Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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drei Ringe, aber – der verzweifelte Satz »und wollten das Land peupliren« hindert die Entwicklung dieser Kabinettsorder zu einer patriotischen Fabel. Friedrich wollte sein armes und dünn bevölkertes Land »peupliren«, um Rekruten für sein Heer und Steuern für seine Kassen zu bekommen, und da waren ihm Christen, Türken, Heiden und – wenigstens für den finanziellen Zweck – auch Juden höchst willkommen; er gewährte ihnen ohne weiteres öffentliche Anerkennung ihres Gottesdienstes und Schutz der Glaubensfreiheit. Aber deshalb hat er all sein Lebtag an eine Gleichstellung der religiösen Bekenntnisse im bürgerlichen Leben auch nicht im Traume gedacht; nichts hat ihm durch seine ganze Regierungszeit ferner gelegen, als den Juden, den Heiden, den Mohammedaner dem Christen, ja auch nur den Katholiken dem Protestanten gleichzustellen, wie es Locke in seinem Buche über die Toleranz und nach ihm die ganze bürgerliche Aufklärung verlangte. Man kann sogar nicht behaupten, daß sein persönlich freigeistiger Standpunkt bei der Bevölkerungspolitik irgendwie ins Spiel gekommen ist. Denn daß einerseits er selbst den Nutzen der Konfessionen für seine besondere Regierungskunst gar wohl zu erkennen wußte, andererseits aber schon sein strenggläubiger Vater »jeden nach seiner Fasson selig werden ließ«, beweist gerade die Entstehungsgeschichte dieses geflügelten Wortes.

      Die protestantische Geistlichkeit hielt nämlich die Thronbesteigung Friedrichs für eine passende Gelegenheit, um mit den von Friedrich Wilhelm I. für Soldatenkinder eingerichteten römisch-katholischen Schulen aufzuräumen. Sie erbat vom Könige die Beseitigung dieser Schulen, indem sie sich auf einen Bericht des Generalfiskals Uhden berief, der ihre geistlichen Lehrer einer unerlaubten Propaganda bezichtigte. Friedrich schrieb aber an den Rand der Eingabe: »Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden, und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der andern abrug Tuhe, den hier mus ein Jeder nach seiner Faßon Selich werden.« Preuß, 1, 138. Dieser »Grundgedanke des Nathan« besteht also in der Aufrechterhaltung einer Einrichtung, die Friedrich Wilhelm I. getroffen hatte. Das heißt: ein Fürst von dem beschränktesten Kirchenglauben, der selbst vor argen Mißhandlungen seines ältesten Sohns, eben des späteren Königs Friedrich, nicht zurückscheute, weil dieser über irgendeinen subtilen Lehrbegriff des Calvinismus anders dachte, als er nach dem väterlichen Willen denken sollte. Es handelte sich um die »Prädestination« Calvins. In der »Historischen Zeitschrift«, 69, 475, sind nicht weniger als vierzehn weitschweifige Aktenstücke über die Sache veröffentlicht. Der Generalauditeur mußte den Hofprediger Andreä »scharf« darüber verhören, wer dem Kronprinzen die »Principia des verteufelten und seelengefährlichen Particularismi inspirirt« habe. Auch die Gouverneure des Prinzen, Finckenstein und Kalckstein, wurden darüber vernommen. Weil Friedrich an die »göttliche Gnadenwahl« glaubte, schrieb sein Vater von ihm in Kabinettsordern an verschiedene Beamte: »Der Schelm, der zu Kustrin sitzet«, »will der Bösewicht zum Teufel fahren, so fahre er dahin«, »ewig, ewig, ewig zum Teufel verdammt, da ist kein Pardon.« Friedrich widerrief schließlich. Trotzdem richtete aber Friedrich Wilhelm I. nicht allein römisch-katholische Schulen für Soldatenkinder ein, sondern unterhielt in der Stadt Brandenburg auch einen russischen Popen für die russischen Soldaten seines Heeres; ja, er gestattete diesen, wo immer sie standen und auf die Gefahr der sonst wie die Pest gescheuten Desertion hin zur Befriedigung ihrer religiösen Bedürfnisse die Reise nach Brandenburg, die denn auch wirklich einmal von zwanzig kostspielig erworbenen Russen aus dem in Halle garnisonierenden Regimente des alten Dessauers zur Desertion benutzt wurde. Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit, 5, 190 Es ist darnach kaum noch nötig, ausdrücklich auszusprechen, daß, was Stahr und seine Nachbeter für den »Grundgedanken des Nathan« halten, nichts anderes als das erste Gebot des preußischen Militärstaats war.

