Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
Скачать книгу
worden ist, mit dem Gedicht Ich, dessen Schlußzeilen lauten:

      »Wie lange währt's, so bin ich hin

       Und einer Nachwelt untern Füßen;

       Was braucht sie, wen sie tritt, zu wissen?

       Weiß ich nur, wer ich bin.«

      Und ferner: Wenn man liest, daß Goethe dem Dresdener Hofpoeten die glücklichere Schilderung der Gäule als der Menschen »gerade zum Lobe« anrechnet, wenn man liest, daß Goethe den preußischen König verteidigt, weil Friedrich, wie man heute sagen würde, den nationalen Gedanken in Gestalt schofler Fabrikware – »billig und schlecht« heißt's ja wohl heutzutage – noch geehrt, aber die deutsche Literatur nicht einmal dieser Pflege für wert erachtet, sondern die Deutschen rein als Kanaillen behandelt habe, damit sie aus lauter Widerspruchsgeist große Denker und Dichter würden, wenn man dies alles mit einfachem, gesundem Menschenverstande liest und dann einen Blick auf den alexandrinischen Notenkram und die byzantinischen Kommentare wirft, die über die »berühmte Stelle« aufgehäuft sind, möchte man dann nicht mit dem alten Baron im Münchhausen sagen: »Der Schulmeister schnappt noch gar über! Das ist ja die blanke, pure Gottessatire?« Aber so sind unsere Schulmeister. Statt wenigstens so viel zu sehen, daß Goethe sowohl von dem Lustlager von Mühlberg wie von dem Siebenjährigen Kriege auf die »Sitten, Leidenschaften, Charaktere« des »inneren Menschen«, der »bürgerlichen Welt« als die »Hauptsache« der damaligen Dichtung im allgemeinen und seiner Dichtung im besonderen zurückkehrt, daß er also von unserer klassischen Literatur nach einigen krausen Schnörkeln eben das sagt, was Schiller schon in die Worte gekleidet hatte: Selbst erschuf sie sich den Wert, statt den höchsten Ruhmestitel des deutschen Bürgertums hervorzuheben und unsertwegen auch mit ihm zu prahlen, den Ruhmestitel, daß die bürgerlichen Klassen des achtzehnten Jahrhunderts, so gedrückt und geschunden, so verarmt und verzopft sie in Deutschland waren, doch noch Kerle wie Lessing, Herder, Goethe, Schiller und wie viele andere noch! aus sich hervorgebracht haben, statt dessen hängen sich unsere literarischen Schulmeister an das Zöpfchen von Goethe, um sich von da an den Zopf Friedrichs schwingen und an diesem ihre loyalen Turnkünste zeigen zu können.

      Und wenn ihnen ja eine Ahnung aufdämmert, daß sie sich auf einem Holzwege befinden, so verlaufen sie sich erst recht. So orakelt Herr Grisebach in seiner Biographie Bürgers, mit dem staatlichen Aufblühen Preußens unter Friedrich dem Großen hebe naturgemäß auch eine neue Epoche der deutschen Literatur an; er zitiert dann einige Sätze aus der »berühmten Stelle«, fügt aber hinzu: »Nur hätte Goethe nicht Gleims und Ramlers politische Reimereien sowie den als Dichter so unglaublich überschätzten Lessing, der sich selbst weit richtiger taxierte, als Beweis des Neuen anführen sollen.« Schade, daß Herr Grisebach nicht mehr den alten Olympier selbst deshalb stellen konnte. Auf diesen vorwitzigen Einwand würde Goethe wohl aus seiner »bedeutenden« Redeweise gefallen und mit dem Gemeinplatze herausgefahren sein: Mein Lieber, woher nehmen und nicht stehlen? Grisebach, G. A. Bürgers Werke, 1, 19. Herr Grisebach ist übrigens auch ein famoses Beispiel dafür, wie die heutigen Reichsdichter »höheren Lebensgehalt« gewinnen. Als Herr Falk seine Kulturkampfgesetze machte, dichtete Grisebach einen »Tannhäuser in Rom«, worin sich Tannhäuser also von der »Teufelinne« befreit: »Auf Rom hernieder sah Tannhäuser, an Deutschland dacht' er und den Kaiser, das teure, edle, deutsche Land, das nun in bittrem Zwist entbrannt wie zu der Hohenstaufenzeit: Hier Kaiser! und hier Pabest! schreit ... Tannhäuser schwur gleich seinen Ahnen zu folgen eines Kreuzzugs Fahnen, doch wider deutschen Reiches Feind als Gottes und des Kaisers Freund, wider den Papst und seine Pfaffen mit seines Worts stahlharten Waffen zu kämpfen als ein treuer Ritter. Die alte, weiche Liebeszither ... Tannhäuser hat sie heut zerschmettert am Felsen Petri, keine Lieder ersinnt die hohe Stirn euch wieder, und sein verschloßner ernster Mund tut nicht mehr im Gesang sich kund, in Büchern, Schriften, flücht'gen Blättern wird er ins alte Schlachthorn schmettern.« Natürlich so lange, bis der »Pabest« von wegen der Lebensmittelzölle wieder »Gottes und des Kaisers Freund« wurde.

