Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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das ideologische Bekenntnis eines verächtlichen und verhängnisvollen Duodezdespotismus umschlagen. Durch die schnelle Verarmung des Volkes wurde Deutschland das sprichwörtliche Land der Knechtseligkeit.

      Es soll schwer sein, in der ganzen Weltgeschichte eine Klasse aufzufinden, die durch so lange Zeit so arm an Geist und Kraft und so überschwenglich reich an menschlicher Verworfenheit gewesen ist wie die deutschen Fürsten vom fünfzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert. Man darf nur nicht die Verantwortung für diese betrübende Tatsache auf die einzelnen Fürstengeschlechter wälzen; vielmehr muß die bürgerliche Geschichtsschreibung, wenn sie gerecht sein will, rückhaltlos anerkennen, daß es nicht anders gewesen wäre, wenn auf den Thronen der deutschen Teilfürsten etwa die Häupter der Familien Müller und Schulze gesessen hätten. Es waren die ökonomischen Lebensbedingungen der deutschen Fürstenklasse, die aus ihr in jenen Jahrhunderten ein so groteskes Zerrbild machten. Fehlte ihr die Grundlage, welche die fürstliche Macht in ökonomisch entwickelten Ländern besaß, so konnte sie nur bestehen durch fortlaufenden Verrat an ihrem Lande, an ihrem Volke und nicht zuletzt auch, was namentlich von den protestantischen Fürsten gilt, an ihrem Glauben. Da die Fürsten von dem Gewerbe der Untertanen nicht leben konnten, lebten sie von ihrem Blute; aus dem Handel mit Menschen gewannen sie, was ihnen der Handel mit Produkten nicht abwerfen konnte. Der Ausfuhrhandel war nach und nach fast auf einen einzigen bedeutenden Artikel herabgesunken. Die deutsche Leinwand, ein Produkt der ländlichen Industrie, wurde so gut und billig hergestellt, daß mehrere andere europäische Länder sie nicht entbehren konnten. Ihr Absatz wurde besonders im siebenzehnten Jahrhundert gefördert durch die Erweiterung des Kolonialhandels der Engländer, der Franzosen und der Spanier. Nach England, Frankreich und der Pyrenäischen Halbinsel gingen namentlich aus Niedersachsen über Hamburg und Bremen bedeutende Mengen leinener Gewebe, während der Leinenabsatz aus Westfalen nach Holland und von Schwaben nach Italien ebenfalls nicht unerheblich war. Indessen das war bis auf die Ausfuhr einiger Metallwaren auch alles, und die Menge ausländischer Erzeugnisse, die für den Erlös dieser Ausfuhr gekauft werden konnte, reichte für den Bedarf des fürstlichen Luxus bei weitem nicht hin. Die deutschen Fürsten brauchten noch andere Zahlungsmittel und fanden sie in den Subsidien, für welche sie ihre landesherrlichen Rechte, vor allem die Verfügung über Fleisch und Blut ihrer Untertanen, an die Interessen des Auslands verkauften. Gülich berechnet, daß allein von 1750 bis 1815 von Frankreich 35 und von England 311 Millionen Taler an deutsche Fürsten gezahlt wurden, Summen, die es überhaupt erst verständlich machen, wie so viele Teilfürsten eines so verarmten Landes, wie Deutschland war, mit der prunkhaften Verschwendung der französischen Könige wetteifern konnten. Gülich, Geschichtliche Darstellung des Handels, der Gewerbe usw., 4, 353.

      Eine Fürstenklasse, deren ökonomische Grundlage der fortlaufende Verrat an ihren ideellen Fürstenpflichten war, mußte natürlich die Brutstätte aller menschlichen Laster werden. Schon im fünfzehnten Jahrhundert war das Sündenregister der deutschen Fürsten unerschöpflich. Und die deutschen Fürsten des sechzehnten Jahrhunderts muß selbst Treitschke eine »verkommene Generation« nennen. Bei der Kaiserwahl von 1519 verkauften sämtliche Kurfürsten ihre Stimmen, mit einziger Ausnahme Friedrichs von Sachsen, der durch den Segen seiner Bergwerke eine seit der Entdeckung der Neuen Welt freilich schon prekär gewordene ökonomische Unabhängigkeit genoß; besondern Skandal erregten der Kurfürst von Brandenburg und sein Bruder, der Kurfürst von Mainz, durch die fröhliche Unbefangenheit, womit sie im Aufstriche je nach den steigenden Geboten ihre Stimmen bald an den französischen, bald an den spanischen Bewerber um die deutsche Kaiserkrone losschlugen. Aber Kaiserwahlen waren Festtagsschmäuse für diese Handelsleute; der alltägliche Schacher ging um das Blut ihrer Untertanen. Es ist anzuerkennen, daß sie dabei jedes ideologische Mäntelchen verschmähten. Ohne Zweifel neigte sich die große Mehrheit der weltlichen Fürsten dem Protestantismus zu, vor allem, weil er ihnen die reichen Kirchengüter einzuheimsen gestattete und weil sich die lutherische Lehre je länger je mehr zu einer himmlischen Verklärung ihres sehr irdischen Duodezdespotismus gestaltete. Aber weder diese noch die katholischen »Bekenner« und »Betefürsten« ließen sich in dem süßen Handel mit ihrer Menschenware durch ihre religiösen Bekenntnisse beirren; jede derartige Zumutung würden sie als einen wahrhaft gotteslästerlichen Eingriff in ihre göttlichen Gerechtsame zurückgewiesen haben. In den Hugenottenkriegen kämpften deutsche Lansquenets und Reitres hüben wie drüben und in jedem Lager der Franzosen deutsche Katholiken und Protestanten bunt durcheinander; der Badener, die Rheingrafen, viele andere protestantischen Fürsten standen im Lager der Liga gegen die Hugenotten. Der protestantische Erich von Braunschweig führte seine Truppen zu Alba, um die holländischen »Sakramentsschänder« zu züchtigen. Im Schmalkaldischen Kriege standen Moritz von Sachsen und die beiden Markgrafen von Brandenburg, Joachim II. und Hans, nicht zu ihren evangelischen Bundesgenossen, sondern auf habsburgisch-päpstlicher Seite. Und so weiter bis zu dem niederträchtigen Menschenschacher, den deutsche Fürsten gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit England trieben und den wir weiterhin noch näher beleuchten müssen.

