Franz Ferdinand. Alma Hannig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alma Hannig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783902862792
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Lord Ripon soll 556 000 und Marquis d’Andigné 347 000 Tiere erlegt haben.114

      Das Verhalten des Thronfolgers auf seiner Weltreise im Hinblick auf die Jagd entsprach in den meisten Fällen dem Verhalten der einheimischen Eliten bzw. der Kolonialherren. Wenn beispielsweise in den Tagebüchern vom »Pigsticking« die Rede ist – berittene Jagd mit Speeren auf Wildschweine –, dann muss man dazu den entsprechenden Eintrag in der Encyclopedia Britannica aus dem Jahr 1911 lesen, in dem es heißt, dass diese Freizeitgestaltung als ein optimales Training für jeden Soldaten, aber vor allem für die Kavalleristen galt, denn man brauche »a good eye, a steady hand, a firm seat, a cool head and a courageous heart«.115 Der Gründer der Pfadfinder, Robert Baden-Powell, widmete voller Begeisterung ein Kapitel seiner Erinnerungen dieser »Sportart« und behauptete sogar: »See how the horse enjoys it, see how the boar himself, mad with rage, rushes wholeheartedly into the scrap, see how you, with your temper thoroughly roused, enjoy the opportunity of wreaking it to the full.«116 Wenn der Prinz von Wales sich in Indien aufhielt, nahm er an den »Pigsticking«-Wettkämpfen teil. Der österreichische Erzherzog hatte diese Form der Jagd in Indien kennengelernt, als er von zwei britischen Kavallerieoffizieren hierzu eingeladen worden war. Die Faszination, die davon ausging, schlug sich in einem 17-seitigen (!) Brief an die Eltern nieder.117

      Es verwundert daher kaum, dass Franz Ferdinand keinerlei Verständnis, sondern vielmehr Verachtung für den Umgang der Hindus mit den Tieren zeigte. Die religiösen Gefühle der Menschen seines Gastlandes völlig ignorierend und im Bewusstsein, seinen Gastgeber zu hintergehen, erlegte er Antilopen (Nilgau), obwohl dies in Indien streng verpönt war.118 Noch weniger Respekt zeigte er in Australien, als er aus purer Neugierde das Grab eines Häuptlings öffnete und mangels erwarteter Schmuckstücke zumindest einen dem Toten beigelegten Stein als Andenken mitnahm.119 Neben der allgemeinen Verwunderung über solche Verhaltensweisen eines 30-jährigen Thronfolgers einer europäischen Großmacht, verwundert es ebenfalls, dass solche Stellen weder von Beck noch anderen Instanzen aus der veröffentlichten Version des Tagebuches gestrichen worden waren.

      Franz Ferdinand erlegte zahlreiche andere Tiere, nur weil sie ihm zufällig über den Weg liefen oder ihm in einer bestimmten Situation auffielen. Die Schilderung solcher »Zufallstreffer« erweckt den Eindruck, als hätte der Thronfolger sein Gewehr wie eine Art Fotoapparat benutzt. Alles, was er gesehen hat, was ihn fasziniert, überrascht oder irritiert hat, wurde niedergeschossen, eingesammelt und diente als Erinnerungsstück. »Statt ausschließlich Beiträge zur Menagerie des Kaiserhauses in Schönbrunn zu liefern, sammelte er Objekte für seine eigene, wenngleich tote Menagerie.«120 Der Hoffotograf und Tierpräparator Hodek, der ihn während der gesamten Reise begleitete, hat eine Art visuelles Paralleltagebuch hinterlassen, das 2011 im Rahmen der Ausstellung Imperial Sightseeing im Völkerkundemuseum in Wien der breiteren Öffentlichkeit präsentiert wurde.121

      Es ist davon auszugehen, dass das Verhalten Franz Ferdinands in etwa dem üblichen Verhalten der sich in ähnlicher Position befindlichen Persönlichkeiten in Europa entsprochen hat. Allein die Tatsache, dass die Tagebücher – von einer gewissenhaften Person wie Beck gelesen und zum Teil korrigiert – genau mit diesem Inhalt publiziert und somit der Öffentlichkeit im In- und Ausland präsentiert wurden, spricht dafür, dass man nichts Auffälliges oder gar Abnormes am Verhalten des Thronfolgers fand.122 So unbeliebt Franz Ferdinand auch in manchen Kreisen war, hätte der Hof eine öffentliche Blamage wenige Jahre nach dem Selbstmord des Kronprinzen Rudolf sicher vermieden, hätte man die geschilderten Erlebnisse für peinlich, unangemessen oder krankhaft befunden.

