Franz Ferdinand. Alma Hannig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alma Hannig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783902862792
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sowie Herrn Fischer-Colbrie in Wien für das Vertrauen und die großzügige Erlaubnis der freien Benutzung der Bestände ihrer Archive ganz besonders danken.

      1. Von Habsburg zu Österreich-Este

      1.1 Kindheit und Jugend von Erzherzog Franz Ferdinand

      Am Weihnachtsabend des Jahres 1868 traf sich die kaiserliche Familie in entspannter Atmosphäre in Wien. Die Erwachsenen beobachteten das lustige Spiel der Kinder, die unter Anleitung von Kronprinz Rudolf, dem einzigen Sohn des Kaisers Franz Joseph, »Regierung« spielten. Rudolf bestimmte seinen fünfjährigen Cousin Franz Ferdinand zum König, während er selbst und die anderen erzherzoglichen Kinder Minister waren. Als Franz Ferdinand eine offizielle Anfrage des »Ministers Rudolf« beantworten wollte und dafür von seinem großen Fauteuil versucht hatte aufzustehen, fiel er zu Boden. Zur Erheiterung aller Anwesenden kommentierte Rudolf bedeutungsvoll: »Das ist kein gutes Vorzeichen, wenn eine Majestät vom Throne fällt.«6 Diese Anekdote aus den Kindertagen des Erzherzogs Franz Ferdinand sollte später zu einer der vielen Legenden werden, die gern erzählt wurden, um das Unheilvolle und zugleich Tragische seines späteren Schicksals zu unterstreichen.

      Franz Ferdinand war der älteste Sohn des jüngeren Bruders von Kaiser Franz Joseph, Erzherzog Carl Ludwig, und der sizilianischen Königstochter Maria Annunciata. Als er geboren wurde, hätte niemand annehmen können, dass es sich bei ihm um einen künftigen Thronfolger der Habsburgermonarchie handeln würde. Denn neben seinem Vater waren Kronprinz Rudolf und der zweite Bruder des Kaisers, Erzherzog Ferdinand Maximilian (der spätere Kaiser von Mexiko), die eigentlichen Thronerben.

      Erzherzog Carl Ludwig war mäßig begabt, wenig ehrgeizig und zeigte kein besonderes Interesse für die Politik und das Militär.7 Von 1855 bis 1861 bekleidete er das Amt des Statthalters von Tirol, bis er sich durch die ersten Schritte zur Parlamentarisierung in Österreich zur Aufgabe des Amtes 1861 gezwungen sah.8 Niemand aus der kaiserlichen Familie sollte damals in die Situation geraten, einem Minister untergeordnet zu werden. Carl Ludwig fungierte danach mehrmals als Sondergesandter des Kaisers bei verschiedenen diplomatischen Missionen, widmete sich aber ansonsten zahlreichen Kultur-, Kunst- und Gewerbevereinen, deren Protektor er war.9 Dies trug ihm den Namen Ausstellungserzherzog ein.

      Seine Ehe mit Maria Annunciata von Bourbon war bereits seine zweite. Als Jugendlicher träumte Carl Ludwig von einer Verbindung mit seiner Cousine Sisi, die jedoch 1854 seinen Bruder heiratete und somit Kaiserin von Österreich wurde. Zwei Jahre später heiratete Erzherzog Carl Ludwig die sächsische Königstochter Margarethe – ebenfalls eine Cousine von ihm –, die bereits nach zwei Jahren Ehe verstarb.10

      Knapp ein Jahr nach der Eheschließung mit der Prinzessin von Bourbon wurde am 18. Dezember 1863 in Graz ein Sohn geboren und auf den Namen Franz Ferdinand Carl Ludwig Joseph Maria getauft. Obwohl Maria Annunciata an Tuberkulose erkrankt war, bekam Franz Ferdinand in den nächsten Jahren noch drei Geschwister: Otto, Ferdinand Carl und Margaretha Sophia. Seit 1866 bewohnte die erzherzogliche Familie ein Palais in der Favoritenstraße in Wien und verbrachte die Sommermonate auf Schloss Artstetten oder auf der Burg Persenbeug. Wie alle Habsburger war Franz Ferdinand mit zahlreichen europäischen Adelsfamilien verwandt. Im Jahr 1910 stellte ein Genealoge fest, dass von dessen 2047 Vorfahren knapp die Hälfte den regierenden Häusern Europas entstammte.11 Alle wichtigen europäischen Dynastien waren vertreten (Habsburger, Nassauer, Wittelsbacher, Hohenzollern, Savoyer, Lothringer, Capetinger etc.); sogar mehrere Päpste lassen sich in der Ahnengalerie der Familie finden. Auch wenn der Begriff »Nationalität« in diesem Zusammenhang eher problematisch erscheint, hält die Ahnentafel fest, dass unter Franz Ferdinands Vorfahren die Deutschen deutlich überrepräsentiert waren. Ihnen folgten Italiener, Franzosen, Spanier und Polen. Nur wenige Rumänen, Ungarn und Schweden lassen sich dort finden.12

