Franz Ferdinand. Alma Hannig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alma Hannig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783902862792
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der Wissenschaft bereits das Bild einer Belle époque ankündigten.

      1.2 Ausbildung und Militärdienst

      Franz Ferdinand und seine Geschwister wurden von Privatlehrern zu Hause unterrichtet. Diese wurden sorgfältig von den Eltern ausgesucht. Den ersten Unterricht im Lesen, Schreiben und in Tschechisch bekam Franz Ferdinand vom Lehrer seines eigenen Vaters, Hauptmann Johann von Wittek. Der weitere Unterricht und die Erziehung wurden von Oberst Ferdinand Graf Degenfeld geleitet, dem weitere Lehrer zur Seite standen: Rittmeister Johann Graf Nostitz-Rieneck, Karl Graf Coreth, Bohuslaw Graf Aichelburg und Georg Graf Wallis. Der Lehrplan entsprach in etwa dem der öffentlichen Schulen, wurde jedoch um einige Fächer erweitert. Der Fächerkanon bestand zunächst aus Deutsch, Geschichte, Religion, Schreiben, Rechnen, Geografie, Zeichnen und Fremdsprachen (Latein, Französisch, Ungarisch und Tschechisch). Später standen Mathematik und Englisch sowie staatsrechtliche und militärwissenschaftliche Studien auf dem Lehrplan. Erzherzog Carl Ludwig wohnte dem Unterricht gelegentlich bei, vor allem wenn es um Kunstgeschichte ging. Für den sportlichen Ausgleich sorgten das Reiten, Fechten, Tanzen, Turnen, Schwimmen und Schlittschuhlaufen. Der Schultag begann in der Regel um sieben Uhr morgens und endete nach mehreren Unterbrechungen um acht Uhr abends. Die Abende wurden manchmal in Gesellschaft bedeutender Künstler, Wissenschaftler, Sänger, Schauspieler und Musiker verbracht. Bei festlichen Anlässen führten die Kinder eigene Theaterstücke auf.18

      Franz Ferdinand und Otto wurden gemeinsam unterrichtet. Während Otto sein mangelndes Interesse durch seine sympathische Art zu überspielen wusste, erhielt Franz Ferdinand regelmäßig Briefe von dem gemeinsamen Erzieher Degenfeld, der ihn zu mehr Arbeit, Gewissenhaftigkeit und Motivation aufforderte.19

      Franz Ferdinand war »in intellektueller Hinsicht ein Spätentwickler«.20 Zudem fehlte es ihm »an ›Sitzfleisch‹ «.21 Während sein Antitalent für Fremdsprachen inzwischen legendär ist, ist die Tatsache weniger bekannt, dass er für mathematische Fächer ebenso wenig Begabung und für Philosophie keinerlei Interesse zeigte. Die meisten Memoirenschreiber aus seiner Umgebung erwähnen, dass er sich jahrzehntelang bemühte, Ungarisch zu lernen, und deshalb ein ungarischer Geistlicher stets in seiner Nähe war, der ihm Unterricht gab. Das Ergebnis soll ein »recht unbefriedigendes«22 gewesen sein. Einer seiner engsten Berater, Ottokar Czernin, behauptete sogar, dass Franz Ferdinand wegen dieses Misserfolgs eine gewisse Antipathie gegen das ungarische Volk entwickelt habe.23 Die zahlreichen Ungarischhefte, die sich im Nachlass des Erzherzogs befinden, belegen, dass der Thronfolger jahrzehntelang sehr diszipliniert die ungarische Sprache lernte. Zugleich geht aus ihnen hervor, dass er die Sprache zumindest im schriftlichen Bereich recht gut beherrschte.24 Sein Französisch war »sehr mittelmäßig«, Englisch sprach er nicht und Italienisch und Tschechisch lediglich »einige Brocken«25. Für das Erlernen der italienischen Sprache hätte es eigentlich einen besonderen Grund und Ansporn gegeben.

      Im Alter von zwölf Jahren erbte Franz Ferdinand ein immenses Vermögen: die estensischen Güter und Kunstsammlungen von Herzog Franz V. von Modena. Nach der italienischen Einigung 1859 und dem Verlust seiner Herrschaft musste Franz V. sein Land verlassen. Da er jedoch auf eine Wiederherstellung des Herzogtums hoffte, bestimmte er mangels eigener Nachkommen Franz Ferdinand zu seinem Erben. Die Bedingung war, dass er den Titel Este im Namen trug.26

      Während für die ersten Jahre der schulischen Ausbildung Offiziere zuständig waren, kamen nun zwei weitere Lehrer für Geschichte und Religion hinzu, die das Weltbild und das Selbstverständnis des jungen Erzherzogs Franz Ferdinand entscheidend prägen sollten: Dr. Onno Klopp und Prälat Dr. Godfried Marschall.