      Denn wenn schon ein Einfluß Friedrichs und des Siebenjährigen Krieges auf die deutsche Literatur nachgewiesen werden soll, so hat Goethe allerdings dasjenige herausgegriffen, was menschenmöglicherweise in diesem Sinne verwertet werden kann; Lessings Minna verherrlicht den Siebenjährigen Krieg zwar nicht und gewinnt auch nicht ihren »höheren Lebensgehalt« aus ihm, aber sie bezieht sich wenigstens auf ihn. Ramler war zwar schon vor sechzig Jahren, wie damals Platen von ihm sang, »längst in Gott verstorben«, aber als er lebte, besang er allerdings den König Friedrich. Und endlich zeichnen sich Gleims Kriegslieder vor seiner sonstigen läppischen Poesie bis zu einem gewissen Grade immerhin aus. Auch ist Gleim der einzige preußische Dichter, der den König Friedrich wenigstens einmal von Angesicht zu Angesicht gesehen hat. Nachdem er ihn bald ein halbes Jahrhundert angesungen hatte, wurde ihm das Glück kurz vor Friedrichs Ende noch zuteil, und Gleims poetischer Bericht darüber möge hier eine Stelle finden:

      »Der König und Gleim

       zu Potsdam, den 22. Dezember 1785

      Wie heißt der Domdechant? v. Hardenberg. Macht der auch Verse? Mehr als ich! Macht er sie auch so gut als Er? Ich glaube nein: Man schmeichelt sich Am liebsten selbst. Da hat Er recht! die Brüder Im heiligen Apoll, die harmonieren nicht. Wir harmonieren sehr, denn er macht Kirchenlieder, Ich nicht, und keiner spricht Von seinen Versen. Das ist besser, Als wenn ihr's tätet! Aber sagt: Ist Wieland groß, ist Klopstock größer? Der, Sire! wäre stolz, der's zu entscheiden wagt. Er ist nicht stolz? Ich bin's in diesem Augenblick, Sonst eben nicht. Er geht nach Halberstadt zurück, Ins hochgelobte Mutterland? Ja, Ihro Majestät! Grüß Er den Domdechant!« Körte, Gleims Leben, 219.

      Das wäre so die einzige Stelle, worauf sich ein literarisches Zeitalter »Friedrichs des Großen« bauen ließe. Aber ach! sie ist bei den bürgerlich-preußischen Literarhistorikern gar nicht »berühmt«.

      III. Heine, Gervinus, Danzel über Lessing

       Inhaltsverzeichnis

      Seit dem Erscheinen von »Dichtung und Wahrheit« (im Jahre 1815) ist kaum eine Arbeit über Lessing veröffentlicht worden, in welche die »berühmte Stelle« nicht mehr oder weniger ihre verdüsternden Schatten geworfen hätte. Mit einer allerdings glänzenden Ausnahme: Heinrich Heine bedurfte dieses verzerrenden Spiegels nicht, um zu erkennen, wer Lessing war und was sein Wirken für das deutsche Volk bedeutete. Ebendeshalb gehört das, was er über Lessing zu sagen hatte, eigentlich nicht in die Geschichte der Lessing-Legende. Gleichwohl muß es an dieser Stelle berührt werden. Denn soweit ab sich die bürgerlich-preußischen Literarhistoriker von Heines richtiger Spur entfernt haben, sowenig verschmähen sie es, einzelne Prachtworte von Heine über Lessing sich anzueignen und als Fettaugen in ihre mageren Brühen zu verpflanzen. So das Wort von Lessings Witz, der kein kleines französisches Windhündchen sei, das seinem eigenen Schatten nachlaufe, sondern vielmehr ein großer deutscher Kater, der mit der Maus spiele, ehe er sie würge; so den noch berühmteren Vergleich von den winzigen Schriftstellerlein, die Lessing mit dem geistreichsten Spotte, mit dem köstlichsten Humor gleichsam umsponnen habe und in seinen Werken nun für ewige Zeiten erhalte wie Insekten, die sich in einem Stück Bernstein verfangen.

      Nicht aber in diesen einzelnen Worten, so blendend und so wahr sie namentlich auch sind, liegt die Bedeutung dessen, was Heine über Lessing zu sagen hat. Und wenn sie aus dem Zusammenhange gerissen werden, so daß der Schein entsteht, als habe Heine nur über die literarische Kunst Lessings ein paar vortreffliche Beobachtungen gemacht, so ist das freilich auch ein Stück Lessing-Legende. Herrn Erich Schmidts kahle und schiefe Bemerkung: »Selbst ein Spötter wie Heine wird pathetisch, wenn er Luther und Lessing nennt, unsern Stolz und unsere Wonne«, macht gleichmäßig aus Heine wie aus Lessing einen »toten Hund«. Die Aufsätze »Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland« sind vielmehr eine geschichtsphilosophische Leistung voll so genialer Rück- und Vorblicke, wie ihrer im Jahre 1834 eben nur Heinrich Heine fähig war. Heine erkennt in unserer klassischen Literatur den beginnenden Emanzipationskampf der bürgerlichen Klassen in Deutschland, der sich wegen der »bleiern deutschesten Schlafsucht« oder mit andern