Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Mehring
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027207824
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5. Juni 1740, dem sechsten Regierungstage Friedrichs. Es lautet: »Se. Königl. Majestät haben mir nach aufgehobener Tafel allergnädigst anbefohlen, des Königl. Etats- und Kriegsministers Herrn v. Thulemeyer Exzellenz in Höchstdero Namen zu eröffnen, daß dem hiesigen Berlinischen Zeitungsschreiber eine unbeschränkte Freiheit gelassen werden soll, in dem Artikel von Berlin von Demjenigen, was anitzo hierselbst vorgeht, zu schreiben, was er will, ohne daß solches zensirt werden soll, wie Höchstderoselben Worte waren, weil solches Dieselben divertire, dagegen aber auch sodann fremde Ministri sich nicht würden beschweren können, wenn in den hiesigen Zeitungen hin und wieder Passagen anzutreffen, so ihnen mißfallen könnten. Ich nahm mir zwar die Freiheit, darauf zu regeriren, daß der ...sche Hof« (vermutlich ist zu ergänzen: der österreichische) »über dieses Sujet sehr pointilleux wäre, Se. Maj. erwiderten aber, daß Gazetten, wenn sie interessant sein sollten, nicht genirt werden müßten.« Preuß, Friedrich der Große, 3, 251 f. Es handelte sich also bei dieser glorreichen »Preßfreiheit« um nichts als um einen alten und freilich ewig neuen diplomatischen Kniff, um die Möglichkeit, auswärtigen Mächten allerlei unangenehme Dinge sagen und dabei doch die Hände in Unschuld waschen zu können. Daneben blieb das strenge, von Friedrich immer wieder – so am 21. März 1741 und am 7. Juni 1746 – eingeschärfte Verbot bestehen, daß »in publicis nichts ohne höhere Erlaubnis gedruckt werden dürfe«; jede Kritik der Regierung und Verwaltung, ja »jede Erörterung der öffentlichen Verhältnisse galt für durchaus unstatthaft« (Preuß). In dem politischen Teile der damaligen Berliner Zeitungen findet man nichts als Nachrichten von Feuersbrünsten, Erdbeben, Mißgeburten, wie eine Algierische Schebecke ein Maltesisches Schiff genommen, und dergleichen mehr. Denn auch über den »Artikel von Berlin« wurde schon im Dezember 1740 die Zensur wieder verhängt, angeblich wegen »Mißbrauchs der Freiheit«, tatsächlich wohl, weil Friedrich, als er Berlin verließ, um in Schlesien einzufallen, die Waffe, die er selbst nicht mehr führen konnte, in den damaligen Zeitläuften nicht andern Händen überlassen mochte. Aber gleichviel, ob dem so oder anders war: In jedem Falle hatte die ganze Herrlichkeit von sogenannter »Preßfreiheit« gerade nur ein halbes Jahr gedauert, was am Ende auch noch das Beste an ihr war. Grundsätzlich hat sich Friedrich stets als ein Gegner der Preßfreiheit, als ein Anhänger der Zensur bekannt, selbst an Stellen, an denen er sonst gern seine freisinnigste Seite herauskehrte, wie in seinem literarischen Briefwechsel mit französischen Schriftstellern. So schreibt er am 7. April 1772 an d'Alembert, man müsse in den Büchern alles unterdrücken, was die allgemeine Sicherheit und das Wohl der Gesellschaft gefährde, welche die Verspottung nicht ertrage. Es ist auch wohl kaum nötig zu sagen, daß die Anekdote von der Karikatur auf den König, die Friedrich »niedriger hängen« ließ, damit sie bequemer gesehen werden könne, nach Nicolais Zeugnis eine »leere Sage« ist, ein »Stadthistörchen, wie dergleichen bei Hunderten in Berlin und in allen andern großen Städten« umzugehen pflegen. Freimütige Anmerkungen über des Herrn Ritters v. Zimmermann Fragmente, 2, 220. Am Abend seines Lebens, in einer Kabinettsorder vom 14. Oktober 1780, huldigte der König dann noch der Preßfreiheit in seiner besonderen Weise, indem er den Kriegsdienst als Strafe »wegen unbefugter Schriftstellerei, Aufwiegelung der Untertanen und dabei verwirkter grober Plackereien« verhängte.

      Tatsächlich aber gibt es keinen klassischeren Zeugen gegen das friderizianische Preßsystem als gerade Lessing. In der bittersten Armut seiner jungen Jahre war es ihm nicht gut genug, eine politische Zeitung in Berlin zu redigieren unter einer jede selbständige Äußerung unterdrückenden Zensur, und in seinen reiferen Jahren hat er bekanntlich die »Berlinische Freiheit zu denken und zu schreiben« mit bitteren Worten beschränkt »einzig und allein auf die Freiheit, gegen die Religion soviel Sottisen zu Markte zu bringen, als man will, und dieser Freiheit muß sich der rechtliche Mann nun bald zu bedienen schämen«.

