SURVIVAL INSTINCT. Kristal Stittle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kristal Stittle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350250
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nahm die Staffeleien – Staffel-Eier – der beiden und stellte sie ein gutes Stück weit auseinander. Nachdem sie jeweils einen neuen Papierbogen eingehängt hatte, setzte sie ihre grämliche Unterhaltung am Telefon fort.

      Alice malte jetzt neben Judy, worüber sie froh war. Die Mädchen plapperten, kicherten und porträtierten sich gegenseitig in grellen Farben. Judy war zwei Jahre älter als Alice, also spielten sie nie in der Schule miteinander und auch nur selten in der Kinderkrippe, doch da sie heute die einzigen Mädchen waren, mussten sie zusammenhalten. Das sollten Mädchen sowieso tun, um gegen die gemeinen Jungs anzukommen.

      Alice achtete wieder auf ihre Betreuerin am Telefon. »Mrs. Lou sieht traurig aus.«

      »Vielleicht ist was Schlimmes passiert?« Judy warf jetzt auch einen Blick hinüber.

      »Ich hör mal nach.« Alice legte ihren Pinsel nieder und ging zu ihr. »Mrs. Lou, was ist los?«

      »Oh! Alice, Liebes, ich hab dich gar nicht kommen sehen.« Mrs. Lou war leicht pikiert. »Nichts ist los.«

      »Warum guckst du dann so traurig?«, deutete Alice an.

      »Ich bin nicht traurig«, behauptete Mrs. Lou. »Ich mache mir Sorgen.«

      »Sorgen?«

      »Das ist, wie wenn man viel nachdenkt.«

      »Warum denkst du viel nach?«, bohrte das Kind weiter.

      »Heute gibt es eine Menge Durcheinander in der Stadt, also mache ich mir Sorgen um euch Kinder. Ich finde, ihr solltet daheim bei euren Eltern sein.«

      »Aber Daddy arbeitet«, erinnerte Alice. »Er ist auch nicht daheim. Shoes ist allein und kann nicht ans Telefon gehen.«

      »Ich versuche, ihn und die Mama oder den Papa der anderen zu erreichen. Hoffentlich dürfen sie sich freinehmen.«

      »Was für eine Menge Durcheinander meinst du?«

      »Menge was?«

      »Das Durcheinander, hast du doch gerade gesagt – was heißt das?«

      Mittlerweile waren auch die übrigen Kinder herübergekommen und schauten geschlossen zu Mrs. Lou auf. Sie hängte den Hörer ein und seufzte.

      »Kommt, wir setzen uns in die Kuschelecke.« Mrs. Lou führte sie hinüber in einen Winkel, der mit Teppichboden ausgelegt war. Normalerweise erzählte sie ihnen dort Geschichten, also mutete es seltsam an, sich mit den Farbkitteln einzufinden.

      »Sagst du uns, was das Durcheinander ist, bevor wir Märchenstunde machen?«, bat Alice.

      Mrs. Lou antwortete nicht. Die Kinder scharten sich um den Schaukelstuhl und nahmen im Schneidersitz Platz. Statt sich wie sonst in den Stuhl zu setzen, ließ sich die Betreuerin in ihrer Mitte nieder. Das wunderte Alice; wieso hätte jemand bereitwillig mit dem Boden vorliebgenommen, wo doch ein Stuhl – obendrein zum Schaukeln – frei war?

      »Ihr wisst doch bestimmt, dass es auch böse Menschen auf der Welt gibt, oder?«, hob Mrs. Lou an.

      Sie nickten. Natürlich hatte Alice schon von bösen Menschen gehört. In Erzählungen trugen sie schwarze Kleider, waren hässlich und entführten vorzugsweise die Braut des Helden. Fremde waren auch böse, solange ihr Daddy nicht das Gegenteil versicherte. Alice wusste: Niemals mit einem Fremden sprechen.

      »Also, jetzt im Moment sind böse Menschen in der Stadt unterwegs, die anderen wehtun.« Mrs. Lou wählte ihre Worte mit Bedacht.

      Judy hob einen Arm, redete aber schon los, bevor sie aufgerufen wurde: »Wir sind aber doch nicht im Zenturm.«

      »Zentrum«, berichtigte Mrs. Lou. »Ich meine jetzt auch die Vororte, wenn ich Stadt sage. Diese Menschen scheinen überall zu sein.«

      Das machte die Kinder unruhig und befangen. Alice' Daddy war auf der Arbeit; dass die bösen Menschen überall waren, bedeutete doch nicht etwa, dass es auch dort welche gab?

      »Ich konnte fast alle eure Mamas und Papas erreichen. Sie kommen euch abholen, so schnell sie können«, betonte die Betreuerin.

