Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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Jahren offenbar wenig davon träumen, daß diese unbegreifliche Bewunderung in den neunziger Jahren erst recht zur Pflicht jedes patriotischen Deutschen gemacht werden würde.

      Gleichwohl ist die Auffassung Carlyles unzulässig. Sie wäre nämlich für die bürgerlich-preußischen Geschichtschreiber noch viel zu günstig, für Friedrich selbst aber viel zu ungünstig. Es ist kaum nötig zu sagen, daß die wissenschaftliche Geschichtsforschung mit den preußenfeindlichen Mythologen ebensowenig zu schaffen hat wie mit den preußenfreundlichen; in Friedrich den Quell alles Bösen zu sehen, ist der entgegengesetzte Pol derselben Verkehrtheit, die in seiner Person den Quell alles Guten erblickt. Wer die Geschichte dieses Fürsten nach wissenschaftlichen Grundsätzen studiert, wird als seine namhafteste Begabung und als die wesentlichste Ursache seiner Erfolge eine Eigenschaft entdecken, die gerade den Vertretern der materialistischen Geschichtsauffassung in gewissem Sinne sympathisch sein muß, nämlich eine vollkommene Klarheit darüber, daß er in dieser Welt auch nicht einen Schritt weiter machen könne, als die ökonomischen Bedingungen gestatteten, unter denen er lebte und regierte. Nicht zwar, als ob seine ökonomischen Einsichten über seine Zeit hinausgegangen wären: Sie blieben vielmehr weit hinter ihr zurück und waren nichts weniger als genial. Nicht auch, als ob er sich über seine ökonomischen Daseinsbedingungen niemals getäuscht hätte: Er hat es oft genug getan und hat dann auch regelmäßig schwer dafür büßen müssen. Aber wie er im Siebenjährigen Kriege seinem stets verzagten Bruder Heinrich schrieb, daß derjenige siegen werde, der den letzten Taler in der Tasche haben werde, wie er die Finanzen die »Nerven« des Staats nannte und sie in seiner Beschreibung des preußischen Staats allem anderen, selbst dem Heere, voranstellte, so hat er vom ersten bis zum letzten Tage seiner Regierung an jener grundlegenden Erkenntnis festgehalten, und es ist schwer zu sagen, an welchem dieser beiden Tage sie bemerkenswerter war: ob am ersten, da er, ein noch nicht dreißigjähriger Mann, in einem Augenblick aus einem gedrückten Sklaven ein unumschränkter Despot wurde, oder am letzten, da er nach allen seinen Erfolgen und nach der nahezu fünfzigjährigen Gewöhnung an eine despotische Herrschaft sich doch nicht darüber täuschte, was er konnte und was er nicht konnte.

      Demgemäß wollte er mit dem Satze, daß der Fürst der erste Diener des Staats sei, sich weder einem Ideal unterwerfen, noch auch wollte er damit, wie G. Kolb meint, die Aufmerksamkeit auf sich lenken und eine wohlfeile Popularität erhaschen. Es war ihm einfach um eine freiere Verfügung über die ökonomischen Machtmittel des Landes zu tun. Denn jener Satz, der beiläufig zuerst vom Kaiser Tiberius geäußert worden ist, enthält nicht eine Beschränkung, sondern eine Erweiterung des Absolutismus. Diese höchst einfache Erkenntnis ist für den beschränkten Untertanenverstand von heute ein eleusinisches Geheimnis geworden, aber die einsichtigen Zeitgenossen Friedrichs besaßen sie deshalb nicht weniger. So schreibt Heinse in seinem »Ardinghello«: »Wie ist einer Bedienter, dem niemand befiehlt, der keinen Herrn über sich kennt, der sich nach Gutbefinden Gesetze macht und gibt und keine annimmt, nach Willkür ohne Gesetz straft?« In der Tat – wenn Ludwig XIV. sagte: Der Staat bin ich, so war damit doch immer mindestens eine moralische Verantwortlichkeit des Fürsten für den Staat anerkannt, und Ludwig XVI. hat diese Verantwortlichkeit ja auch praktisch erproben müssen. Aber wenn der Fürst sich nur zum Diener, aber zum ersten Diener des Staats macht, so heißt das in einem absolutistischen Staate: Jede Verantwortlichkeit in die leere Luft blasen. Denn man kann sich doch unmöglich zum Sklaven seines Eigentums machen, und wie sehr Friedrich den »Staat« als sein Eigentum betrachtete, geht aus seinem Testamente hervor, worin er neben seinem »Gold- und Silbergeschirr, Bibliothek, Bildergalerie usw.« auch das »Königreich Preußen« wie den ersten besten Meierhof seinem Neffen vermacht.

