Franz Ferdinand. Alma Hannig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alma Hannig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783902862792
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Thronfolgers Hilfe zu bekommen, naiv. Für Franz Ferdinand gab es einen großen Unterschied zwischen einer Gräfin aus dem alten böhmischen Adel und der Tochter eines bürgerlichen Professors.232 Aber was Franz Ferdinand am meisten missbilligte und dem Bruder nicht verzieh, war der Betrug am Kaiser und an der gesamten Familie durch das Verschweigen der Heirat. Nach Österreich-Ungarn kam Ferdinand Burg übrigens nur ein einziges Mal zurück – am 4. Juli 1914, zum Begräbnis seines Bruders und dessen Frau in Artstetten. Einige Monate später verstarb er selbst in München.

      Zu den wenigen, die von Anfang an einen unkomplizierten und zunehmend herzlicheren Umgang mit Sophie pflegten, gehörte Prinz Gottfried Hohenlohe, einer der Söhne des Obersthofmeisters Constantin. Franz Ferdinand war mit dem Prinzen befreundet, nahm ihn bei seiner ersten diplomatischen Mission 1891 nach Russland mit und schätzte allgemein seine Gesellschaft. In einem Brief zum Neujahr 1901 wünschte Gottfried Hohenlohe der Herzogin Sophie »nur ungetrübtes Glück und Zufriedenheit […], und dass Sie dieselben nach manch’ sorgenvollem schwerem Jahre recht von Herzen geniessen mögen«.233 Dass sich solche Glückwünsche auf das ohnehin gute Verhältnis zum Thronfolger positiv auswirkten, ist anzunehmen. Hohenlohe sollte später zu einem der Hauptprotegés Franz Ferdinands im Militär und in der Diplomatie werden.

      Das Verhalten des Erzherzogs in den Jahren 1899/1900 vermittelt den Eindruck eines klar kalkulierenden Machtmenschen, der nicht bereit war, seine Position zugunsten der Liebe aufzugeben, sondern mithilfe guter Berater beides miteinander zu vereinbaren versuchte. Er nahm das Risiko einer Verfassungskrise und großer öffentlicher Diskussionen im In- und Ausland in Kauf, um seinen Willen durchzusetzen. Im Bewusstsein, dass bessere Alternativen dem Kaiser fehlten und dieser ohnehin weitere Skandale oder gar Todesfälle in der eigenen Familie verhindern wollte, setzte er alles auf eine Karte und war zunächst erfolgreich. Dass er sich dadurch in vielen Kreisen unbeliebt machte und dass es in den nächsten Jahren immer wieder größere und kleinere Probleme bezüglich der Rangfrage seiner Frau geben sollte, die sich auch auf die Ausübung seiner Pflichten als Thronfolger negativ auswirkten, scheint ihn entweder nicht interessiert zu haben oder er hat sie unterschätzt. Fest steht, dass nachdem sich die Lage im Sommer 1900 beruhigt hatte, Franz Ferdinands Position als Thronfolger nun endgültig gefestigt war und nicht mehr infrage gestellt wurde.234

      Seine Ehe galt als außerordentlich glücklich. Das Paar bekam in den nächsten Jahren drei Kinder: Sophie (1901), Maximilian (1902) und Ernst (1904).235 Die Familie verbrachte die meiste Zeit in Konopischt oder auf Franz Ferdinands weiteren Gütern in Chlumetz in Südböhmen, in Kärnten (Jagdschloss Lölling) und später auch in Blühnbach bei Salzburg (ein altes Jagdschloss der Salzburger Erzbischöfe). Zeitweise hielten sie sich auf den Schlössern in Miramare oder Eckartsau auf, welche ihm vom Kaiser zur Verfügung gestellt worden waren. Die italienischen Palazzi und Villen in Venedig, Catajo und in der Nähe von Rom, die zu Franz Ferdinands Este-Erbe gehörten, besuchten sie nie. Die Aufenthalte in Wien wurden auf ein Minimum reduziert, um den protokollarischen Unannehmlichkeiten nicht ausgesetzt zu sein.236

      Nicht nur alle Zeitzeugen, sondern auch Historiker bescheinigten dem Thronfolger einen für die damalige Zeit ungewöhnlichen Familiensinn und betonten die eheliche Harmonie.237 Dafür lassen sich viele Belege in den Archiven finden. Allein Hunderte privater Fotografien aus dem Familienarchiv in Artstetten bestätigen dies. Stets gut gelaunt, lachend und spielend ist die gesamte Familie in unterschiedlichen Situationen zu sehen. Während die privaten Bilder den Thronfolger in ausgelassener Stimmung mit seiner Familie zeigen, suggerieren die offiziellen Aufnahmen eine Strenge und Distanz, wie sie damals auf solchen Fotografien üblich war.