      Onno Klopp war ein zum Katholizismus konvertierter Ostfriese, der seinem entthronten König von Hannover 1866 nach Österreich gefolgt war. Er unterrichtete Franz Ferdinand von 1876 bis 1882 in Geschichte, wobei die Ausführungen häufig von seinen theologischen Überzeugungen gefärbt waren. Er vermittelte dem Erzherzog ein starkes Bewusstsein für die Zugehörigkeit zum Haus Habsburg und dessen historische Bedeutung. In Form von freien Vorträgen und umfangreichen handschriftlichen Manuskripten, die sich noch im Privatarchiv befinden, vermittelte Klopp dem Erzherzog vor allem die europäische Geschichte der Neuzeit.27 Die antipreußische Haltung des Lehrers führte zu einer recht einseitigen Interpretation der historischen Entwicklungen, die Franz Ferdinand größtenteils übernahm.28 Hinzu kommt, dass Erzherzog Carl Ludwig und Erzherzogin Maria Theresia als deutschfeindlich galten.29

      Für die religiöse Erziehung und Wissensvermittlung war der junge, liberale Priester Godfried Marschall zuständig. Die Religion spielte im Hause des Erzherzogs Carl Ludwig eine wichtige Rolle. Sowohl er als auch seine Frau galten als bigott. Die extreme Religiosität Carl Ludwigs soll sich im Alter sogar so weit gesteigert haben, dass er den respektvoll grüßenden Passanten aus seinem Wagen den Segen gespendet hat. Schließlich starb er während einer Pilgerreise, als er entgegen allen Warnungen das verschmutzte Wasser aus dem Fluss Jordan trank und sich damit eine schwere Infektion zuzog.30

      Die übliche Prinzenausbildung der Habsburger sah vor, dass im Alter von 15 Jahren die bisherigen Schulfächer zugunsten einer Offiziersausbildung aufgegeben wurden. Als Franz Ferdinand 1878 zum Leutnant im Infanterieregiment Nr. 32 in Wien ernannt wurde, wurde sein Lehrplan dieser Anforderung angepasst. Selbstverständlich trat der 14-jährige Erzherzog seinen Dienst noch nicht an, sondern erst mit 19 Jahren, als er zum Dragoner-Regiment Kaiser Ferdinand Nr. 4 nach Enns kam. Davor erhielt er ein Jahr lang Unterricht von einem Lehrer, der sowohl im privaten als auch im politischen Leben Franz Ferdinands eine enorme Rolle spielen sollte: Max Wladimir Freiherr von Beck. Der junge Jurist unterrichtete ihn in Rechts- und Staatswissenschaften. Nach einem Jahr fand eine private Prüfung in Anwesenheit des Vaters statt. Später einmal soll Erzherzog Franz Ferdinand gesagt haben, dass Beck der Einzige war, von dem er wirklich profitiert habe.31

      Während es für die deutschen Prinzen in dieser Zeit bereits üblich geworden war, ein Studium zu absolvieren, und der spanische Thronfolger (später König Alfonso XII.) ein breit gefächertes Wissen in mehreren Sprachen und in mehreren Staaten (Frankreich, Österreich-Ungarn und England) erwarb, galt die allgemeine Ausbildung des Erzherzogs Franz Ferdinand mit seinem Übertritt ins Militär als abgeschlossen.32 Freilich muss berücksichtigt werden, dass er zu diesem Zeitpunkt in der Thronfolge auf Platz drei rangierte und somit eine Beschäftigung mit rechtlichen oder verwaltungstechnischen Themen als nicht notwendig für seine weitere Karriere erachtet wurde. Sogar Kronprinz Rudolf, der auf Wunsch Kaiserin Elisabeths eine umfassende und liberale Bildung bis zu seinem 19. Lebensjahr genoss, durfte nicht studieren, obwohl er sich dies ausdrücklich gewünscht hatte.33

      Vor dem Dienstantritt bei den Dragonern 1882 bewilligte Kaiser Franz Joseph dem Erzherzog noch einen zehntägigen Urlaub in Oberitalien, der zugleich als Belohnung für den erfolgreichen Abschluss seiner schulischen Ausbildung galt. Da sich der Erzherzog in der Nähe seiner estensischen Güter aufhalten wollte, reiste Franz Ferdinand inkognito, um mögliche politische Komplikationen zu vermeiden.

      Die anschließend in Oberösterreich verbrachten fünf Jahre seiner Dienstzeit als Oberleutnant und Rittmeister sollten letztlich mit zu den schönsten seines Lebens gehören. Da es dort wenig Zerstreuung gab, nutzte Franz Ferdinand jede Gelegenheit, um nach Wien oder in die umliegenden Jagdgebiete zu reisen. Solche Vergnügungen wurden vonseiten der Familie kritisiert, und Kronprinz Rudolf sah sich aufgrund eigener Erfahrungen dazu verpflichtet, ihn in mehreren Briefen vor möglichen Angriffen der Familie zu warnen: »Der Kaiser ist ziemlich ungehalten, da Er es Deiner Jugend zuschreibt, als auch Deinem Regimentskommandanten, der Dich während Deiner Rekruten-Zeit so oft fort läßt. […] Jetzt ist Onkel Albrecht noch nicht hier, wenn dieser kommt, dann kannst Du Dich auf Unannehmlichkeiten vorbereiten, wenn Du nicht etwas vorsichtiger wirst; Du mußt es absolut vermeiden vom Kaiser citiert und verrissen zu werden.«34 Erzherzog Albrecht, die moralische Instanz am Hof, war Generalinspektor des Heeres und nahm sich der charakterlichen Ausbildung der Erzherzöge an.35 Kronprinz Rudolf schätzte seine Ratschläge nicht und unterstellte ihm »Freude« am Intrigieren, Schimpfen und Schaden.36

      In den