SURVIVAL INSTINCT. Kristal Stittle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kristal Stittle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350250
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      »Aber die haben doch schon mit all den anderen Menschen zu tun.« Tammy hielt seinen Arm so fest, dass er sich in einer Bärenfalle wähnte. Langsam bereute er seine Entscheidung, ihr zu helfen. »Ich weiß nicht, was ich mit dir anfangen soll; ich würde gerne nach Hause zurückkehren und glaube nicht, dass du mir folgen solltest.«

      »Nimm mich nur mit bis zum nächsten U-Bahnhof«, bat das Mädchen, dem nun wieder Tränen kamen. »Von dort aus weiß ich, wie ich nach Hause gelange.«

      Tobias dachte darüber nach. Die U-Bahn erschien ihm als prima Möglichkeit, um schleunigst von hier fortzukommen … aber nur, bis er sich vorstellte, mit all den anderen in einem Abteil zu stecken, die von dem Konzert flüchteten. Fürs erste hatte er genug davon, sich Schulter an Schulter einzwängen zu lassen.

      »Ich bring dich zu einem Bahnhof, aber erwarte nicht, dass ich mitfahre. Ich gehe zu Fuß weiter.«

      »Ist mir egal, begleite mich einfach bis dorthin.« Tammy lächelte, als sie von Tobias' Arm abließ und stattdessen seine Hand nahm.

      Er seufzte. Ganz wunderbar; das Gör bekam auf diese Weise garantiert immer, was es wollte. »Du weißt aber nicht zufällig, wo der nächste U-Bahnhof ist, oder?«

      »Oh, warte mal.« Tammy schob ihre freie Hand in eine Hosentasche und zog ein Smartphone heraus. Es steckte in einer rot glitzernden Schutzhülle. »Ich habe eine Karten-App.«

      Tobias rief sich ins Gedächtnis, wie viele Mitmenschen ihm schon vorgebetet hatten, er möge sich ein solches Teil zulegen, wogegen er sich stets gewehrt hatte, weil er es für Geldverschwendung hielt. Er glaubte nicht, dass er irgendeine dieser schicken Anwendungen brauchte, sondern einfach ein Gerät, mit dem er SMS senden und empfangen oder eben hin und wieder jemanden anrufen konnte. Gut möglich, dass er seine Meinung zu Hause nach ein bis zehn Bier änderte.

      »Hab's.« Tammy hielt Tobias das Smartphone hin, damit er die kleine Karte sah. »Die nächste befindet sich gleich auf der anderen Seite des Parks.«

      »Nicht gut.« Tobias schüttelte den Kopf. »Wo ist die nächste auf dieser Seite?«

      »Äh …« Tammy scrollte die Karte geübt mit dem Daumen. Generation Touchscreen, dachte Tobias. »Hier. Wir müssen dort drüben an der Ampel rüber und dann fünf Blocks weiterlaufen.«

      »Alles klar, dann mal los.« Gerade als Tobias wieder auf den Bürgersteig treten wollte, hielt er inne. »Kannst du vielleicht meine Hand loslassen? Ich will die Kamera herausnehmen.«

      »Wozu brauchst du sie denn?« Das Mädchen wurde argwöhnisch und drückte entsprechend fester zu.

      »Weiß nicht«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Wenn ich etwas einfange und an die Behörden weiterleite, hilft es ihnen eventuell, um herauszufinden, was hier passiert ist.«

      »Ah, okay.« Tammy ließ los, behielt ihn aber aufmerksam im Auge.

      Tobias hob das Gerät aus der Tasche. Er wollte es zuerst wieder auf seine Schulter wuchten, stemmte es aber dann einfach nur in die Armbeuge, damit es ihm nicht die Sicht versperrte. Sie lief immer noch; am Ende musste er wohl minutenlange Eindrücke vom Inneren der Tasche herausschneiden, aber wenigstens steckte die neue Speicherkarte darin, mit der er viele Stunden Material filmen konnte. Kaum dass er die Kamera so ausgerichtet hatte, dass sie einfing, was auch immer sich vor ihm abspielte, griff Tammy wieder nach seiner freien Hand.

      Die beiden gingen die Straße hinauf. Tobias ließ Tammy neben den Mauern und Schaufenstern laufen und fing die meisten Stöße entgegenkommender Passanten ab. Seine Sorge galt dabei allerdings weniger dem Mädchen als seiner Kamera. So gut wie jeder, dem sie begegneten, hastete in diese oder jene Richtung. Ein paar standen aber auch einfach nur da und schienen nicht zu wissen, wohin sie sich wenden oder was sie unternehmen sollten. Einige wenige brachen sogar heulend auf der Straße zusammen. Tobias beobachtete, wie ein Mann am Mittelstreifen entlanglief, verfolgt von einer Frau, deren Brust über und über mit Blut besudelt war. Sie fletschte ihre Zähne und fuchtelte herum im Versuch, den verschreckten Kerl zu schnappen. Ehe Tobias überlegen konnte, was zu tun sei, waren die zwei verschwunden. Er hoffte nur, dass der Mann nicht stolperte.

