Franz Ferdinand. Alma Hannig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alma Hannig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783902862792
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um eine mögliche Heirat mit der unebenbürtigen Gräfin bzw. den Verzicht auf die Thronfolge erneut Franz Ferdinands Position.

      2.3 Die morganatische Ehe

      »So sehr ich eine glückliche Ehe beneide und mich in eine so schöne Lage hineindenken kann, so halte ich andererseits eine unglückliche Ehe für die Hölle auf Erden. Leider ist in meinen Kreisen dieser Fall ein zu häufiger und das Experiment ein zu gewagtes. So werde ich allem Anscheine nach unbeweibt durchs Leben ziehen und die Leute sich hoffentlich beruhigen, das Nutzlose ihrer Bemühungen einsehend.«155 Diese Worte des 30-jährigen Thronfolgers sind in der Zeit gefallen, in der die meisten Biografen den Beginn der Liebesgeschichte mit Sophie Chotek vermuten. 1894 soll er sich auf einem Ball in sie verliebt haben.156 Waren das die Worte eines frisch Verliebten?

      Die Heiratspolitik der Habsburger spielte seit jeher eine wichtige Rolle. Die Maxime »Bella gerant alii, tu felix Austria nube« – »Kriege führen mögen andere, du, glückliches Österreich, heirate!« – galt im 19. Jahrhundert zwar nicht mehr im Sinne von Territorialerweiterungen, aber die Heirat des Thronfolgers blieb eine Staatsangelegenheit. Sie konnte zur Festigung alter beziehungsweise zur Entstehung neuer politischer Bündnisse zwischen den Großmächten dienen.

      Die Versuche, eine angemessene Partie für Erzherzog Franz Ferdinand zu finden, verstärkten sich seit dessen Rückkehr von der Weltreise. Vor allem anlässlich seines offiziellen Besuchs in England 1894 wurde das Thema Verlobung in allen Kreisen diskutiert. Franz Ferdinand stellte sich darauf ein, dass er schon bei seinem vorbereitenden Aufenthalt in Wien »ungezählte eindringliche Mahnpredigten betreffs wünschenswerter Verlobung, die bei dieser Reise geplant ist, über [s]ich ergehen lassen«157 muss. In London und Windsor wurden ihm dann in der Tat zahlreiche Prinzessinnen als potenzielle Heiratskandidatinnen vorgestellt, was ihn zwar amüsierte, aber nicht interessierte. Seine mangelnden Englischkenntnisse und die unzureichenden Deutschkenntnisse der ihm vorgestellten Prinzessinnen machten ohnehin jede Konversation unmöglich. Ende des Jahres 1894 flüchtete er aus Wien, »um allen heiratsdrängenden Verwandten […] und allen Familienräten, welche vor Weihnachten stattfinden, zu entfleuchen«.158

      Da die Frage der erzherzoglichen Brautwahl eine durchaus politische war, verwundert es nicht, dass die anderen Großmächte regen Anteil an den Entwicklungen nahmen und sogar versuchten, diese in ihrem Sinne zu beeinflussen. In Deutschland zeigte man sich grundsätzlich über die Russophilie Franz Ferdinands besorgt, aber als Gerüchte aufkamen, der Thronfolger könnte Prinzessin Hélène von Orléans heiraten, befürchtete man im Auswärtigen Amt in Berlin bei einer solchen Verbindung künftig gar eine österreichisch-russisch-französische Koalition.159 Der Thronfolger hatte die hübsche Prinzessin während seines Besuchs in England kennengelernt. Das Gespräch mit ihr gestaltete sich wegen seiner bescheidenen Französischkenntnisse jedoch eher mühsam und von weiteren Treffen oder gar Heiratsplänen war nicht mehr die Rede.160

      Bei der nächsten problematischen Situation 1899 griff sogar das Berliner Auswärtige Amt in das Geschehen ein. Als Gerüchte kursierten, dass möglicherweise eine Hochzeit des Thronfolgers mit der Tochter der russischen Großfürstin Wladimir bevorstehe, war man sich schnell einig, dass es notwendig sei, »daß dieser Plan durch möglichst schnelles Bekanntwerden gestört werde«.161 Da man gleichzeitig davon überzeugt war, dass es ungünstig wäre, wenn die Veröffentlichung auf Deutschland zurückgeführt werde, ließ man die Nachricht von der bevorstehenden Hochzeit in einer großen englischen Zeitung veröffentlichen. Entscheidend dabei war die Aussage, dass die potenzielle Braut von ihrem vorherigen Bräutigam, dem Prinzen von Baden, verlassen worden war!

      Ende des Jahres 1899 kam es aber für Berlin noch schlimmer: Der deutsche Botschafter Eulenburg, ein enger Freund Kaiser Wilhelms II., meldete, dass die »drohende Ehe« des Erzherzogs mit der Gräfin Chotek, welche die Wiener Kreise »fürchterlich« aufrege, nun ernsthaft diskutiert werde.162 Während man in den ersten beiden Fällen – Hélène von Orléans und die Tochter der Großfürstin Wladimir – negative Auswirkungen auf das deutsch-österreichisch-ungarische Verhältnis wegen einer möglichen Koalition zwischen Österreich-Ungarn, Russland und Frankreich befürchtete, bedeutete die Verbindung Franz Ferdinands mit einer unebenbürtigen Gräfin in den Augen vieler eine Gefahr für die gesamte Monarchie.

