Franz Ferdinand. Alma Hannig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alma Hannig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783902862792
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Zeit die Briefe von Marie Thun und ihrer Schwester Sophie Chotek bereitet. Er ließ sich von Marie gern Bücher empfehlen und scherzte, dass sie ihm auch eine Handarbeit schicken könne, da er »ja so besonderes Geschick für weibliche Handarbeiten habe«.137 Die Tage gestalteten sich ähnlich – um zehn Uhr vormittags verließ er das Haus, um drei Uhr nachmittags musste er zurück sein –, sodass ihn der Aufenthalt in Meran äußerst langweilte. Seinen 31. Geburtstag, Weihnachten und Silvester verbrachte er allein.138

      Trotz oder vielleicht gerade wegen seines schlechten Gesundheitszustandes wurde das Thema Heirat von allen Seiten an ihn herangetragen. Wahrscheinlich vom Kaiser selbst erhielt er »einen unsinnigen Putzer betreffs Nichtheiratens mit der dringenden Aufforderung, der sehr als Befehl klang, es ehestens zu besorgen, und mich in den Stand der alleinseligmachenden Ehe zu begeben«. Sein »sonst ziemlich parates Mundwerk war erlahmt«, sodass er wie ein »begossener Pudel« alles über sich ergehen ließ.139

      Kaiser Franz Joseph erfuhr von der Schwere der Krankheit seines Neffen erst im Sommer 1895 und zeigte sich betroffen. Er schickte ihn nochmals offiziell auf Urlaub und ermahnte ihn eindringlich, den Weisungen des Arztes zu folgen, da es seine »heiligste Pflicht« sei, nur für die »Gesundheit zu leben und Alles zu thun, um dieselbe herzustellen«.140 Nach einem kurzen Aufenthalt in Chlumetz und Wien begab sich Franz Ferdinand dann ans Mittelmeer. Ein Aufenthalt auf der Insel Lussin und die anschließende Reise nach Ägypten waren von ständigen Stimmungshochs und -tiefs bestimmt. Die verordnete Ruhe und die Meldungen aus Wien und Budapest, dass die Presse seinen gesundheitlichen Zustand thematisierte, verärgerten den Thronfolger und deprimierten ihn zunehmend. Erst nach dem Besuch seiner Eltern und der beiden Stiefschwestern in Ägypten Anfang 1896 stabilisierte sich sein Zustand, sodass er sich als Nächstes an die Riviera begab.141

      Der Arzt Viktor Eisenmenger berichtete später in seinen Erinnerungen, dass einen wichtigen Einfluss auf den gesundheitlichen Zustand des Erzherzogs die Briefe hatten, die er während seiner Aufenthalte an verschiedenen Orten erhielt. Der Kammervorsteher Wurmbrand soll dem Arzt erklärt haben, dass ein »Frauenzimmer« dahinterstecke, eine Verwandte von ihm, der er »das Handwerk schon legen« werde.142 Tatsächlich erhielt Franz Ferdinand regelmäßig Post von Sophie Chotek und ihrer Schwester, Gräfin Marie Thun.143 Auch wenn die meisten Biografen aufgrund der Aussagen Eisenmengers davon ausgingen, dass Sophies Briefe und ihre Liebe dazu beigetragen haben, dass der Thronfolger wieder gesund wurde, lässt sich zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig feststellen, wessen Briefe für ihn wichtiger waren. Denn Franz Ferdinand war seit Jahren mit Marie befreundet und schwärmte durchaus offen für sie.144 Wie viel ihm die beiden Damen und Maries Mann, Jaroslaw Thun, einer der besten Freunde Franz Ferdinands, bedeuteten, geht aus einem Brief kurz nach dem Tod des Vaters hervor. Carl Ludwig war im Mai 1896 verstorben, nachdem er auf einer Pilgerreise Wasser aus dem Jordan getrunken hatte und anschließend an einer Infektion erkrankt war. »Drei so liebe Leute wie Sie, Sopherl und Jaroslaw sind für mich die angenehmste und erwünschenteste Gesellschaft, die ich mir nur denken kann.« Erschüttert über den Tod des Vaters und verärgert und enttäuscht über das Verhalten des Hofs während seiner Krankheit, seien diese drei die einzige Freude für ihn und außerdem »viel besser als seine Verwandten«. Der angekündigte Besuch der Freunde, auf den er sich »kindisch« freute, sei »der schönste Ersatz für ein Jahr Ärger und Kummer«.145

      In Wien hatte man während Franz Ferdinands Krankheit einige Entscheidungen getroffen, die deutlich machten, dass man an seine Genesung nicht mehr glaubte und ihn als Thronfolger abschrieb. Was ihn »ungemein kränken und ärgern« musste, war, dass sein Bruder Otto als der künftige Thronfolger aufgebaut und er selbst noch zu seinen Lebzeiten »so ganz als ›überwundener Standpunkt‹ behandelt werde«.146 Otto bekam vom Kaiser das Augartenpalais als Wohnsitz in Wien zugeteilt und wurde finanziell komplett entlastet, während Franz Ferdinand »auf halbe apanage gesetzt« worden war. Erzherzog Otto zeigte sich über diese Zurücksetzung seines Bruders entsetzt und war insgesamt über seine Aufgaben als möglicher Thronfolger wenig erfreut, da ihm »jedwedes ernstere Gespräch oder alles, was auch nur im Entferntesten an einen Zwang erinnert, ein Greuel«147 war. Nach dem Tod des Erzherzogs Carl Ludwig wurden die Hofstaate seiner beiden Söhne umgestaltet, wobei deren Gleichstellung die Thronrechte Ottos implizierte: Beide erhielten jeweils einen Obersthofmeister und nur deren Rangunterschiede deuteten noch Franz Ferdinands Vorrang in der Thronfolge an: Sein Obersthofmeister wurde der frühere Statthalter von Böhmen (1889–1896), Franz Graf Thun, während Alfred Montenuovo dem jüngeren Bruder zugeteilt wurde.148