      Obwohl all seine Jagdbeschreibungen den Eindruck eines sachlichen Umgangs mit den Tieren vermitteln, so war sein Verhältnis zu manchen Tieren durchaus emotional geprägt. Jahrelang hatte der Thronfolger Hunde als Haustiere gehalten.123 Häufiger lassen sich auch Belege finden, dass er sich sehr um seine Pferde kümmerte und sie aus Angst vor Verletzungen an Rennen nicht teilnehmen ließ. In einem Brief berichtete er von Regimentsrennen, bei denen er »seine Black rose« reiten wollte, und dass er nur hoffe, dass dem »hübschen Rappen […] nichts geschieht«.124 Bei den großen Gmundener Rennen ließ er zwar mehrere Pferde starten, aber nicht die »kleine, herzige Beaulieu«, die er »nicht den Blicken des Publikums und den Gefahren einer St[eeple] chase aussetzen [will], da ich sie zu gern habe«.125

      Franz Ferdinands zweite große Leidenschaft war das Sammeln. Er hat auf seiner Weltreise neben den zahlreichen Jagdtrophäen auch Pflanzen gesammelt und Herbarien angelegt. Er kaufte Unmengen an Souvenirs ein, sodass die mitgebrachten Gegenstände viele Räume mehrerer volkskundlicher und naturhistorischer Museen füllten. Nicht Erkenntnisdrang, sondern die Vorstellung, möglichst seltene Stücke zu erwerben, um sie später ausgestellt zu sehen, war der bestimmende Antrieb seiner Sammlertätigkeit.126 Die Objekte wurden zunächst in 17 Räumen des ersten Stockwerks und in neun Parterresälen des Belvederes aufgestellt.127 Bis heute bilden sie einen wichtigen Beitrag zu den Beständen der Wiener Museen. Der Erzherzog zeigte sich stolz und hoch erfreut, wenn jemand die Sammlungen lobte, denn »es war eine große Arbeit, dies alles zusammenzubekommen und manche Stunde mußte dem geopfert werden«.128 Außerdem brachte der Thronfolger einige lebende Tiere mit, die in die kaiserliche Tiermenagerie in Schönbrunn kamen.

      Fast alle Habsburger gingen einer Sammelleidenschaft nach, was letztlich dazu geführt hat, dass die habsburgischen Sammlungen unter den europäischen Dynastien einen besonderen Stellenwert einnehmen. »Sammeln wurde als Teil der Herrscherfunktion gesehen, der Schatz gehörte zum Machthaber seit der Antike, hat geradezu eine mythische Bedeutung angenommen.«129

      Zu den weiteren Sammelleidenschaften des Thronfolgers gehörten St.-Georgs-Darstellungen, für die er später in Konopischt ein Museum mit 3750 Objekten eingerichtet hat, außerdem die großen Waffensammlungen (4618 Stück), deren Grundstock die estensischen Waffensammlungen bildeten, und schließlich die Antiquitäten. Er kaufte bei den Antiquitätenhändlern aus ganz Europa ein und nutzte jede freie Sekunde auf seinen Reisen, um sich in den Läden vor Ort umzuschauen.130 Mit weniger Kunstsinn sammelte er Bauernkunst, möglicherweise gedacht für die Schaffung eines Völkerkundemuseums für die gesamte Monarchie.131 In diesem Zusammenhang ist wahrscheinlich auch sein Interesse für die Volksmusik zu verorten, die sogenannten »Gstanzeln«. Er hat sogar zwei Bände dieser Lieder anonym herausgegeben.132

      Nach der Rückkehr von der Weltreise übernahm Erzherzog Franz Ferdinand als Generalmajor im April 1894 die 39. Infanteriebrigade in Budweis. Damit »ein frischer lebendiger Soldatengeist« in seiner Brigade wehe, trat er laut eigener Beschreibung »ein wenig als Wauwau« auf.133 Das Kommando musste er allerdings aus gesundheitlichen Gründen bereits im nächsten Jahr wieder abgeben. Viel Zeit verbrachte er auf Schloss Konopischt, wo der bereits erwähnte aufwendige Umbau in vollem Gange war und ihm einige Geldprobleme bescherte. Mit Humor berichtete er von den mäßigen Einnahmen, die seine Herrschaften in der Zeit abwarfen: »Es heißt, das Auge des Herrn macht die Kühe fett, infolgedessen schaue ich sie stundenlang an, aber die Bestien werden halt nicht fetter und wollen um keinen Preis mehr Milch geben.«134 Zur gleichen Zeit ließ der Erzherzog Artstetten einrichten, da sich die Krankheitssymptome verstärkten und er das Anwesen als eine Art Kurort nutzen wollte.

      2.2 Krankheit

      Nachdem er seit Monaten bereits kränklich gewesen war, brach Ende 1894 beim Thronfolger die Lungentuberkulose aus. Mehr als zwei Jahre sollte sein Kampf gegen die tödliche Krankheit andauern. Auch wenn er sie am Ende besiegt hatte, musste er sich in Zukunft schonen und blieb asthmaanfällig. Offiziell ließ der Erzherzog verlauten, dass er als Folge seiner Weltreise an Tropenfieber erkrankt sei. Ob er selbst am Anfang daran glaubte oder ob er die Lungentuberkulose bewusst verschwieg, lässt sich nicht klären. Die Ärzte rieten ihm dringend zu einer Luftveränderung in einem warmen Gebirgsklima. Am Ende fiel die Entscheidung für Meran, obwohl er selbst davon überzeugt war, dass es dort »schrecklich« sein würde und er sich einen anderen »schöneren und heiteren« Gebirgskurort ausgesucht hätte. Seine »vollkommen zerrütteten Finanzen« gaben aber letztlich den Ausschlag.135 Die Zeit in Meran verbrachte