      Man darf nicht übersehen, daß dabei der Nachdruck noch obendrein auf den »Sottisen« ruht. Herr Erich Schmidt macht ein großes Aufheben davon, daß Friedrich den »anrüchigen«, den »verachteten« Freigeist Edelmann ruhig in Berlin habe leben und sterben lassen. Das ist auch ganz richtig; nur hätte Herr Schmidt doch lieber einem ehrlichen Manne nicht noch nach dem Tode die Ehre abschneiden sollen, um eine Gloriole um Friedrichs sogenannte »Toleranz« zu weben. »Anrüchig« und »verachtet« war Edelmann höchstens bei den Zeloten des Berliner Aufklärichts, sonst war er, wie Geiger ihn treffend nennt, ein »Aufklärer vor der Aufklärungszeit«, ein gar nicht unwürdiger Vorläufer von Reimarus und in gewissem Sinne selbst von Lessing. Die »verächtlichen Anspielungen«, die Lessing nach Herrn Schmidt auf Edelmann gemacht haben soll, beschränken sich in der Tat darauf, daß der blutjunge Lessing in einem Brief an seinen Vater beiläufig sagt, gegen Lamettrie sei Edelmann noch ein Heiliger: In reiferen Jahren kann Lessing unmöglich »verächtlich« von einem Manne gedacht haben, der trotz mancher Schwarmgeisterei unerschrocken in Spinoza seinen Meister pries, der alle geoffenbarten Religionen für unmöglich erklärte, aber die Stifter von Religionen gegen den Vorwurf des Betruges verwahrte, der in dem Vorworte seines bedeutendsten, 1747 erschienenen Werks höchst lessingisch schrieb, nicht Frevel oder Mutwille drücke ihm die Feder in die Hand, sondern die Liebe zur Wahrheit, ob er schon wisse, daß denen, die die Wahrheit geigten, der Fiedelbogen um den Kopf geschlagen zu werden pflege.

      Die Duldung, die Friedrich dem verfolgten Manne gewährte, hatte nun aber auch sehr ihre zwei Seiten. Der König scheint ihn für einen harmlosen Schwärmer genommen zu haben; er hat ihn persönlich nicht behelligt, obgleich er ihm eine ausdrückliche Zusicherung seines Schutzes versagt haben soll. Kleist an Gleim, Potsdam den 23. Juli 1747: »Herr Edelmann, der Epikureer, ist hier gewesen und sucht beim Könige Schutz in seinem Lande wider] die Nachstellungen der Geistlichen; er hat sich aber unverrichtetersache wegmachen müssen.« Ewald v. Kleists Werke, 2, 82; Ausgabe von Hempel. Aber sonst gab er ihn seinen Verfolgern einfach preis. Der Propst Süßmilch nämlich, ein Mitglied der Akademie und ein auf dem Gebiete der Bevölkerungsstatistik sonst nicht unverdienter Schriftsteller, fiel in einer wütenden Schmähschrift – »halb Denunziation, halb Schimpfwörterlexikon« nennt sie Geiger – über den »berüchtigten Edelmann« her, und als ein anderes Mitglied der Akademie, der Chemiker Pott, sich in einer anonymen Gegenschrift Edelmanns annahm, schickte der König den Drucker dieser Schrift, den jungen Rüdiger, einen Freund Lessings, für sechs Monate auf die Festung nach Spandau, weil er, wie Sulzer an Gleim schrieb, die »christliche Religion und ihre Herolde angegriffen« hatte. Obendrein erklärte Friedrich in einem besonderen Edikte vom 14. April 1748, er werde in ähnlichen Fällen keine Begnadigung eintreten lassen. Im Jahre 1743 hatte er bereits ein paar rationalistische Abhandlungen des Gottschedianers Gebhardi verbieten lassen, und als dann der Gottschedianer Mylius, der bekannte Jugendfreund Lessings, in einer von ihm herausgegebenen Wochenschrift die Berliner Schulmeister beleidigt haben sollte, erschien »wegen verschiedener skandaleuser, teils wider die Religion, teils wider die Sitten anlaufender Bücher und Schriften« das allgemeine Zensuredikt vom 11. Mai 1749, das auch die theologischen Schriften einer Zensur unterwarf und den – Propst Süßmilch zum theologischen Zensor bestellte. Dies Edikt blieb bis zu Friedrichs Tode in Gültigkeit. Bekanntlich wurde dann auch den Fragmenten eines Ungenannten, als Lessing sie in Berlin herausgeben wollte, von der theologischen Zensur das Plazet verweigert, nicht zwar von dem inzwischen gestorbenen Süßmilch, aber von Teller, dem »aufgeklärtesten« der Berliner Theologen, der obendrein, als Lessing in Braunschweig wegen der Anti-Goeze gemaßregelt wurde, aus freien Stücken diese fliegenden Blätter einer klassischen Polemik für »nicht zensierbar« in Berlin erklärte. Man sieht also, daß man die »Sottisen gegen die Religion«, auf die Lessing die Berlinische Gedanken- und Redefreiheit beschränkte, im sottisenhaftesten Sinne des Worts nehmen muß: Ernsthafte Untersuchung religiöser Grundsätze, selbst wenn sie von Gottscheds bescheidenem Standpunkt ausging, wurde unter Friedrich gar sehr »geniert«.

      Damit sind wir zur Religionspolitik Friedrichs und zu dem berühmtesten seiner geflügelten Worte gelangt. In dem Satze: »Alle Religionen müssen toleriert und jeder muß nach seiner Fasson selig werden«, erblickt Stahr den »Grundgedanken des Nathan«, und wer weiß wie viele haben ihm diese Weisheit gläubig nachgebetet. Man könnte sich wundern, daß Stahr und seine Gefolgschaft nicht lieber eine andere, zu gleicher Zeit von Friedrich über die gleiche Frage erlassene Kabinettsorder anziehen, die der Parabel von den drei Ringen noch viel näherkommt. Auf das Ansuchen eines Katholiken nämlich um das Bürgerrecht in Frankfurt a. O. antwortete Friedrich: »Alle Religionen sind gleich gut, wenn nur die