      Franz Ferdinand empfand die Art der Bestimmung seines neuen Obersthofmeisters als Demütigung: Ohne vorherige Konsultationen wurde sein langjähriger Freund am 30. Mai 1896 von Kaiser Franz Joseph zum Obersthofmeister ernannt, wodurch ein »sehr angenehmer und freundschaftlicher Umgang« mit Franz Thun und dessen Frau Anna »vollkommen verdorben« war.149 Diese personelle Fehlentscheidung des Kaisers führte bereits nach wenigen Monaten zu einem Zerwürfnis zwischen dem Erzherzog und dem Grafen Thun, da sich dieser nach seiner erfolgreichen politischen Karriere als Befehlsempfänger nicht eignete. Franz Ferdinand befand sich im Sommer 1896 in einer höchst deprimierten Stimmung und glaubte kaum noch an die eigene Genesung. Der gesamte Ärger trieb ihn »wieder in [s]eine schwarzen Melancholien und desparaten Stimmungen hinein«.150

      Die Zurücksetzungen und die Meldungen aus Wien hielten monatelang an. Ende des Jahres 1896, als er sich in Algier aufhielt, bezeichnete Franz Ferdinand sich selbst in einem Brief an Gräfin Fugger als » ›mit Wartegebühr beurlaubter Thronfolger‹ «, während Otto den »Augarten, Hof-Haushaltung, Hof-Küche, Lipizzaner in Wien und am Lande usw.« bekam.151 Ohne neidisch wirken zu wollen, erklärte er der Gräfin die Ungerechtigkeit, die er dabei empfand: Er selbst habe als Thronfolger »in dieser Hühnersteige in der Beatrixgasse« [Modenapalais, Anm. d. Verf.] wohnen müssen und niemand habe sich um ihn gekümmert.152 Außerdem würde Otto mit allen Thronfolgeraufgaben (Repräsentation, Protektorate etc.) betraut und er von allem ferngehalten. Trotz aller Hasstiraden gegen Außenminister Gołuchowski, den Franz Ferdinand für alle Zurücksetzungen verantwortlich machte, schloss der Erzherzog seinen Brief mit optimistischen Worten: »Doch hoffentlich wird dieser Zustand der Wehrlosigkeit nicht mehr lange dauern, denn Gott sei Dank, macht meine Besserung zusehends Fortschritte.«153 Und in der Tat kehrte der Totgesagte zur Überraschung vieler nach ein paar Monaten vollständig genesen nach Wien zurück. Die negativen Erfahrungen dieser Zeit hinterließen jedoch Spuren: Es blieben ein enormes Misstrauen und teilweise Hass gegen bestimmte Personen am Hof und in der Politik.

      Eine letzte Zurücksetzung, die Anlass zu einem Brief an Kaiser Franz Joseph gab, erlebte Franz Ferdinand im Frühjahr 1897. Bei seiner Reise nach St. Petersburg im April 1897 ließ sich Kaiser Franz Joseph von Otto, und nicht von ihm, begleiten. Auch wenn Otto die meisten Repräsentationspflichten ohnehin seit Monaten ausgeübt hatte, empfand Franz Ferdinand diese Entscheidung als eine besondere Kränkung. Es ging nicht nur um eine politisch äußerst wichtige Auslandsreise, sondern auch um die Tatsache, dass Franz Ferdinand sechs Jahre zuvor seine erste Reise nach Russland in der Funktion des Thronfolgers unternommen hatte und sich seitdem besonders um den Ausbau der russisch-österreichisch-ungarischen Beziehungen bemühte. Den deprimierten Thronfolger versuchte Franz Joseph mit einem persönlichen Schreiben zu beruhigen, indem er ihm versicherte, dass niemand ihn zurücksetzen wolle und dass er nach der Genesung seine Rechte und Pflichten als Thronfolger wahrnehmen könne.154

      Die eigentliche Ernennung zum Thronfolger erfolgte schließlich im Jahr 1898, als Erzherzog Franz Ferdinand zur »Disposition des Allerhöchsten Oberbefehls« gestellt und mit der Inspektion größerer Heeresverbände und der Leitung von Manövern betraut wurde. Seine Stellung entsprach derjenigen der Generaltruppeninspekteure: Truppenausbildung im Frieden, Armeekommando im Krieg. Konkrete Machtbefugnisse waren damit noch nicht verbunden, aber Franz Ferdinand bekam einen eigenen militärischen Stab, aus dem sich später die mächtige Militärkanzlei entwickelte, die zu einem wichtigen Faktor im öffentlichen Leben Österreich-Ungarns werden sollte. Zugleich wurde ihm das Belvedere, der ehemalige Sitz des Prinzen Eugen von Savoyen, als sein neues Wiener Domizil zugewiesen. Ein Jahr später wurde der Thronfolger zum General der Kavallerie befördert. Von nun an wurde er in der Öffentlichkeit als