Franz Ferdinand. Alma Hannig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alma Hannig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783902862792
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Rolle, wenn es um die Beurteilung seiner Thronfolgertätigkeit geht und wird deshalb in den Anfangskapiteln vorgestellt. Franz Ferdinands fast legendäres Misstrauen gegenüber den meisten Menschen lässt sich beispielsweise aus dem Umgang der Hofkreise mit seiner Krankheit erklären. Das gespannte Verhältnis zu Kaiser Franz Joseph ist größtenteils auf Enttäuschung und Verärgerung des Kaisers über die morganatische Ehe seines Neffen zurückzuführen. Umgekehrt kränkte Franz Ferdinand der Eid, den er im Vorfeld der Hochzeit leisten musste, dass seine Kinder keinen Anspruch auf den Thron haben würden. Auch später sollten Rangfragen bezüglich seiner Ehefrau immer wieder die Ausübung seiner Aufgaben und Pflichten als Thronfolger beeinträchtigen.

      Ein Aspekt, der bisher wenig Beachtung in der Literatur fand, ist die für einen Thronfolger höchst ungewöhnliche Weltreise, die Franz Ferdinand 1892/93 unternommen hatte. Sie prägte nicht nur sein Weltbild, sondern ermöglichte ihm den Einblick in unterschiedliche Kulturen und Staaten. Trotz der zahlreichen Jagdausflüge und anderer Unternehmungen, die in diesem Zusammenhang stets genannt werden, handelte es sich hierbei letztlich um eine wichtige Bildungsreise. Einige Zeitgenossen behaupteten beispielsweise, dass der Erzherzog die Idee einer föderalistischen Staatsform für die Donaumonarchie vor allem seit seinem Besuch der USA verfolgt habe. Auch hier gilt es, die tatsächliche Bedeutung dieser Reise für sein politisches Denken genau zu untersuchen.

      Die ersten wichtigen Aufgaben, die er als Thronfolger absolvierte, waren Reisen und Teilnahme an offiziellen Veranstaltungen der anderen europäischen Königshöfe als Begleiter oder als Vertreter Kaiser Franz Josephs. Der regelmäßige Kontakt zu den Monarchen anderer Staaten sowie die damit verbundene Beschäftigung mit der politischen und militärischen Lage in Europa führten zu einer Horizonterweiterung und einigen Korrekturen des erzherzoglichen Weltbildes. Sein durch die Erziehung geprägtes Deutschland- und Englandbild wandelte sich stark im Laufe der Zeit, wohingegen sein Verhältnis zu Russland von einer erstaunlichen Kontinuität gekennzeichnet war. Die einzelnen Etappen dieser Entwicklung, die entscheidenden Zäsuren und die Beweggründe des Thronfolgers werden hier ebenso thematisiert wie sein persönliches Verhältnis zu den jeweiligen Monarchen. Von diesen ist bisher lediglich sein Verhältnis zum deutschen Kaiser Wilhelm II. untersucht worden, wobei die meisten Autoren die Gemeinsamkeiten betonten und die Unterschiede ignorierten. Die gemeinsamen Interessen für die Jagd, Marine oder Kunst mögen zwar zu einer Verbesserung des persönlichen Verhältnisses beigetragen haben, sie haben aber niemals die Unterschiede in den politischen Ansichten zu überdecken vermocht. Das vorliegende Buch hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, die bisherige Überbetonung des privaten Moments in den Beziehungen des Thronfolgers zu den Souveränen anderer Staaten und deren Bedeutung für Franz Ferdinands politisches Denken und Handeln kritisch zu hinterfragen. Denn auch seine negative Einstellung zu Italien, Bulgarien oder Serbien lässt sich sicher nicht nur mit seinen persönlichen Antipathien gegenüber den dortigen Herrschern erklären, sondern basierte nicht zuletzt auf nüchternen machtpolitischen Überlegungen.

      Was innenpolitische Themen anbelangt, wird es neben den Reformplänen und seinem Umgang mit den politischen Parteien vor allem um Franz Ferdinands Verhältnis zu den Ungarn gehen, welches in der Literatur als ausgesprochen feindlich beschrieben wird, ohne jedoch zu berücksichtigen, dass der Thronfolger zwischen den monarchietreuen und den nach Autonomie strebenden Ungarn klar unterschied.

      An vielen Stellen fehlt es in der Franz-Ferdinand-Forschung an der notwendigen historischen Differenzierung, so auch im Falle der katholischen Kirche. Der Erzherzog galt zeit seines Lebens als bigott und unterstützte einige Anliegen der Kirche, die teilweise für zusätzlichen Zündstoff in der Nationalitätenfrage sorgten. Die Erklärung, dass er dies aufgrund seiner extremen Religiosität tat, greift zu kurz. Bei genauer Betrachtung erweist sich der Thronfolger als klar kalkulierender Politiker, der die Kirche für seine Zwecke zu nutzen wusste und in einigen Fragen sogar eine dem Papst entgegengesetzte Meinung vertrat.

      Auch wenn er grundsätzlich als äußerst konservativ einzustufen war, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Franz Ferdinand gleichzeitig für die moderne Technik begeisterte und die Bedeutung neuer Medien (vor allem der Presse) für das politische Leben klar erkannte. Er nutzte gewisse Zeitungen, um die Öffentlichkeit in seinem Sinne zu beeinflussen, und bediente sich als überzeugter Antiparlamentarier und Monarchist verschiedener politischer Parteien, um seine Interessen im Parlament und in der Öffentlichkeit vertreten zu wissen.

