Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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Zugeständnissen geneigt. Im Gegenteil! Er bekämpfte 1866 tapfer die Bildung der Nationalliberalen Partei, die sich gar zu gern auf seine Breslauer Rede als auf ihren Eierstock berufen hätte, und er bekämpfte auch schon 1861 die Bildung der Fortschrittspartei als ein die Reinheit der demokratischen Grundsätze trübendes Kompromiß. Er verweigerte lange seine Unterschrift unter das fortschrittliche Programm, hielt auch Waldeck davon zurück, und wenn beide schließlich durch die Logik der Tatsachen in die Reihen der nach Lage der damaligen ökonomischen Verhältnisse einzig möglichen bürgerlichen Oppositionspartei gedrängt wurden, so hat wenigstens Ziegler bis an sein Lebensende niemals aufgehört, über die »Höllenerfindung Fortschrittspartei«, diese »Olla potrida aller Prinzipien« zu schelten. Das Heer sollte eben nicht der »Monarchie«, sondern des »Staates« sein, und sein Ideal des Staates war das demokratische.

      Nach den Arbeiten von Marx und Engels ist es leicht, den Grundfehler in dieser Geschichtsauffassung zu entdecken. Er liegt in der idealistischen, auf Hegel zurückführenden Auffassung des Staats als der maßgebenden Urform der menschlichen Entwicklung. Aber wenngleich Marx schon 1844 in den »Deutsch-Französischen Jahrbüchern« in Anknüpfung an Hegels Rechtsphilosophie nachgewiesen hatte, daß nicht der von Hegel als »Krönung des Gebäudes« dargestellte Staat, sondern die von ihm so stiefmütterlich behandelte »bürgerliche Gesellschaft« den Schlüssel zum Verständnis des geschichtlichen Entwicklungsprozesses enthalte, und wenngleich im »Kommunistischen Manifest« schon die Grundlinien der materialistischen Geschichtsauffassung gezogen worden waren, so beherrschte 1858 doch noch die ideologisch-hegelianische Auffassung des Staats die besten Köpfe des Bürgertums. Huldigte ihr doch auch Lassalle, obschon in viel freierer und tieferer Weise als selbst Ziegler. Und so war es eine sehr natürliche und ganz unvermeidliche Schlußfolgerung, daß, wenn die zu neuem Kampfe sich rüstenden bürgerlichen Klassen einerseits auf Lessing als ihren ersten Vorkämpfer zurückgriffen, sie andererseits ihm einen Vertreter des »absoluten Staats« zur Seite stellten und diesen Vertreter im Könige Friedrich fanden, der zuerst die dynastische Eigensucht unter das Staatsinteresse gebeugt haben sollte (der Fürst ist der erste Diener des Staats) und dessen diplomatisch-kriegerischen Erfolge sowie freigeistige Richtung obendrein einen blendenden Gegensatz zu der überall in Europa blamierten und dazu vermuckerten Reaktion der fünfziger Jahre bildeten. Damit trat die Lessing-Legende in eine neue Gestalt. Aus der etwas kindlichen Anschauung, als ob Lessing an der Verachtung Friedrichs gleichsam zum Denker und Dichter erwachsen sei, entwickelte sie sich zu der Auffassung, daß, wie Stahr sagt, der König Friedrich als »Mitstreiter und Mitarbeiter seines großen Zeitgenossen« dastehe oder daß der König und Lessing, wie Lassalle meint, die deutschen »Revolutionäre« des achtzehnten Jahrhunderts gewesen seien.

      Man darf an den Aufsatz Lassalles keinen zu strengen Maßstab anlegen. Der Verfasser selbst hat ihn ein paar Jahre im Pulte behalten und ihn, obgleich er schon im November 1858 geschrieben war, doch erst im Jahrgange 1861 der »Demokratischen Studien« veröffentlicht. Ein Mann wie Lassalle konnte sich über die Schwächen von Stahrs Arbeit unmöglich täuschen; was ihn aber offenbar daran erfreut hat und auch erfreuen mußte, weil es ein wesentliches Verdienst darstellte, das war die politische Spitze, die Stahr seinem Stoffe gegeben hatte. In der Tat dreht sich hierum der ganze Aufsatz Lassalles. Er findet, daß Stahrs Buch »dreimal zur Zeit« kommt; »die dramatische Situation von heute sei der von damals wieder äußerst ähnlich geworden«; Lessings Wirken sei »nichts als Politik« gewesen; mit Recht sieht er auch eine »unendliche Überlegenheit« von Stahrs Arbeit über das Werk von Danzel-Guhrauer darin, daß Stahr das »kämpfende Heldenleben« Lessings namentlich in der Wolfenbütteler Zeit wieder zu Ehren gebracht habe, nachdem zwar nicht Danzel, aber allerdings Guhrauer allerlei vertuschende Schleier darüber zu breiten versucht hatte. Sehen wir zunächst von dem »Revolutionär« Friedrich ab, auf den wir eingehend zurückkommen müssen, so läßt sich ein wirklicher Tadel gegen Lassalles Lessing-Aufsatz nur insofern aussprechen, als er gar zu reichliches Lob über Stahr ergießt. Indessen auch darüber wird man milder urteilen, wenn man eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Lessings und Lassalles Berliner Leben erwägt. Beide lebten in einer ihnen geistig nicht gerade ebenbürtigen Umgebung, aber so, wie die Dinge einmal lagen, war es immerhin die beste Gesellschaft, welche sie finden konnten. Und wenn es nicht recht lassallisch war, daß Lassalle die Schrift von Stahr allzusehr lobte, so war es auch nicht gerade lessingisch, wenn Lessing hundert Jahre früher einen »Elenden« abstrafen wollte, »der sich unterstanden hatte, unserem lieben Ramler eine kleine Nachlässigkeit aufzumutzen«. Das ist eine gutmütige Lässigkeit, wie sie auch den Größten mal mit unterläuft, und nun gar in der Berliner Luft. Es kommt auf die Dauer und das Wesen der Dinge an, und da gilt von Lassalle, was Fichte von Lessing schreibt: »Unser Held (Nicolai) hatte, mit jenen, Mendelssohn und Lessing, vereinigt, einen kritischen Feldzug getan, entscheidend gegen einige schlechte Reimer, in andern Fächern, zum Beispiel dem der Philosophie, nicht ganz so glorreich. Sein großer Mitkämpfer wurde allmählich inne, daß dies ein schlechtes Geschäft sei und daß er es nicht in der besten Gesellschaft betreibe. Er zog sich zurück.« Fichte, Friedrich Nicolais Leben und sonderbaren Meinungen, 15. Und wenn Lassalle auch sicherlich dabei nicht an Lessing dachte, so trat jene Ähnlichkeit der Situation doch um so schärfer hervor, als er an Feuerbach schrieb: »Die Fortschrittler sind politische Rationalisten der seichtesten Sorte.« L. Feuerbachs Briefwechsel und Nachlaß, 2, 162.