      Die strengen Habsburger Hausgesetze sahen lediglich Heiraten mit regierenden Herrscherhäusern Europas vor. Nach dem Familienstatut von 1839 bedurfte jede Heirat in der kaiserlichen Familie der Zustimmung des Kaisers. Ehen, die diesen Regeln nicht entsprachen, wurden als Missheirat oder Mesalliance bezeichnet, rechtlich als Ehe zur linken Hand oder morganatische Ehe, und führten in vielen Fällen zur Aberkennung aller Titel und Privilegien des jeweiligen Familienmitglieds. Vergleichbare Hausgesetze, die alle letztlich der Herrschaftssicherung dienten, gab es auch in vielen anderen regierenden Königshäusern.163 Die Hohenzollern verschärften unter Wilhelm II. sogar ihre Kriterien für die Ebenbürtigkeit.164

      Wann die Liebe zwischen Sophie Gräfin Chotek von Chotkowa und Wognin und Erzherzog Franz Ferdinand genau begann, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Sie kannten sich seit spätestens 1891, die Liebesbeziehung dürfte allerdings deutlich später angefangen haben.165 Damals war Gräfin Chotek Hofdame im Haus des Erzherzogs Friedrich, der mit Prinzessin Isabella von Croy-Dülmen eine unebenbürtige Heirat eingegangen war.

      Die Choteks gehörten zum böhmischen Uradel, waren jedoch kein regierendes Haus und somit für eine Heirat mit den Habsburgern nicht standesgemäß. Sie wurden bereits 1745 in den Reichsgrafenstand erhoben, einige von ihnen waren Träger des Ordens vom Goldenen Vlies und aus der Familie gingen mehrere bedeutende Diplomaten hervor – nicht zuletzt Sophies Vater, der Statthalter in Böhmen und später Botschafter in St. Petersburg, Madrid, Brüssel und Dresden war. Auf seinen beiden letzten Posten war Graf Bohuslaw Chotek nicht unwesentlich am Zustandekommen zweier anderer Ehen beteiligt: der des Kronprinzen Rudolf mit der belgischen Prinzessin Stephanie und des Erzherzogs Otto, des Bruders von Franz Ferdinand, mit der sächsischen Prinzessin Maria Josepha. Sophie Chotek hatte acht Geschwister. Ihre Schwester Marie war seit 1887 mit einem Freund von Franz Ferdinand, Jaroslaw Graf Thun-Hohenstein, verheiratet. Es ist denkbar, dass dem Erzherzog bei dieser Hochzeit die damals 19-jährige Sophie zum ersten Mal vorgestellt wurde.166

      Die Geschichte von ihrer Begegnung auf einem Ball Ende April 1894 wird in allen populärwissenschaftlichen Werken als Beginn einer romantischen Liebe geschildert. Sie gehört jedoch eher ins Reich der Märchen und Legenden und kann durch Quellen nicht belegt werden.167 Die Korrespondenz zwischen Franz Ferdinand und Marie Thun sowie seine Briefe an Gräfin Nora Fugger lassen Zweifel an dieser Datierung aufkommen. Zu diesem Zeitpunkt pflegte der Thronfolger einen lockeren Lebensstil mit zahlreichen Liebesaffären.168

      Franz Ferdinands Arzt, Viktor Eisenmenger, hat mit seiner Publikation wahrscheinlich dazu beigetragen, dass man das Jahr 1894 als Beginn der Beziehung ansah. Denn die Liebe, von deren heilender Wirkung Eisenmenger ausging, müsste logischerweise noch vor der Abreise des Thronfolgers nach Meran Ende 1894 begonnen haben. Dass die Korrespondenz, die den Thronfolger angeblich am Leben hielt, möglicherweise von anderen Personen gekommen sein könnte oder einfach nicht mit einer Liebesgeschichte zusammenhing, wird von keinem Biografen in Erwägung gezogen. Dabei sind die Briefe, die Franz Ferdinand an Sophies Schwester Marie, verheiratete Gräfin Thun, schrieb und die im Archiv in Děčín aufbewahrt werden, von einem so herzlichen und innigen Charakter, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass der Erzherzog damals für Rischel (so wurde Marie genannt) schwärmte.169 Dass die sehr hübsche Gräfin ihm schon immer gefiel, hielt Nora Fugger bereits nach ihrer ersten Begegnung mit dem Erzherzog 1882 fest. Ein mit Franz Ferdinand befreundeter Graf erzählte Nora Fugger nach einem gemeinsamen Ball, dass sie dem Erzherzog »von allen anwesenden Komtessen nach Rischel Chotek am besten« gefiel.170

      In seinen Briefen an Rischel ließ Franz Ferdinand zwar manchmal Grüße und Dankesworte an Sophie ausrichten, teilte aber im gleichen Zug mit, dass er sich »riesig freuen würde«, einen Brief aus der »liebe[n] Hand«171 Maries zu erhalten. Eher beiläufig erwähnte er einmal,