      Friedrich verfolgte sehr praktische Zwecke mit der Behauptung, daß er der erste Diener des Staates sei. Er hat ihn etwa sechsmal aufgestellt, zuerst in seinem Anti-Macchiavell noch als Kronprinz. Er leitet ihn hier ein mit der Ausführung, daß es zwei Arten von Fürsten gebe: solche, die alles mit eigenen Augen sehen, die selbst ihre Staaten regieren, und solche, die sich auf die Redlichkeit ihrer Minister verlassen, die sich von dem regieren lassen, der über ihren Sinn Macht gewonnen habe. Jene sind unumschränkte Herren, gleichsam die Seelen ihrer Staaten, sie sind die ersten Wärter der Justiz, die Oberbefehlshaber der Streitmacht, die Leiter der Finanzverwaltung, kurzum, die ersten Diener des Staats; ihnen will Friedrich nacheifern. Mit diesen spielt er handgreiflich auf seinen Vater an, der in Friedrichs Jugendtragödie das blindwütende Werkzeug der österreichischen Parteigänger Grumbkow und Seckendorff gewesen war. Und überhaupt, ein wie wunderlicher Tyrann Friedrich Wilhelm I. gewesen sein mochte, so hatte er doch der von ihm begünstigten und eigentlich überhaupt erst geschaffenen Beamtenklasse einen mehr oder minder starken Anteil an der Regierung eingeräumt, den Friedrich als das letzte Hindernis eines aufgeklärten Despotismus verabscheute und demgemäß zu beseitigen trachtete. Ob ihm das wirklich gelang, und ob nicht doch der Vater der aufgeklärtere Despot von beiden war, das ist eine Frage, über die wir uns weiterhin noch verbreiten müssen. Hier kommt es nur darauf an, was Friedrich beabsichtigte. Er strebte darnach, alle Beamte zu willenlosen Vollstreckern seines despotischen Willens zu machen, und der Satz vom Fürsten als dem ersten Diener des Staats war der Gedanke zu seiner Tat. Er ist sich darin stets treu geblieben. Vierzig Jahre nach dem Anti-Macchiavell schreibt er, daß der Herrscher zwar ein »Mensch« sei »wie der geringste seiner Untertanen«, aber zugleich »der erste Richter, der erste Finanzmann, der erste Minister der Gesellschaft«. Als solcher habe er das gleiche Interesse mit dem Volke, was man von einer Aristokratie der Generale und Minister, denen er sich überlasse, keineswegs behaupten könne. Essai sur les formes du gouvernement et les devoirs des souverains [Versuch über die Herrschaftsformen und die Pflichten der Herrscher]. Œuvres, 9, 200, 208; Ausgabe der Akademie. Friedrich hat denn auch ganz ohne das höhere Beamtentum regiert; er sah die Minister amtlich überhaupt nur einmal im Jahre bei der sogenannten »Ministerrevue« im Juni; er verfügte alle Regierungshandlungen selbständig von seinem Kabinett aus, wobei ihm zur Erledigung des Lese- und Schreibewerks drei sogenannte Kabinettsekretäre dienten, die er fast durchweg aus subalternen Schreibern wählte und zu einem Leben von mönchischer Einsamkeit verdammte oder gar, wie ein fremder Diplomat sagte, als Staatsgefangene bewachen ließ.

      Etwas anders steht es mit dem »Könige der Armen«, denn eine urkundliche Bezeugung dieses geflügelten Worts liegt überhaupt nicht vor. Es ist auch nicht an dem, was Herr v. Treitschke versichert: »Die menschlichste der Königspflichten, die Beschützung der Armen und Bedrängten, war für die Hohenzollern ein Gebot der Selbsterhaltung; sie führten mit Stolz den Namen ›Könige der Bettler‹, den ihnen Frankreichs Hohn ersann.« Treitschke, Deutsche Geschichte, 1, 44. Jene »menschlichste der Königspflichten« war für Friedrich, der bekanntlich nicht die »Armen und Bedrängten«, sondern die Reichen und die Bedrängenden, das will sagen die Klasse der junkerlichen Großgrundbesitzer, mit unaufhörlichen Unterstützungen aus der Staatskasse und den ausschweifendsten Vorrechten überschüttete, überhaupt kein Begriff, und nun gar »Frankreichs Hohn« hat mit der Sache aber auch wirklich gar nichts zu tun. Sie hängt vielmehr so zusammen, daß Friedrich einige Monate vor seiner Thronbesteigung an der Tafel des Herzogs von Braunschweig in Berlin die Äußerung tat: »Wenn ich dereinst auf den Thron gelange, so werde ich ein wahrer König der Bettler sein.« Weber, Aus vier Jahrhunderten, Neue Folge, 1, 142. Quand je viendrais un jour au trône, je serais un vrai roi des gueux. So lautete die Äußerung Friedrichs nach dem von Weber aus den Dresdener Archiven mitgeteilten Berichte des in Berlin lebenden ehemals sächsischen Ministers Manteuffel an den Minister Brühl. Die Berichte Manteuffels enthalten viel diplomatischen und höfischen Klatsch, so daß sie kein einwandfreies Zeugnis für jenes Wort Friedrichs bilden, aber ein Schelm gibt mehr, als er hat, und irgendwo anders ist der roi des gueux überhaupt nicht bezeugt. Womit er entweder wirklich einen gewissen Weg mit einem guten Vorsatze pflasterte, oder aber – was wahrscheinlicher ist – der das Volk ausbeutelnden Finanzkunst seines Vaters einen Stich versetzen wollte. In diesem Sinne faßte der Vater selbst die Äußerung auf, als sie ihm hinterbracht wurde; sie erregte in ihm den letzten Wutanfall gegen den Sohn. Sollte sie übrigens so gemeint gewesen sein, so ist sie praktisch gleichfalls ohne allen Belang geblieben, denn Friedrich ließ es bei der Finanzmethode Friedrich Wilhelms I. bewenden, nur daß er sie nach dem Siebenjährigen Kriege noch unendlich viel drückender machte.

      Kommen die Gazetten, die nicht genieret werden sollen. Hierbei spielte sich ein kleines Intermezzo der auswärtigen Politik ab;