      Es stellte sich allzubald heraus, daß jene bürgerliche Garde von 1848, jene ideologisch-hegelianischen Bekenner des Staates und seiner sittlichen Zwecke nichts als eine Handvoll Führer ohne Heer waren. Die ökonomische Entwicklung war schon so weit gediehen, daß die große Masse der bürgerlichen Klassen unter dem frei entfalteten, höchstens noch mit einigen ideologischen Bändern geschmückten Banner des Kapitalismus, die manchesterlichen Heiligenbilder voran, marschieren wollte. Die Gründung der Fortschrittspartei war von Ziegler ganz richtig beurteilt worden. Nichts verkehrter als die Behauptung der Bourgeoisie, daß Lassalle erst mit ihr gegangen und ihr dann, in seinem persönlichen Ehrgeiz verletzt, in den Rücken gefallen sei und so ihren Sieg verhindert habe. Sie hat gar kein Recht, Vorwürfe an Lassalle zu richten, dessen Haltung ihr gegenüber prinzipiell und taktisch gleich richtig war. Seine freundlich zuwartende Haltung rechtfertigte sich, solange die arbeitenden Klassen noch in politischem Schlummer lagen und die bürgerliche Opposition ihm in Männern wie Ziegler gegenübertrat, die grundsätzlich ein demokratisches Programm verfochten, entschlossene Vorkämpfer des allgemeinen Stimmrechts waren und für die Bedürfnisse der arbeitenden Klassen einen immerhin weiten Blick hatten. Aber als der Einfluß dieser Männer auf die bürgerlichen Klassen durch das überwuchernde Manchestertum mehr oder minder geschwächt wurde, als die ersten Zeichen einer proletarischen Bewegung hervortraten, da brauchte Lassalle mit dem Losschlagen um so weniger zu zögern, als der Sieg der Bourgeoisie über den Absolutismus und den Feudalismus längst unmöglich geworden war. Beredte Zeugnisse dafür gibt der vertraute Briefwechsel Zieglers mit seinem Jugendfreund Ritter, mit Arnold Ruge und namentlich mit Frau Fanny Lewald-Stahr, der Gattin des Lessing-Biographen.

      Lassalle und Ziegler standen sich außerordentlich nahe. Lassalle blickte zu dem um mehr als zwanzig Jahre älteren Manne mit einem gewissen, bei ihm sehr seltenen Gefühle von Pietät empor; er bewunderte seine praktischen Organisationstalente und empfahl ihn seinen Breslauer Landsleuten in fast überschwenglichen Worten zur Wahl ins Abgeordnetenhaus; er warb förmlich um seine Freundschaft in den Versen:

      »Einen aber gebraucht auch der Stärkste, ihn zu verstehen,

       Und du fandest in mir den, der dich liebt und begreift.«

      Ziegler aber erwiderte diese Freundschaft in vollstem Maße. Er zitterte um den Freund, als Lassalle seine Agitation begann, denn er wußte aus seinem zerbrochenen Leben, was der Haß einer in ihren materiellen Interessen verletzten Bourgeoisie bedeutete. Aber er dachte viel zu groß von ihm, um ihn durch weibische Klagen zurückzuhalten; er hat bekanntlich das Statut des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins entworfen, und einige Wochen, nachdem Lassalle das »Offene Antwortschreiben« erlassen hatte, sandte er ihm zum Geburtstage einen Pokal mit einem Sonette, das also schloß:

      »Nimm diesen Kelch, und siehst du, daß dein Mühen

       Vergeblich ist, und will dein Herz verbluten,

       Setz ihn zum letzten Trunke an die Lippe.

       Gedenke mein – Statt langsam zu verglühen,