      Die an sich schon schwierige und umständliche Werbung ausländischer Rekruten wäre ganz unmöglich geworden, wenn der Widerstand der Regierungen und der Bevölkerungen noch in dem Widerstande der Kirchen einen Rückhalt gefunden hätte. Für Preußen fiel dieser Umstand um so schwerer ins Gewicht, als es sein hauptsächlichstes Werbegebiet in den geistlichen Staaten des südlichen und westlichen Deutschlands hatte, während es doch für die römische Kurie der ausgeprägteste Ketzerstaat war, nicht zwar, wie es liebedienerische Geschichtsschreiber darstellen, wegen der ausgeprägten »protestantischen Gesinnung der Hohenzollern«, wohl aber, weil das eigentliche Königreich Preußen, die heutige Provinz Ostpreußen, säkularisiertes Ordensland, ein der katholischen Kirche geraubtes Besitztum war. Der Militärstaat Preußen hatte den dringlichsten Anlaß, die katholische Kirche wie ein rohes Ei zu behandeln; für ihn handelte es sich dabei einfach um Sein oder Nichtsein. Friedrich war sich darüber vollkommen klar. Wie er die katholischen Soldatenschulen vor protestantischen Anfeindungen schützte, so verbot er den protestantischen Feldpredigern in ihrer Vokation jeden Angriff auf den Katholizismus, so sorgte er in den Dienstreglements der einzelnen Regimenter für den regelmäßigen Gottesdienst der katholischen Soldaten, so ordnete er an, daß in den Feldlazaretten immer auch ein katholischer Geistlicher zugegen sein müsse, um den Angehörigen seiner Konfession mit religiösem Troste beistehen zu können, so ließ er im Jahre 1751 den »Heiligen Vater« durch Algarotti wissen, daß die Katholiken in seinen Staaten nicht nur geduldet, sondern sogar beschützt würden.

      Dazu kam noch ein sehr wichtiger Gesichtspunkt der Militärpolitik, der den König vollends bewegen mußte, jeden nach seiner Fasson selig werden zu lassen. In den Söldnerheeren war trotz der äußersten Wachsamkeit und der blutigsten Kriegsartikel die Desertion niemals auszurotten. Nach dem Militärwochenblatte, Jahrgang 1891, S. 1034, desertierten von 1713 bis 1740 nicht weniger als 30 216 Mann, eine Zahl, die nahezu gleichkommt der Etatsstärke des Jahres 1712. Friedrich selbst mußte trotz der furchtbaren, über die Desertion und den Desertionsversuch verhängten Strafen in den ersten zehn Jahren seiner Regierung fünf Generalpardons für Deserteure erlassen. Und das waren noch verhältnismäßig günstige Jahre; in und nach dem Siebenjährigen Kriege nahm die Desertion ganz gewaltig zu. Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften, 3, 2221. Gegen ein so hartnäckiges Übel waren denn auch religiöse Mittel nicht zu verachten; in den Dienstreglements wurde befohlen, daß die »Bursche Gott fürchten«, daß sie sonntäglich zweimal in die Kirche geführt werden und »allezeit stille mit Andacht Gottes Wort hören« sollten. Allein, wenn dadurch ein Erfolg erzielt werden sollte, so mußte den »Burschen« namentlich die »Heiligkeit« des Fahneneids durch einen Geistlichen ihrer »Fasson« eingepaukt werden. In dieser Beziehung ist es bezeichnend sowohl, daß Friedrich von allen Geistlichen am höchsten die Jesuiten mit ihrer strammen Disziplin schätzte, als auch wie er an einem Priester dieses Ordens einen Zweifel an der »Heiligkeit« des Fahneneides strafte. »Ich habe in allen Rücksichten nie bessere Priester als die Jesuiten gefunden«, ließ Friedrich dem Papste Clemens XIV. nach der Aufhebung des Jesuitenordens durch seinen römischen Geschäftsträger sagen, und er behielt die Jesuiten ohne ihr Ordensgewand als »Priester des königlichen Schulinstituts« in seinen Landen bei, was die liberalen Jesuitenfresser und Kulturpauker von heute ja wohl »friderizianische Tradition« nennen. Aber als ein wiederergriffener Deserteur aussagte, der Jesuitenpater Faulhaber in Glatz habe ihm auf seine Anfrage in der Beichte erklärt, die Desertion sei zwar eine große Sünde, aber doch keine Sünde, die niemals vergeben werden könne, da ließ Friedrich diesen Priester ohne Verhör und Urteil, ja auf seinen ausdrücklichen Befehl ohne Beichte neben einem schon seit einem halben Jahre faulenden Deserteur an dem Spionengalgen hängen. Als der Dominikaner-Vikarius zu Neiße im Jahre 1767 einige Kandidaten zur Seelsorge für die Neißer Garnison zuzuziehen wünschte, entschied Friedrich: »Bey der Garnisson können Sie gebraucht werden, aber verführen Sie die Soldaten zur desertion, mus sich der Vicarius gefallen lassen, daß sie gehangen werden.« Der Wert, den Friedrich auf die Religion als militärisches Disziplinarmittel legte, ist übrigens sehr begreiflich, wenn man erwägt, daß ihm selbst alle moralischen Mittel fehlten, sein »Heldenheer« an seine Fahnen zu fesseln. Wie sehr sie ihm fehlten, zeigt folgender Brief, den er im Bayrischen Erbfolgekrieg aus dem Lager bei Lauterwasser an den General Tauentzien richtete: »Ich trage Euch hierdurch auf, durch die Officiers unter die Regimenter ausbringen zu lassen, die Österreichische Deserteurs hätten hier ausgesagt, daß kein Tag vorbeiginge, wo die Österreicher nicht 10 bis 12 Kerls alle Tage todt prügelten und die sie kaum mahl begrüben: Imgleichen hätten sie von den Deserteurs, die von uns herüber gekommen, ein Hauffen, die sie in Frankfurt am Main angeworben und die sie wieder erkannt, weil sie nicht bei ihnen Dienste genommen, aufhängen lassen. Ihr habt demnach dieses so anzustellen, daß die Officiers davon unter