      Als Tobias und Tammy die Ecke erreichten, bogen sie in eine andere Straße ein, doch das Chaos pflanzte sich Block um Block fort, wenngleich sie bislang keine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. Das Gedränge lichtete sich, je weiter sie sich vom Park entfernten, bis sie endlich in eine Gegend kamen, wo sie genügend Raum zwischen sich und der nächsten Traube Menschen bringen konnten.

      Als sie an einer Gasse vorbeiliefen, ertönte aus dieser ein markerschütternder Schrei. Die beiden drehten sich um und sahen mindestens fünf Personen, die eine sechste niederrangen und bissen. Eine der Angreifenden hatte den Schrei ausgestoßen. Sie erhob sich und bewegte sich auf sie zu.

      »Schnell weg!« Tobias zog Tammys Hand und schleifte sie halb hinter sich her, als er losrannte. Zum Glück hielt das Mädchen Schritt, denn nun schossen auch die übrigen vier aus der Gasse und nahmen die Verfolgung auf.

      »Lass die Kamera fallen!«, rief Tammy, als sie einen raschen Blick zurück wagte.

      »Kann ich nicht einfach so, sie ist an meinem Bauch gesichert!« Tobias verfluchte den Hüftgurt, der ihm beim Tragen seiner Ausrüstung helfen sollte. »Lauf weiter!«

      »Was?« Tammy schaute zu Tobias auf.

      »Lauf voraus, spring in die U-Bahn! Ich lenke sie ab!«

      »Aber …«

      Tobias ließ Tammys Hand los und schob sie vor sich her. »Mach einfach, bevor ich es mir anders überlege!«

      Nach einem letzten Blick auf Tobias setzte Tammy zu einem Sprint an, dem er selbst ohne Kamera nicht hätte folgen können. Er stürzte sich ins Verkehrschaos und hoffte dabei, dass ihre Jäger nicht so flink waren. Dies stellte sich als gute Idee heraus: Eine Frau aus der Gruppe hätte ihn beinahe erwischt, knallte aber mit dem Becken gegen eine Stoßstange und vollzog eine volle Drehung, bevor sie sofort nachsetzte. Tobias lief im Slalom um die Wagen, wusste aber, dass das nicht ewig so weitergehen konnte. Er kam sich vor wie damals auf der High School in der Footballmannschaft, nur dass jetzt nirgendwo die End Zone für den Touchdown zu sehen war und seine Kamera deutlich mehr wog als das Leder – nicht zu vergessen, dass ein Tackling bedeutete, sein Leben zu verlieren.

      Ihm fiel eine Pizzeria ins Auge, deren Eingangstür offenstand. Er lief geradewegs darauf zu, während er das Gepolter seiner Verfolger hinter sich hörte. Nachdem er einen letzten, scharfen Haken geschlagen hatte, stürzte er in das Lokal.

      Die Tür war nicht geöffnet; sie war gar nicht vorhanden, weil jemand sie herausgerissen hatte. Scheiße auch, damit hatte sich diese Möglichkeit zum Schutz erübrigt.

      Hinter der Theke gab es jedoch eine weitere Tür, also sprang er blitzschnell hinüber. Ihm blieb nicht viel Zeit, sich über seine zurückgewonnene Geschicklichkeit zu freuen, denn seine Verfolger krachten bereits gegen die hüfthohe Theke und blieben flach mit den Oberkörpern darauf liegen. Jeder normale Mensch hätte sich dabei übel verletzt und keine Luft mehr bekommen, doch diese nun fingen einfach an, über die Arbeitsfläche zu kriechen, als sei nichts passiert.

      Tobias lief ins Hinterzimmer und schlug die Tür zu. Großartig, sie hatte kein Schloss. Das erste, was er dann sah, war eine Treppe, also blieb ihm nichts anderes übrig, als nach oben zu hasten. Dass es eine Hintertür in der Küche gab, war ihm in seiner panischen Eile gar nicht aufgefallen.

      Tobias nahm einen Treppenlauf nach dem anderen, während er auf die Schritte hinter sich achtete. Die mussten doch langsam müde werden, oder? Tobias war platt, also sollte es denen nicht anders ergehen, richtig? Die Stufen hörten einfach nicht auf.

      Endlich erreichte er den oberen Absatz und platzte durch eine weitere Tür. Dann stand er in der Sonne auf dem Dach. An der Seite entdeckte er mehrere Holzbalken, und ohne zu überlegen, begann Tobias, die Tür mit ihnen zu versperren. Schon schlug jemand von der anderen Seite dagegen, gerade als er den letzten Balken verkeilt hatte. Das Holz bohrte sich in den Schotterboden auf dem Dach und hielt vorerst, wahrscheinlich aber nicht ewig.