SURVIVAL INSTINCT. Kristal Stittle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kristal Stittle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350250
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vor als der Rest der Umgebung.

      »Ich will, dass du von hier aus filmst.« Mr. Jonas verdrehte die Augen, als sei es selbstverständlich. »Alle Musiker müssen auf dem Weg zur Bühne hier vorbei. Das ist die perfekte Gelegenheit, um jeden von ihnen zu interviewen und Eindrücke ihrer Shows mitzuschneiden.«

      »Sie wollen, dass ich alles von einer Stelle aus filme?«

      »Hast du meine Sendung überhaupt schon einmal gesehen? Natürlich nicht. Du bist so ein unersprießlicher Wicht. Mein Schaffen übersteigt deinen Verstand bei weitem.« Lucas strafte Tobias mit einem ruckartigen Wink ab und fing an, sich umzuschauen.

      Tobias hegte wenig Zweifel daran, dass Lucas nicht wusste, was »unersprießlich« bedeutete, sondern das Wort nur gebrauchte, um ihn zu beleidigen. Zur Entspannung holte er noch einmal tief Luft und schloss die Augen. »Ihnen ist klar, dass wir, wenn wir hier drehen, a) im Weg und b) so dicht neben den Boxen stehen, dass die Musik alles übertönen wird, was Sie sagen.«

      »Was?« Erst jetzt schien Lucas die Anlage zu bemerken, obwohl sie nur wenige Schritte entfernt stand.

      Aus diesem Grund filmte Tobias ungern bei Konzerten, speziell solchen zu Wohltätigkeitszwecken: Die Musik verhagelte ihm den Ton, und wenn das Publikum Kameras sah, rastete es umso mehr aus. Unheimlich gern wäre er einer der Kollegen gewesen, die nur dasaßen und feststehende Kameras bedienten. Sie mussten keinen Volltrottel verfolgen, sondern brauchten nur draufzuhalten und einzufangen, was interessant aussah. Hierbei stimmte wenigstens die Kohle.

      »Also gut, dann filmen wir flexibel«, meinte Lucas und klang dabei, als ringe er sich ein großes Opfer ab. »Nimm deine Kamera raus.«

      Tobias wuchtete das schwere Gerät aus seiner Tasche. Er stellte es neben seinen Füßen ab und begann mit der Verkabelung. Um den klobigen Akku und diverse weitere Zusätze halten zu können, hatte er sich sogar einen Hüft- und Beingurt besorgt, wie ihn Felskletterer verwendeten. Während er diesen anzog, beobachtete er Mr. Jonas aus dem Augenwinkel. Der Kerl bestaunte sein eigenes Gesicht in einem Taschenspiegel und kratzte an seinen bestimmt teuer gebleichten Zähnen.

      »Hier, können Sie sich das anstecken?« Tobias hielt ihm ein Mikrofon mit Stromversorgung hin, die er sich im Kreuz an den Gürtel klemmen musste. Lucas verdrehte erneut die Augen, als er es entgegennahm.

      Tobias brachte seine Vorbereitungen zu Ende, wobei er sich bemühte, nicht mit den Zähnen zu knirschen, und hob sich die Kamera dann auf die Schulter. Seine jetzt nahezu gänzlich leere Tasche hängte er sich an den Rücken. Beim letzten Mal, als er seine Kameratasche im Rahmen einer solchen Veranstaltung unbeaufsichtigt gelassen hatte, war sie für immer verschwunden.

      Sobald er in den Startlöchern stand, führten sie den Soundcheck durch. Durch seine rauschunterdrückenden Kopfhörer verstand Tobias nichts von dem, was Mr. Jonas sagte. Wie es aussah, hatte der Mann das Mikro korrekt angebracht, aber nicht eingeschaltet. Irgendwie drehte er es aber so, dass er Tobias die Schuld dafür zuschieben konnte.

      »Also gut, ich will, dass du von hier an alles filmst, verstanden? Im Schnitt basteln die das hinterher schon stimmig zusammen.« Lucas schaute erneut an sich hinunter und strich seinen Anzug glatt. Er versuchte, gleichzeitig wie ein Reporter und wie ein Rocker zu wirken, während Tobias fand, er sah aus wie ein Volltrottel, aber was das anging, war er wohl leicht voreingenommen.

      Er selbst zählte zu den Typen, die sich mit Jeans und T-Shirt zufriedengaben. Heute allerdings trug er eine beigefarbene Cargo-Hose. Dass deren große Taschen in seinem Job praktisch waren, hatte er schon früh begriffen. Tobias war nie großartig auf sein Äußeres bedacht gewesen und ließ sein sandig hellbraunes Haar zu einem Pilzkopf auswachsen. Mancher sagte ihm nach, er erinnere durch sein entspanntes Auftreten an einen kumpelhaften Surfer-Typen, insbesondere wenn er im Laufe des Sommers braun wurde. Persönlich fand er, sein Aussehen entspreche einem übergroßen Teenager mit sanfteren Gesichtszügen als der Rest seiner Altersgenossen. Bei den Girls kam er deshalb aber umso besser an; sie fühlten sich in seiner Gegenwart geborgen, weil er so harmlos anmutete.

