Fritz Wunderlich. Werner Pfister. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Werner Pfister
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783795786120
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Gesänge op. 121 von Johannes Brahms sowie das Oratorium In terra pax des Schweizer Komponisten Frank Martin, damals Professor an der Kölner Musikhochschule. Wunderlich hatte nur im Oratorium Martins zu singen, die beiden einleitenden Werke dagegen waren zwei seiner Sängerkollegen vorbehalten. Dennoch, die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf Frank Martin. »Nun hat uns in dankenswerter Weise der Freiburger Bachchor zum Totensonntag mit einem seiner Oratorienwerke bekannt gemacht«, hieß es zwei Tage später in der Badischen Zeitung. »Martins Konzeption ist einfach, aber seine Musik ist im besten Sinn des Wortes anspruchsvoll, das heißt, sie spricht den Hörer voll an.« Wunderlich hatte den wohl anspruchsvollsten, aber auch schönsten Teil dieses Werks zu singen, die Seligpreisungen im dritten Teil. Und er konnte sich neben seinen illustren Kollegen durchaus behaupten. Der Kritiker von der Südwest-Rundschau wagte gar eine kleine Rangliste aufzustellen: Wunderlich, Marga Höffgen und Herbert Brauer wurden »besonders hervorgehoben«, während die beiden anderen Sänger »farbloser blieben«.[53]

      Drei Wochen später sang Fritz Wunderlich in einem weiteren Konzert des Freiburger Bachchores. Diesmal in der Freiburger Lutherkirche, wo Theodor Egel Bachs Weihnachts-Oratorium aufführte. »Ich war regelrecht ›geplättet‹, als Fritz den Mund aufmachte und sang«, erzählte Klaus Hertel, damals frischgebackener Referendar und Tenorsänger im Freiburger Bachchor. »Ich hatte ihn vorher noch nie gehört. Auch ich wollte ja Sänger werden. Wie ich dann aber Wunderlich gehört habe, dachte ich mir: ›Nun, vielleicht läßt du es doch besser bleiben.‹« Wunderlich kannte seine Partie, er hatte sie vor Jahresfrist ja schon einmal gesungen. Dennoch mußte er zu den Proben und wurde von Theodor Egel nicht gerade sanft angefaßt. Eines seiner letzten Rezitative erzählt von der Anbetung der Drei Könige und von ihrer Verbreitung der frohen Botschaft in aller Welt. Und es schließt mit den Bibelworten: »Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.« Wunderlich schmetterte diese abschließende Phrase mit kräftigen Tönen in den leerhallenden Kirchenraum. Sofort klopfte Egel ab: »Na, hören Sie mal!« herrschte er den jungen Belcantisten an, »überlegen Sie sich gefälligst mal, was Sie denn da überhaupt singen!« Schließlich sei man nicht in der Oper, sondern in einem Oratorium.[54] Letztlich aber schien alles in schönstem Einklang geendet zu haben: »Fritz Wunderlich sang den Evangelisten und die Tenorarien mit erstaunlicher Bravour und sicherem musikalischem Instinkt«, attestierte die Südwest-Rundschau,[55] und auch der Kollege von der Badischen Zeitung bestätigte, daß Wunderlich »als Inhaber der anspruchsvollen Tenorpartie… durch beseelte gesangliche Gestaltung und saubere Technik« bestach.[56]

      »Eines war für mich eigentlich klar«, erzählte Manfred Schuler. »Wenn Fritz solche Chancen hat, wenn er bei Egel mitsingen kann, dann muß er wirklich etwas können. Natürlich habe ich dieses Weihnachts-Oratorium gehört. Fritz und ich haben uns nach dem Konzert übrigens fast totgelacht. Denn ein eben neu an die Freiburger Hochschule engagierter Gesangsdozent mußte als Bassist einspringen. ›Wie ein röhrender Hirsch‹ habe er gesungen, witzelte Fritz. Wobei das nicht nur despektierlich gemeint war. Als ich die beiden damals hörte, ein Gesangsschüler und ein Dozent nebeneinander, merkte ich, obwohl ich selber ja nicht Gesang studiert habe, sofort: Das sind zwei ganz verschiedene Welten. Wieviel muß Fritz da können!«[57] Andere Studienkollegen bestätigten, daß Wunderlich an der Freiburger Hochschule bald einen »Meisterschülerstatus«, hatte, daß er in vielem genial war, während die meisten seiner Kollegen hart zu arbeiten hatten. Auch im Gesangsunterricht, in der Meisterklasse bei Margarethe von Winterfeldt, fiel das den Kommilitonen auf. »Am Anfang habe ich das noch gar nicht so richtig mitgekriegt«, erzählte die Sopranistin Katharina von Mikulicz, »doch bald gab es gemeinsame Auftritte von uns beiden. Wenn man in einem Konzert neben Fritz auf dem Podium stand, merkte man sofort, daß da etwas Außergewöhnliches vor sich geht. Daß da bei ihm in der Tiefe Dinge sind, an die wir nicht rankommen. Wenn wir andern uns total verausgabt hatten, dann merkten wir: Fritz hat das gleichsam nur von der Oberfläche genommen; er hatte stets noch viele Reserven.«