      Daraufhin fingen alle Kinder auf einmal an, sie mit Fragen über ihre Eltern zu löchern, wann sie da seien und so weiter. Mrs. Lou hob die Hände hoch, um sie zum Schweigen zu bringen.

      »Ich kann nicht genau sagen, wie lange es dauern wird, aber sie werden kommen.« Nachdem sie das gesagt hatte, schaute sie Alice an. Ihr Blick gefiel dem Mädchen nicht; es machte sich Sorgen deswegen. »Habt ihr Lust, mit dem Malen weiterzumachen?«

      Alle nickten, doch ihr voriger Enthusiasmus war verflogen. Die Kinder blieben still, während sie malten. Alice versuchte sich wieder an einem Schmetterling, trug aber mehr Blau auf als üblich, um das Insekt einzufärben. Für gewöhnlich waren Falter rot, gelb oder orange; dieser nun zeigte sogar ein wenig Schwarz. Es war eine Motte.

      Mrs. Lou kehrte nicht ans Telefon zurück, sondern ging zwischen den Kids umher und lobte sie einzeln für ihre Leistung. Bald war jedoch die Luft raus.

      »Was würdet ihr denn jetzt gerne tun?«, wollte sie wissen, nachdem sie ihre Kittel abgestreift, die Farben weggestellt und die Pinsel ausgewaschen hatten.

      Alice fand die Frage komisch, denn nach dem Malen gingen sie stets in den kleinen Park, der oben an der Straße lag. Sie entschied, genau das auch geltend zu machen: »Ich will in den Park.«

      »Au ja, in den Park«, pflichtete Paul bei. Nicht lange, und die fünf waren sich einig.

      »Tut mir leid, aber das geht heute nicht«, stellte Mrs. Lou klar.

      »Aber die Sonne scheint!«, wendete Lester ein. Nur wenn es regnete oder im Winter kalt war, besuchten sie den Park nicht.

      »Schon, aber denkt daran, dass Mama und Papa euch bald abholen«, rief ihn Mrs. Lou ins Gedächtnis. »Wenn wir in den Park gehen, finden sie euch nicht.«

      Das brachte die Kinder ins Grübeln; sie wogen den Wunsch, nach Hause zu fahren, gegen den Spaß ab, den sie im Park haben konnten.

      »Wie wär's stattdessen, wenn ihr weiterspielt, was ihr möchtet?«, schlug Mrs. Lou vor.

      Die Kinder kamen überein, dies sei annehmbar. Alice kehrte zu ihren Formklötzchen zurück, denn damit beschäftigte sie sich am liebsten. Mrs. Lou verschwand indes für mehrere Minuten im Hinterzimmer. Alice konnte hören, dass sie das Radio leise einschaltete, doch es schienen nur öde Nachrichten statt Musik zu kommen. Schließlich brach das gedämpfte Säuseln ab, und die Betreuerin trat wieder ein. Sie sah nicht fröhlicher aus als zuvor, sondern schien sich noch mehr Sorgen zu machen. Kurze Zeit später traf Frances' Mom ein. Sie klopfte höflich an der Tür und fragte, kaum dass Mrs. Lou öffnete, wo er sei.

      »Frances«, rief sie in den Saal. »Deine Mama ist hier.«

      Der Junge sprang von der Stelle auf, wo er gerade mit Lester und den Actionfiguren gespielt hatte. Er lief hinüber zu seiner Mom und schlang die Arme um ihre Beine. Die Frau streichelte ihm ein paarmal über den Kopf und richtete sich mit verstohlenen Worten an Mrs. Lou. Daraufhin brach sie mit ihrem Sohn auf, aber ohne sich zu verabschieden.

      ***

      Irgendwann danach klopfte es wieder. Die vier verbliebenen Kinder schauten erwartungsvoll auf, jedes in der Hoffnung, es seien seine Eltern. Als Mrs. Lou öffnete, stand Lesters Dad davor. Der Junge ging zu ihm und wurde auf den Arm genommen. Die zwei machten sich eilig aus dem Staub.

      Dann war es an der Zeit für ihren Imbiss. In der Regel waren die leichten Mahlzeiten schon vorbereitet, doch da heute so wenige Kinder anwesend waren, durften diese dabei mithelfen. Man einigte sich auf Milchshakes. Die drei begaben sich in die kleine Küchennische und stellten sich hinter der Arbeitsfläche auf. Das hatten sie noch nie gedurft, weshalb Alice aufgeregt war. Mrs. Lou hob sie einzeln hoch, um sie an unterschiedlichen Stellen auf die Theke zu hocken. Dann holte sie den Mixer und gab etwas Milch hinein.

      »Also, welche Eissorte wollt ihr für eure Shakes haben?« Sie öffnete den Gefrierschrank, damit die Kinder sehen konnten, welche Geschmacksrichtungen