      Auf den ersten Blick verwundert und irritiert der Unterschied zwischen den offiziellen und privaten Aufnahmen des erzherzoglichen Familienlebens. Aber letztlich ist diese Diskrepanz zwischen der Außendarstellung und der tatsächlichen Situation typisch für Franz Ferdinand. Alle für die Öffentlichkeit vorgesehenen Bilder des Thronfolgers zeigen eine kühle, ernste Person, die unnahbar und unsympathisch wirkt.238 Die Mehrheit der bis heute in den Archiven aufbewahrten Fotos von Franz Ferdinand zeigt jedoch das Gegenteil: Nicht nur bei privaten Treffen mit Freunden, sondern auch bei offiziellen Terminen ist ein gut gelaunter Thronfolger zu sehen, der offenbar häufig scherzte und lachte.239 Sein Humor, gespickt mit beißender Ironie und Sarkasmus, tritt aus vielen seiner Briefe zutage, wobei der Witz und die absolute Offenheit lediglich in der Korrespondenz mit seinen Freunden zu finden sind, während er gegenüber anderen Korrespondenzpartnern meistens zurückhaltender und vorsichtiger in seiner Wortwahl war. Unter den veröffentlichten Briefen stechen vor allem diejenigen an Sophies Schwester, Gräfin Marie Thun, hervor, in denen er in äußerst unterhaltsamer Art und Weise von der Hofgesellschaft und den Bällen in Wien und London berichtete und sein Leid über alle Verheiratungsversuche der Jahre 1890 bis 1896 klagte.240

      Die Korrespondenz zwischen Franz Ferdinand und Sophie und später auch die Korrespondenz der beiden mit ihren Kindern war von intensiver Liebe und großer Nähe gekennzeichnet. Auch nach vielen Jahren der Ehe wurden während der kurzen Trennungszeiten (wegen der Manöver oder Jagden) zahlreiche Briefe ausgetauscht, aus denen hervorgeht, wie sehr sich die Eheleute bereits nach wenigen Tagen vermissten, wie schwer ihnen die Trennung fiel und wie sehr sie sich auf ihr Wiedersehen freuten. Kosenamen und Liebeserklärungen finden sich auch noch in den Briefen und Telegrammen des 50-jährigen Thronfolgers und seiner fünf Jahre jüngeren Frau.241

      Ein weiteres Detail fällt im Zusammenhang mit den Fotografien auf: Obwohl Franz Ferdinand ein begeisterter Soldat war, trug er Militäruniformen nur bei dienstlichen und offiziellen Anlässen. Ansonsten bevorzugte er Zivilkleidung, was sich ebenfalls in den privaten Fotografien niederschlägt. Im Gedächtnis der Menschen bleibt er jedoch stets »uniformiert«, denn auf allen offiziellen Gemälden und Fotos ist er in Uniform zu sehen. Auch hier gilt es den Zeitgeist zu beachten: Auf den meisten offiziellen Fotos sind die Habsburger und die anderen regierenden Fürsten, aber auch viele andere Hochadelige, stets ernst und distanziert, die männlichen Mitglieder zumeist in Uniform, abgelichtet worden. Diese Darstellung entsprach also dem Usus der Zeit. Dass der Erzherzog sich zu Hause lieber »wie ein Bürger« kleidete, haben viele Zeitzeugen bestätigt.242

      Bei Franz Ferdinand kommt noch hinzu, dass er nie Wert darauf legte, von der Bevölkerung als sympathisch oder nett wahrgenommen zu werden.243 Die Berichterstattung um seine Ehe hätte ein guter Ausgangspunkt für eine positive Kampagne werden können. Dies interessierte ihn jedoch nicht und der private, sympathische Thronfolger trat nicht mehr in Erscheinung. Die Bevölkerung erfuhr lediglich von seinen offiziellen Terminen und bekam die entsprechenden Bilder dazu präsentiert.

      Deshalb fielen die Urteile höchst unterschiedlich aus: Diejenigen, die ihn gut kannten und mit ihm befreundet waren, beschrieben ihn als einen intelligenten, lustigen Menschen; die anderen, die mit ihm nur dienstlich zu tun hatten, waren entweder in jeder Hinsicht von seiner Person und Tätigkeit eingenommen oder hielten ihn für gefährlich und unberechenbar, fürchteten sich vor ihm oder hassten ihn sogar. Er selbst formulierte es folgendermaßen: »Wer mich kennt, glaubt diesen Unsinn ohnedies nicht, und wer mich nicht kennt, der wird mich schon kennenlernen …«244

      Abschließend muss an dieser Stelle auf einen weiteren Punkt bezüglich seiner Ehe eingegangen werden: Welche Rolle spielte seine Frau bei politischen Entscheidungen? Und welchen Einfluss hatte die Behandlung seiner Frau durch andere Personen auf das Handeln des Thronfolgers? Zahlreiche Autoren haben behauptet, dass die gleichrangige Behandlung der Fürstin von Hohenberg vonseiten fremder Monarchen stets zu einem positiven Verhältnis des Thronfolgers zum jeweiligen Land führte und somit dessen politisches Urteil beeinflusste.245 Der deutsche Botschafter Eulenburg, der die Fürstin von Hohenberg für schlau und somit für den »Prototyp der Frau als solche«246 hielt, rühmte sich selbst des Einfalls, sie als »Objekt« der Diplomatie benutzen zu können, welches »mit Freundlichkeit und Rücksicht behandelt, zu einer engen Verbindung zwischen ihm [Kaiser Wilhelm II., Anm. d. Verf.] und dem Erzherzog führen müsse«.247 Vor allem in Deutschland scheint sich die Meinung durchgesetzt zu haben, dass Sophie der Schlüssel zum Thronfolger in jeder Hinsicht war. So behauptete beispielsweise der deutsche Bankier Joël im November 1912, dass man in Italien den Thronfolger vor allem wegen seiner »sehr einflußreichen