      Auch die Professoren an der Freiburger Musikhochschule wurden auf diesen heranwachsenden Tenor aufmerksam. Zuerst wohl Gustav Scheck, der Direktor. Das kam Fritz in einer ganz besonderen Art zugute: Scheck lud den jungen Sänger wiederholt ein, bei den Proben seines Freiburger Musikkreises für Alte Musik zuzuhören. Scheck war einer der namhaften Spezialisten für Alte Musik, hatte schon im Jahre 1930 – zusammen mit dem Gambenspezialisten August Wenzinger, dem späteren Mitbegründer der Scola Cantorurn Basiliensis – einen ersten Kammermusikkreis für Alte Musik gegründet. Fünf Jahre später schloß sich der Cembalist Fritz Neumeyer dieser Musikergemeinschaft an. Sie waren damals die ersten, die in Deutschland Alte Musik auf historischen Instrumenten spielten und sich in zahlreichen Konzertreisen quer durch Europa, in die Sowjetunion und bis nach Indien bedeutende Verdienste um die Wiederbelebung Alter Musik erwarben. Wenzinger ging 1938 als Solocellist und Lehrer am Konservatorium zwar nach Basel; dennoch war er mit dabei, als Scheck und Neumeyer sich nach der Gründung der Freiburger Musikhochschule mit ungefähr einem halben Dutzend weiterer Professorenkollegen zum Freiburger Musikkreis für Alte Musik zusammenschlossen. Das eigentlich Neue ihrer Interpretationen bestand in der kleinen Besetzung. Zum Beispiel spielten sie die Brandenburgischen Konzerte von Bach in solistischer Besetzung, jede Stimme nur ein einziger Musiker. Bald durfte Wunderlich hier mitmusizieren. Zuerst mit dem Waldhorn, später dann sang er auch: Arien von Jean-Baptiste Lully, von Henry Purcell, von Philipp Heinrich Erlebach oder Adam Krieger. Musik des 17. Jahrhunderts hauptsächlich, die kaum einer aufführte und die damals recht eigentlich wiederentdeckt wurde. Diese Alte Musik begleitete Wunderlich sein ganzes Leben lang. Stets bewahrte er sich eine besondere Vorliebe für die großen Chorwerke Bachs und Händels, sie wurden seine ureigenen Wurzeln.

      Zu Fritz Neumeyer fand Wunderlich bald einen besonders herzlichen Kontakt. Er war fasziniert von Neumeyers gesanglichem Instinkt und seiner Phrasierungskunst, die Neumeyer ganz vom Gesanglichen her entwickelte. Als Dozent für historische Tasteninstrumente riet er seinen Studenten immer wieder, sie sollten auf ihrem Instrument singen. Die Artikulation der Phrasen müsse sängerisch sein. Das war damals, als man Cembalospiel meistens noch mit der starren Mechanik einer klappernden Nähmaschine assoziierte, etwas ganz Neues. Und Neumeyer setzte alles dran, seine Studenten von dieser starren, leblosen Spielmotorik wegzubringen. Er war übrigens ein humorvoller Lehrer, stets zu einem Witz aufgelegt. Schüttelreime waren seine eigentliche Spezialität, und jeder, der sie nur einmal gehört hatte, behielt sie im Gedächtnis. Zweizeiler zum Beispiel, oft auf seine Kollegen gemünzt. Aber auch anspruchsvolle Vierzeiler gab Neumeyer zum besten – etwa bei einem gemeinsamen Bier das Thema »Gaststätte« in einer besonders intrikaten Variation aufnehmend:

      Die Frau sich aus dem Felle hüllt,

      Während der Ober schon Helle füllt.

      Ob aber auch die Fülle hält,

      Wenn einmal die Hülle fällt?

      In jenen Monaten wurde Fritz Wunderlich auch für eine ganz andere Sparte von Musik entdeckt. Willi Stech, der Leiter des Kleinen Rundfunkorchesters des Südwestfunks mit Sitz im Landesstudio Freiburg, wollte Aufnahmen mit Fritz machen: Schnulzen, Operettenlieder, Walzermelodien – U-Musik nach heutiger Klassifizierung. Mehrere Male schon hatte Wunderlich im Freiburger Landesstudio vor dem Mikrofon gesungen, allerdings ernste Musik, Motetten etwa von Heinrich Schütz oder Solomadrigale von Claudio Monteverdi. Das waren jeweils Beiträge für Schulfunksendungen, die Reinhold Hammerstein, der Freiburger Professor für Musikgeschichte und Formenkunde, für den Südwestfunk produzierte. Stets nahm er die besten Studenten der Hochschulgesangsklassen mit: Katharina von Mikulicz und Andrea von Ramm, Wunderlich und Hackbarth. »Das war für uns sehr wichtig, denn man verdiente recht schön Geld«, erinnerte sich Katharina von Mikulicz. »Zwanzig Mark kriegte man pro Auftritt. Das Geld mußte man sich Ende des Monats stets persönlich im Studio abholen. Auf dem Weg dahin war eine Metzgerei. Und auf dem Rückweg gingen Fritz und ich oft beim Metzger vorbei und legten unser Geld in Würste an . . . «[58]

      Nach


<p>53</p>

Südwest-Rundschau, 24. November 1953.

<p>54</p>

Interview des Autors mit Klaus Hertel, 15. Dezember 1989.

<p>55</p>

Südwest-Rundschau, 16. Dezember 1953.

<p>56</p>

Badische Zeitung, 18. Dezember 1953.

<p>57</p>

Interview des Autors mit Manfred Schuler, 14. November 1989.

<p>58</p>

Interview des Autors mit Katharina von Mikulicz, 15. Dezember 1989.