      All die genannten Aspekte deuten darauf hin, dass es sich beim Thronfolger um eine Persönlichkeit handelte, die schon zu seinen Lebzeiten unterschiedlich wahrgenommen wurde und deshalb häufig kontroverse Meinungen provozierte. Eine konkrete Beschäftigung der Historiker mit der zeitgenössischen Wahrnehmung und dem historischen Bild des Thronfolgers fehlt bisher. Dies sowie die Darstellung des Erzherzogs in Kunst, Literatur und Film sind Themen, die im Rahmen dieser Biografie zum ersten Mal untersucht werden.

      Die gängigen Werke zu Franz Ferdinand beschränkten sich neben der Schilderung der privaten Lebenssituation zumeist auf die Analyse der innenpolitischen Reformpläne zur Erneuerung der Monarchie, die aufgrund des frühen Todes des Thronfolgers nie umgesetzt wurden. Ertragreicher und interessanter erscheint jedoch die Frage, was der Thronfolger noch zu seinen Lebzeiten bewirken konnte und wie groß sein Einfluss tatsächlich war. Vor allem in der Außenpolitik war es ihm gelungen, seinen Machtbereich enorm auszudehnen und wichtige diplomatische und politische Posten mit seinen Vertrauten zu besetzen. Das Attentat auf Franz Ferdinand stellte somit eine Zäsur in der Außenpolitik der Donaumonarchie dar. Die Umstände des Anschlags sowie die Reaktionen im In- und Ausland werden skizziert, ohne jedoch die Kriegsschuldfrage aufzuwerfen.

      Die letzten Arbeiten, die sich mit Erzherzog Franz Ferdinand wissenschaftlich befasst und neue Ergebnisse präsentiert haben, erschienen vor vierzig Jahren. Seitdem fand kaum Forschung in diesem Bereich statt, sodass das Bild des Erzherzogs in der Öffentlichkeit vor allem durch die populärwissenschaftlichen, fast hagiografisch anmutenden Werke von Friedrich Weissensteiner, Wladimir Aichelburg, Gordon Brook-Shepherd und Erika Bestenreiner geprägt ist. Obwohl sie zum Teil sehr gute Kenner der Quellen sind, haben die genannten Historiker kaum einen nennenswerten Beitrag zur Forschung geleistet. Die neuesten zwei Biografien über Franz Ferdinand sind interessanterweise in Frankreich erschienen und stellen durchaus gute Synthesen der bisherigen Forschung dar.4 Die großen Biografien aus der Feder Sosnoskys, Chlumeckys und Kiszlings sind 1929 bzw. 1953 erschienen und basierten nur auf wenigen Quellen, da die damaligen Akten zur Donaumonarchie sowie viele Privatnachlässe für die Forscher nicht zugänglich waren. Zudem waren die Autoren durch ihr privates Verhältnis zum Thronfolger nicht unbefangen. Zahlreiche andere Persönlichkeiten aus der Umgebung des Erzherzogs haben in den 1920erund 1930er-Jahren Memoiren verfasst, die aufgrund ihrer Subjektivität als Einzeldarstellungen eher problematisch sind.5 Durch den Abgleich der geschilderten Ereignisse, Entwicklungen und Erfahrungen können jedoch aus diesen Erinnerungswerken durchaus wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden. Die wissenschaftlich besten und fundiertesten Studien haben Robert A. Kann und Georg Franz verfasst, wobei sie – wie bereits erwähnt – vor über vierzig Jahren entstanden sind.

      Die Idee für die vorliegende Biografie über den sicherlich bekanntesten Thronfolger des frühen 20. Jahrhunderts entstand während der eigenen Studien über die Diplomatie und Politik Österreich-Ungarns vor dem Ersten Weltkrieg. Die Diskrepanz zwischen der Rolle des Thronfolgers in der Außenpolitik, wie sie sich in der Forschungsliteratur dargestellt findet, und seinem tatsächlichen Wirken, das sich aus einigen neuen Archivquellen ergab, warf die Frage auf, inwiefern auch auf anderen Betätigungsfeldern Franz Ferdinands sowie in seiner Biografie allgemein neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Bewusst wurde die Entscheidung getroffen, eine Biografie zu verfassen, die sich sowohl an den Fachhistoriker als auch an den interessierten Laien wendet. Mit Genehmigung der Familie Hohenberg wurden der private Nachlass des Thronfolgers sowie zahlreiche Fotografien gesichtet, welche einen besonderen Einblick in das Leben und Wirken Franz Ferdinands bieten. Neben der bisher erschienenen Literatur wurden zahlreiche weitere Quellen ausgewertet: die offiziellen Akten des Haus-, Hof- und Staatsarchivs sowie des Kriegsarchivs in Wien, zudem auch die Bestände mehrerer Archive in Deutschland und in der Tschechischen Republik. Entscheidend waren jedoch einige Nachlässe von Personen aus der Umgebung des Erzherzogs, die häufig als verschollen gelten, sich jedoch größtenteils im privaten Besitz befinden und hierfür