Franz Ferdinand. Alma Hannig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alma Hannig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783902862792
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die Tatsache berücksichtigen, dass damals verschiedenste Rassenideologien (mit dem entsprechenden Vokabular) in ganz Europa populär waren und diskutiert wurden. Eine dieser Stellen lautet: »Der misstrauische und hinterlistige Charakter der Chinesen, ihr sich in crassem Egoismus verzerrendes Wesen und andere ihrer Eigenschaften machen mir dieses schon äußerlich unsympathische Volk widerlich, so wenig ich leugne, dass es auch Vorzüge besitzt.«72

      Franz Ferdinand besuchte in den meisten Gebieten politische Institutionen, Verwaltungsgebäude, Museen und Gebetshäuser. Er schaute sich aber auch Gerichte, Bildungsanstalten, Krankenhäuser, Gefängnisse oder Tierheime an.73 Kritisch beobachtete und kommentierte er die sozialen Missstände, Korruption, Alkohol- und Drogenmissbrauch. So hielt er beispielsweise fest, dass während die Maharadschas und Radschas im »üppigen Reichthum« lebten, gleichzeitig Millionen von Menschen in Indien »in einer Armut und Dürftigkeit« vegetierten, die »jeder Menschenwürde Hohn sprechen, welche das Maß des von uns für möglich Gehaltenen weit übertreffen«.74 Dass ihn solche Beobachtungen dazu veranlasst hätten, sich mit der Situation in der Donaumonarchie ähnlich kritisch auseinanderzusetzen, lässt sich allerdings an keiner Stelle nachvollziehen. Über den Umgang der Australier und Amerikaner mit den Ureinwohnern äußerte er sich ebenfalls sehr kritisch.75 Und mit manchen Themen überrascht der Erzherzog den heutigen Leser: Die Rolle der Frau bzw. die Behandlung von Frauen in verschiedenen Gesellschaften ist beispielsweise ein regelmäßig wiederkehrendes Thema. Er berichtete vom Töten der neugeborenen Mädchen in Indien und Neukaledonien oder von der »vollkommen untergeordneten« Stellung der Frauen auf Java, den Salomon-Inseln und ebenfalls in Neukaledonien, wo sie »überaus schlecht behandelt und zu allen schweren Arbeiten angehalten [werden]«.76

      Franz Ferdinands Ansichten über die einzelnen Länder und Landschaften wiederzugeben, würde ein eigenes Buch füllen. Es sei lediglich angemerkt, dass er vor allem in Australien und Japan sowohl von den Menschen als auch von den Landschaften und Sehenswürdigkeiten sehr angetan war.77 Der Besuch eines japanischen Theaterstücks sorgte allerdings für ein gewisses Befremden: Wegen der langen Dauer der Stücke würden sich alle »häuslich« einrichten, Essen und Getränke mitbringen und rauchen. »Das fortwährende Rauschen der eifrig bewegten Fächer, Kindergeschrei und das Ausklopfen der Pfeifen verursacht andauernden und abwechslungsreichen Lärm, welcher den Kunstgenuss einigermaßen beeinträchtigt.« Zudem seien die »feuerpolizeilichen Vorschriften« nicht besonders streng, denn die Streichhölzer würden auf den Boden geworfen, obwohl das Gebäude »nur aus Holz, Stroh und Papier errichtet ist«.78

      Ein weiteres wiederkehrendes Moment der erzherzoglichen Beschreibungen ist die Heimatliebe. Häufig berichtete er von seinem Heimweh und zog Vergleiche zwischen den Naturlandschaften im Ausland und in Österreich, wobei ihm die eigene Heimat in der Regel besser gefiel.79 Dies könnte zwar als Teil des Kalküls interpretiert werden, die Identifikation der Leser mit dem Thronfolger und dessen Beliebtheit mithilfe der patriotischen Äußerungen zu erhöhen. Wenn man jedoch seine sonstigen Aufzeichnungen und Korrespondenzen zur Hand nimmt und zudem berücksichtigt, dass sich Franz Ferdinand niemals um die Gunst der Öffentlichkeit bemüht hatte, gewinnt man rasch den Eindruck, dass diese Aussagen authentisch waren und dass dem Thronfolger die österreichischen Alpen tatsächlich »doch das Liebste und Schönste« waren, »was man sehen kann«.80

      Der Erzherzog zeigte sich für viele neue Erfahrungen offen, auch wenn er sie anschließend mitunter kritisch oder negativ beurteilte. So probierte er beispielsweise die ungewöhnlichsten Speisen, ließ sich einen Drachen tätowieren (der Obduktionsbericht von 1914 bestätigt die Existenz eines Tattoos am linken Oberarm) und nahm am Wettschießen mit dem besten indischen Schützen teil.81 Manchmal äußerte er sogar Selbstkritik und Ironie, beispielsweise als er seine mangelnden Englischkenntnisse als Hindernis für vernünftige Konversationen erwähnte, oder wenn er von der »Kaufmanie« schrieb, die jeden Reisenden und ihn insbesondere befiel.82

      Eine völlig neue Erfahrung für den Erzherzog war seine Überfahrt von Japan nach Amerika, da er auf einem kanadischen Passagierdampfer weder die Befugnisse noch die Bewegungsfreiheit hatte, die er auf dem österreichisch-ungarischen Kriegsschiff gehabt hatte.83 Er war praktisch einer der Passagiere, die zwar einen gewissen Luxus, aber keine weiteren Vorrechte genossen.