      Nachdem er mit den Fingern von fünf an rückwärts gezählt hatte, betätigte Tobias die Aufnahmetaste, woraufhin Lucas Jonas sofort seine Fernsehpersönlichkeit hervorkehrte. Tobias wusste nicht, wie er es beschreiben sollte, hatte es aber schon unzählige Male in Aktion erlebt: Die Menschen beim TV nahmen eine andere Fassade an, sobald sich eine laufende Kamera auf sie richtete. Der Wandel war so drastisch, dass Mr. Jonas wie eine völlig andere Person erschien. Jetzt konnte Tobias nachvollziehen, wie der Kerl es geschafft hatte, so bekannt zu werden. Wenn er sich so verwandelte, wirkte er viel nahbarer.

      Bald schlüpfte auch Tobias in sein Alter Ego – seine Kollegen nannten es den Film-Modus. Er folgte Mr. Jonas, egal wohin er ging, und hielt dabei den Mund. Falls jemand, den der Moderator interviewte, Tobias eine Frage stellte, antwortete Lucas für ihn, oder er selbst bejahte oder verneinte, indem er die Kamera ein wenig schüttelte beziehungsweise vor und zurück bewegte. Sein Boss meinte, Mr. Jonas' Zuschauer stünden darauf.

      Ansonsten blieb Tobias aber völlig geistesabwesend. In seinem Kopf war er ganz woanders, gegenwärtig beim kommenden Freitag: Dann würde er mit den Jungs, zu denen jetzt wohl auch Bruce zählte, ins The Foxers gehen. Es war ihre Lieblingskneipe, also schlugen sie häufig dort auf, aber Tobias freute sich auf diesen Besuch mehr als sonst, weil Katie vermutlich auch kam. Einer seiner Freunde ging seit kurzen mit einem Mädchen aus, dessen beste Freundin – Katie – wiederum bei fast allen Treffen der Gruppe aufkreuzte. Momentan entsprach sie Tobias' Traum von der perfekten Frau … der sich gleichwohl ständig änderte. Katie erwies sich als außergewöhnlich klug, und Tobias war es nicht gewohnt, dass Girls mehr auf dem Kasten hatten als er. Dieser Unterschied gefiel ihm, auch und gerade weil die Braut, mit der er zuletzt ausgegangen war, rein gar nichts in der Birne hatte.

      ***

      Tobias Mackenzie fing gerade die Reaktionen der Menge auf die Bühnenperformance ein, als Lucas anfing, vorm Objektiv mit den Fingern zu schnippen. Tobias drehte sich zur Seite, um ihn anzusehen, und runzelte die Stirn ein wenig wegen der Störung. Lucas hatte gerade niemanden, den er interviewen konnte.

      »Was?« Obwohl er selbst über ein Mikro verfügte, das direkt an den Knopf in Lucas' Ohr sendete, musste Tobias gegen die Musik anbrüllen, die trotz der dicken Kopfhörer, die er trug, wahnsinnig laut war.

      »Was glaubst du, geht da vorne vor sich?«, fragte Lukas in sein eigenes Mikrofon und zeigte auf das Meer von Fans. Tobias schaute in die Richtung, die Lucas mit dem Arm vorgab. Auf der gegenüberliegenden Seite der Menge bewegte sich ein Teil des Publikums anders als der Rest: Während der Großteil der Besucher zur Bühne drängte, um ihren Idolen nahe zu sein, schienen die Menschen dort drüben vom Zentrum aus in alle Richtungen zu schwärmen.

      »Keine Ahnung.« Tobias zoomte den Bereich mit der Kamera heran, um besser zu sehen. Die Entfernung war immer noch zu weit, um alle Einzelheiten zu erkennen, aber was er ausmachen konnte, genügte: verschreckte Gesichter auf der Flucht vor etwas mitten im Publikum.

      »Was ist es?« Lucas zupfte ihn am Ärmel.

      »Kann ich nicht genau sagen, aber sie fliehen vor irgendetwas.« Er nahm die Kamera herunter. »Vermutlich nur eine Stinkbombe oder so.«

      »Oder so, was? Lass mal sehen; klapp den Bildschirm auf.« Lucas langte mit seinen penibel gepflegten Händen nach dem Gerät. Tobias zog es jedoch von ihm fort. Er wollte jegliches teure Equipment von Lucas' Griffeln fernhalten. Deshalb öffnete er den LCD-Sucher und drehte ihn, sodass Lucas hineinschauen konnte. Die Menge geriet ins kleinformatige Bild, als Tobias die Kamera wieder auf sie richtete. Einige der Fans versuchten nun tatsächlich, über andere zu klettern, um vor was auch immer zu entkommen.

      »Na, wenn das nichts ist!« Lucas grinste voller Begeisterung, zeigte sein ganzes Gebiss wie ein Krokodil. Tobias verbarg sein Missfallen nicht, als er ihn anschaute. Menschen in Panik sollten niemandem Freude bereiten.

      »Komm, Toby, wir gehen dort hinüber.« Lucas schlug ihm auf den Arm, ohne auf seinen Blick einzugehen.

      »Warum möchten Sie das?«

      »Bist du wirklich so blöde? Um darüber zu berichten,