      Im Alter von nur sieben Jahren verlor Franz Ferdinand seine Mutter. Der Vater heiratete 1873 erneut: Prinzessin Maria Theresia, eine der sechs schönen Töchter des portugiesischen Infanten Dom Miguel. Der große Altersunterschied von 22 Jahren zwischen Erzherzog Carl Ludwig und seiner Frau wurde am Hof durchaus thematisiert. Vor allem Erzherzogin Gisela, eine der Töchter Kaiser Franz Josephs, zeigte Mitleid für die junge Braut und war davon überzeugt, » ›daß sie nicht glücklich sein kann. Es ist auch zu arg, einen so alten Mann zu haben, wenn man noch so jung ist.‹ «13

      Obwohl erst 18 Jahre alt, wurde Maria Theresia für ihre Stiefkinder eine liebevolle Mutter, die auch nach der Geburt ihrer eigenen Kinder nicht weniger Zuneigung und Aufmerksamkeit gegenüber Franz Ferdinand und seinen Geschwistern zeigte. Manche Autoren neigen dazu, das Familienleben des Erzherzogs Carl Ludwig zu idealisieren, um damit ihre Verwunderung zum Ausdruck zu bringen, dass Franz Ferdinand trotzdem einen »eigenartigen Charakter«14 entwickelt hatte. Es lassen sich jedoch ausreichend Hinweise finden, dass die Eifersucht des Erzherzogs sowie die Existenz zahlreicher Verehrer seiner Frau durchaus zu Eheproblemen führten.15 Das prominenteste Beispiel war sicherlich Kronprinz Rudolf, der später offen für seine Tante schwärmte und damit das ohnehin gespannte Verhältnis zu seinem Onkel zusätzlich belastete.16 Andere Autoren führten den schwierigen Charakter des Erzherzogs Franz Ferdinand auf das Nicht-Vorhandensein der mütterlichen Nähe in den ersten Lebensjahren zurück, weil Maria Annunciata keinen engen Kontakt mit ihren Kindern pflegte, um sie vor einer möglichen Ansteckung mit der Tuberkulose zu bewahren. Zudem galt sie selbst als launisch und unberechenbar.17

      Franz Ferdinands Kindheit fiel in die Zeit der großen politischen Umwälzungen in der Habsburgermonarchie. Nach den militärischen Niederlagen gegen Italien (1859) und Preußen (1866) und dem Verlust von Territorien und Ansehen erfolgte im Jahr 1867 der Umbau der Monarchie in einen konstitutionellen, dualistischen Staat. Nun bestand die Donaumonarchie aus zwei unabhängigen Ländern, dem Königreich Ungarn und den »im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern« (Trans- und Cisleithanien), die in Personalunion verbunden waren: Franz Joseph war Kaiser von Österreich und König von Ungarn. Die Realunion ergab sich aus drei gemeinsamen Bereichen und somit auch drei gemeinsamen Ministerien: Außenpolitik, Armee und Finanzen. Der Ausgleich wurde alle zehn Jahre neu verhandelt, weshalb von der »Monarchie auf Kündigung« die Rede war. Da durch den Umbau des Staates die Nationalitätenproblematik nicht gelöst worden war, sollte sie in den nächsten Jahrzehnten immer wieder zu politischen Krisen führen. Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870 und der Gründung des Deutschen Kaiserreichs galt die deutsche Frage als gelöst, und zwar im Sinne der kleindeutschen Lösung und somit unter Ausschluss Österreichs. All diese Veränderungen bedeuteten Niederlagen für Kaiser Franz Joseph, der sich gern als Anführer der deutschen Fürsten gesehen und als autokratischer Monarch eines zentralistisch organisierten Staates regiert hätte.

      Als Erzherzog Franz Ferdinand 15 Jahre alt war, bekam die Donaumonarchie auf dem Berliner Kongress 1878 das Recht zur Okkupation der beiden südosteuropäischen Provinzen Bosnien und Herzegowina zugesprochen. Was anfangs als außenpolitischer Coup des Grafen Andrássy gefeiert wurde, sollte sich später als kostspielig, kompliziert und äußerst problematisch erweisen: Die Provinzen galten als rückständig, sodass enorme Summen in den Ausbau der Infrastruktur investiert werden mussten. Der Anteil der slawischen Bevölkerung innerhalb der Monarchie war angestiegen und die rasche Ausbreitung der nationalistischen Bewegungen auf dem Balkan sorgte für eine gewisse Instabilität innerhalb des Vielvölkerstaates. Dreißig Jahre später entwickelten sich daraus ernsthafte Konflikte mit dem unabhängig gewordenen Serbien und mit dessen Protektor Russland. Im Jahr 1879 wurde ein Bündnis mit Deutschland geschlossen, das drei Jahre später – um Italien erweitert – zum Dreibund wurde. Damit war die Grundlage für ein Bündnissystem geschaffen, welches in den nächsten Jahrzehnten wenig Spielraum für neue, flexible Konstellationen in Europa bot, auch wenn 1881 zunächst noch ein Dreikaiserbündnis mit dem Zarenreich mehr Bewegungsfreiheit garantieren sollte.

      Zur gleichen Zeit vollzog sich eine Welle der Modernisierung in der Donaumonarchie: Die Schulpflicht wurde eingeführt, das Verwaltungs- und Steuersystem reformiert, das Eisenbahnnetz ausgebaut und somit ein industrieller Aufschwung eingeleitet. Neue Kommunikationsmittel und andere moderne technologische Erfindungen erhielten Einzug