      Nichts begreiflicher, als daß die habsburgisch-päpstliche Weltmacht immer von neuem versuchte, dies Nest ruppiger Zaunkönige auszunehmen und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wiederherzustellen. Aber auch nichts begreiflicher, als daß alle diese Versuche nicht nur fehlschlugen, sondern das Gegenteil des erstrebten Erfolges erzielten. Trübselig wie das deutsche Fürstentum war, wurzelte es doch in den ökonomischen Zuständen des Landes, und die Feinde Deutschlands streckten schützend ihre Hand über den permanenten Landesverrat seiner Fürsten. Der gewaltigste jener Versuche, der Dreißigjährige Krieg, endete mit der verbrieften Landeshoheit der deutschen Fürsten unter völkerrechtlicher Garantie Frankreichs und Schwedens: Damit hatte die ökonomische Zerrissenheit Deutschlands, die es zum Spiel ausländischer Interessen machte, ihren politischen Ausdruck gefunden. In dem Kriege selbst spielten die protestantischen Fürsten eine mehr oder minder klägliche Rolle, der Kurfürst von Brandenburg eine so feige und zweideutige, daß ihn selbst, wieviel das immer sagen will, die hohenzollernschen Geschichtsschreiber preisgeben. Gleichwohl scheiterte das habsburgische Kaisertum daran, wieder vereinigen zu wollen, was die ökonomische Entwicklung zerrissen hatte, und aus dem ärmsten Winkel des protestantischen Deutschlands erwuchs ihm nunmehr ein Gegner, der ihm bald gefährlicher werden sollte als Frankreich und Schweden, als die ausländischen Beschützer der deutschen Kleinstaaten.

      Dieser Gegner war der brandenburgisch-preußische Staat. Mit dem Dreißigjährigen Kriege begann er ebenso über das nördliche Deutschland emporzuwachsen, wie Österreich über dem südlichen Deutschland stand; damals schon sagte ein habsburgischer Minister, der Brandenburger werde der werden, den das »lutherische Geschmeiß« ersehne. Wie wurde das nun aber? Die landläufige Antwort ist: als ein Werk der Hohenzollern. Männer machen die Geschichte, ruft Herr von Treitschke, ohne die Hohenzollern ist der preußische Staat undenkbar, und er redet dann auch von der »Herrschgier eines Fürstenhauses, dessen Glieder zumeist mit beispielloser Unfähigkeit geschlagen waren«, womit er die Habsburger meint. Diese kritische Analyse des österreichisch-preußischen Dualismus blendet durch ihre Einfachheit, und sie wäre gewiß sehr befriedigend, wenn anders Schmeicheleien und Schimpfereien in die wissenschaftliche Geschichtsschreibung gehörten. Andere wohlgesinnte Geschichtsschreiber sagen: Als Vorkämpfer des protestantischen Gedankens hat Preußen die deutsche Hegemonie errungen. Allein wir haben bereits gesehen, sowohl was es mit dem »protestantischen Gedanken« auf sich hatte als auch weshalb der preußische Staat jeden nach seiner Fasson selig werden ließ. Näher kommen der Wahrheit schon die kühnen Geister, die sich zu der Erkenntnis aufschwingen: Preußen hat als Militärstaat das deutsche Reich nach und nach erobert. Nur daß damit die Frage zwar näher erläutert, aber noch keineswegs beantwortet ist, denn Militärstaat war Österreich auch; Militärstaaten waren oder wurden im siebzehnten Jahrhundert alle europäischen Staaten, und selbst die kleinsten Winkelstaaten wurden wenigstens Militärspielschachteln. Der Absolutismus war undenkbar ohne ein Heer. Die erste Form des modernen Militarismus waren die geworbenen Haufen der Landsknechte, aber diese Form starb schon im Anfange des siebzehnten Jahrhunderts ab. Der Dreißigjährige Krieg hatte nicht zuletzt deshalb so lange gewährt und so furchtbare Verwüstungen angerichtet, bis ihm nicht sowohl der Sieg der einen und der anderen Partei als die allgemeine Erschöpfung ein Ziel setzte, weil keine der hadernden Parteien wegen des unzulänglichen Kriegsmaterials entscheidende Schläge führen konnte. Die Heere waren zu klein und vor allem zu wenig dauerhaft; bei jeder Stockung