      Bezüglich seiner Beschreibungen der politischen, verfassungsrechtlichen und wirtschaftlichen Lage der bereisten Gebiete lässt sich generell feststellen, dass ihn das koloniale Verwaltungssystem der Engländer stark faszinierte und zum Teil begeisterte. Eine besondere Beachtung verdienen seine Schilderungen der USA, da viele Biografen später behaupteten, dass die in den USA gewonnenen Eindrücke entscheidend für seine Reformvorstellungen für die Donaumonarchie gewesen wären.

      Grundsätzlich zeigte sich Erzherzog Franz Ferdinand von der Modernität und Technologie des nordamerikanischen Kontinents beeindruckt, während die Architektur der Städte – mit Ausnahme von New York – nicht seinem Geschmack entsprach.84 Obwohl er den Amerikanern geniale Züge bescheinigte – »Die kühnsten Ideen werden im Lande des Felsengebirges und des Niagaras geboren und mit erstaunlichem Geschicke, mit unübertrefflicher Meisterschaft auf dem Gebiete der Technik verwirklicht; heroischer Unternehmungsgeist […] bricht sich immer neue Bahnen« –, bemängelte er zugleich die Rücksichtslosigkeit, mit der »kolossale Vermögen« auf unmoralische Art und Weise angehäuft wurden. Sozialkritisch stellte er fest: »neben bewundernswerten Schöpfungen philanthropischen Geistes tritt crassester Egoismus zutage, der im Nebenmenschen nur ein Object der Ausnützung, nicht aber ein fühlendes Wesen erblickt«.85 Die Amerikaner würden es lieben, »in Anwandlungen von Selbstüberschätzung und Eigendünkel von jedem Werke, jeder Erfindung, jeder Institution zu behaupten, dass hiemit das Beste, das Größte der Welt geboten sei und dem Schlagworte ›the first of the world‹ begegnet man allenthalben, obwohl diese Bezeichnung nicht immer zutrifft«86. Abschließend stellte er über die Amerikaner fest, dass sie gewiss den »Ansatz zum Überlebensgroßen, zum Übermenschen« haben, ihnen jedoch »die Wärme des Wesens« fehle und sie den Eindruck »kalter Individualitäten« hinterlassen.87

      Die Bewertung des politischen Systems fiel ebenso ambivalent aus: Während er die Erfolge der föderativen Strukturen mit einem starken Zentrum und der Schaffung eines einheitlichen, nationalen Gefühls durchaus anerkannte, zeigte er sich der Demokratie gegenüber (v.a. der freien Presse und den freien Wahlen) mehr als skeptisch. Die Wahlen und den dadurch bedingten Regierungs- und Personalwechsel in den USA sah er als problematisch an, da dadurch »die nothwendige Continuität in der Verwaltung« unmöglich sei. Am kritischsten äußerte er sich über den »Tanz um das goldene Kalb«, die Bedeutung bzw. Macht des Geldes in Amerika sowie die Korruption, die mitunter sogar den »Richterstand ergreift«.88 Die Folgen des gesamten Systems seien die unzureichenden sozialen Zustände, vor allem die fehlende Fürsorge für die Arbeiter sowie der Mangel an Rechtsschutz für die Einwanderer.89

      Dass die Bewohner Nordamerikas, obwohl aus unterschiedlichen Ländern stammend, ein einheitliches, amerikanisches Nationalbewusstsein besaßen, faszinierte ihn ganz besonders. Die Assimilation sei dort vollzogen, mit ihren Vor- und Nachteilen.90 Sein Interesse für das Thema der Integration verschiedener Kulturen ist vor dem Hintergrund der Nationalitätenkonflikte in der Habsburgermonarchie nachvollziehbar. Dass er aber aus seinen USA-Beobachtungen ein föderatives System als Lösung für Österreich-Ungarn abgeleitet haben soll, lässt sich jedoch anhand der Quellen nicht beweisen.91 Angesichts seiner negativen Bewertung der demokratischen Strukturen kann lediglich angenommen werden, dass Franz Ferdinand solche für die Habsburgermonarchie ausschloss.

      Unumstritten ist eine andere Schlussfolgerung, die er damals gezogen hat, nämlich die Bedeutung der Seemacht für den Status einer Großmacht. Das erfolgreiche und effiziente englische Kolonialsystem sowie das große Ansehen der Engländer in der Welt führte er auf die Existenz einer starken Flotte zurück. In seinem künftigen Wirken sollte sich diese Erkenntnis in der Tatsache widerspiegeln, dass er sich für den Ausbau und die Modernisierung der k. u. k. Kriegsmarine sehr stark einsetzte.92

      Abschließend lässt sich zu der Weltreise festhalten, dass sie wahrscheinlich den wichtigsten Beitrag zur sonst