildete Militärstaat, andererseits, wie Lessing sagt, das »sklavischste Land in Europa«. Eins bedingt das andere als Ursache und Wirkung, denn wenn im Schatten der preußischen Militärdespotie nur die Sklaverei gedeihen konnte, so konnte die preußische Militärdespotie doch auch nur in einem Teile von Deutschland entstehen, wo Bildung und Kultur, Wissenschaft und Wohlstand bis auf die letzte Spur verschwunden waren und die Masse der Bevölkerung in jahrhundertelanger Sklaverei jeden selbständigen Willen verloren hatte.

      Es ist selbstverständlich eine patriotische Fabel, wenn die bürgerlich-preußischen Geschichtsbücher die Sache so darstellen, als ob Kurfürst Friedrich Wilhelm, der acht Jahre vor dem Westfälischen Frieden zur Regierung gekommen war, kraft seiner Genialität ein Heer erschaffen und die Junkerherrschaft gebrochen habe, worauf dann alles weitere von selbst gefolgt sei.

      Seitdem die Hohenzollern ins Land gekommen waren, hatte der Klassenkampf zwischen Fürsten- und Junkertum in verschiedenen Formen, aber auf die Dauer immer zum Vorteil der Junker getobt. Es war ein gar sehr oberflächlicher Erfolg gewesen, als der erste Hohenzoller mit Hilfe der märkischen Städte und einiger benachbarten Fürsten die Burgen der Quitzows brach. So gewöhnliche Strauchdiebe und Strolche wie die Quitzows und ihre Raubgesellen genügten nicht einmal den bescheidenen Anforderungen, die ihre Zeit an die Vertreter herrschender Klassen stellte; ihre eigenen Genossen gaben sie preis, wie heute die Börse jeden preisgibt, der Taschentücher stiehlt statt mit Millionen spekuliert.