»In Ordnung. Ich werde an dich denken, Gebieterin meines Herzens. Jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde, die du nicht bei mir bist.«
»Meine Tage werden dunkel sein ohne dich.« Sie schluchzte auf. Die Blicke der Umstehenden ignorierte sie. Warum hatte sie diesem Schwachsinn zugestimmt? Nur die Tatsache, dass sie sich vor den Brüdern völlig lächerlich machen würde, wenn sie einen von ihnen bitten würde, kurzfristig für Jul einzuspringen, hinderte sie daran, ihm das Bleiben zu befehlen.
»Gib auf dich acht. Wir werden über Skype telefonieren. Jeden Abend.«
Sie nickte. Ihre Tränen raubten ihr die Sicht. »Ich liebe dich.« Ein schneller Kuss. Sie zwang ihre Finger, seinen Pullover loszulassen, und nickte in die Richtung ihres Vaters. »Bitte pass auf Jul auf. Ich wünsche dir eine gute Reise.«
Ihr Vater umarmte sie, aber Eva blieb stocksteif stehen. Eine Geste mehr, und sie würde zusammenbrechen.
Nach einem letzten Nicken wandte sie sich ab. Die Tränen liefen nun ungehindert über ihr Gesicht. Nur keinen Blick auf Jul zu viel. Sie lief vorwärts, bis sie zur nächsten Ecke kam. Dahinter wäre sie in Sicherheit.
Dann drehte sie sich doch noch einmal um.
Jul reichte gerade der Dame hinter dem Schalter seine Bordkarte. Ihm schien der Abschied leichter zu fallen als Eva. Sie konnte ihm nicht böse sein. Seine Gedanken waren vermutlich bereits auf das vor ihm liegende Problem gerichtet.
Jul nahm seine Unterlagen entgegen. Er wartete, bis Anun eingecheckt hatte und entfernte sich mit Evas Vater ins Innere des Flughafens.
Eva hielt sich nicht für abergläubisch, aber beim Anblick von Jul, der den Eingangsbereich verließ, presste sich ihr Herz auf die Größe einer Erbse zusammen. Plötzlich legte sich Dunkelheit über ihre Seele, als befürchte sie einen drohenden Verlust.
Den Schrei, der in ihrem Kopf hallte, musste sie eingeschlossen halten. Die Security hätte sie für verrückt oder für eine Bedrohung gehalten. Man würde sie einsperren, sie in eine Irrenanstalt stecken. Als wäre ihr Gefängnis nicht in ihr selbst.
Sie drehte sich um und lief. Direkt in eine Welt, in der sie hoffentlich nur vorübergehend ohne Jul leben musste.
7. Kapitel
München, Juni 1272
Ein leises Quietschen begleitete das Schließen des Visiers. Trotz der Fütterung des Helms drückte das Metall fürchterlich. Die Luftlöcher konnten nicht verhindern, dass der Schweiß über seine Stirn in seine Augen floss. Der Sehschlitz engte seine Sicht ein. Dennoch liebte Jul diesen Augenblick des Turniers, kurz bevor die Duellanten am Tilt aufeinandertrafen.
Der Schild in seiner linken Hand war nur unmerklich leichter als die vier Meter lange Lanze in seiner Rechten. Die unhandliche Rüstung machte es ihm schwer, die Waffe auf seinen Gegner zu richten.
Er öffnete das Visier noch einmal, um einen besseren Blick auf das Publikum zu haben. Die Bauern und einfachen Arbeiter trugen knielange Röcke über enganliegenden Beinkleidern. Sogar von seinem Standpunkt aus erkannte Jul, dass der Stoff abgenutzt und löchrig war. Wer konnte sich schon eine zweite Garnitur leisten? Die Frauen lenkten in ihren Schleppkleidern die Augen auf die augenblicklich so modischen kleinen Brüste, die schmalen Taillen und die vorstehenden Bäuche. Für Jul alles andere als anziehend.
Von der Bühne aus winkte die Frau des Fürsten ihm mit einem neckischen Grinsen zu, während ihr Mann sich mit einem Kaufmann unterhielt, mit dessen Ehefrau Jul bereits nähere Bekanntschaft gemacht hatte. Die Frau des Fürsten zwinkerte ihm zu. Jul wusste, wenn Jagd auf ihn gemacht wurde. Doch er hatte eine Regel. Eine Regel, die nicht von Adolescentia Aeterna vorgeschrieben wurde. Frauen von wohlhabenden Männern durften erobert werden, aber niemals die Frau eines mächtigen Mannes. Dessen Rache könnte die Bruderschaft gefährden.
Mit leisem Bedauern neigte er den Kopf zu einem kurzen Gruß in Richtung der schönen Fürstin. Er hatte Wichtigeres zu tun.
Während das Pferd unter ihm nervös tänzelte, betrachtete Jul seinen Gegner durch den schmalen Sehschlitz. Eine schmächtige Gestalt. »Gegen diesen Jungen soll ich antreten?«, brummte Jul.
»Angeblich handelt es sich bei ihm um einen geübten Kämpfer«, meinte Manus und schloss das Visier wieder.
Jul schnaubte. »Es fällt mir schwer, das zu glauben.«
»Bist du sicher, dass du dieses Risiko eingehen willst?«, erkundigte sich Juls Bruder mit besorgter Stimme. »Immer und immer wieder?«
»Ich liebe die Herausforderung!«
»Aber die Gefahr! Du hast dich bereits zweimal am Knie verletzt.«
»Die Frauen kümmern sich gerne um Helden.« Jul nickte einem der weiblichen Gäste zu, die am Rande des Platzes standen. »Außerdem kenne ich meine Pflichten als Ritter. Ich habe das Schwert von Gott zur Verteidigung der heiligen Kirche erhalten.«
Manus schüttelte den Kopf. »Die hat bislang nichts für uns getan und wird es auch niemals tun. Du bist nur süchtig nach dem Herzrasen und dem Ruhm.«
»Du hast recht.« Jul grinste. »Und darum werde ich mich nun auf diesen Tjost konzentrieren.«
Der Rufer betrat den staubigen Platz, auf dem sich die Zweikämpfer in wenigen Augenblicken gegenüberstehen würden. Gleich würde Juls Name genannt werden. Nicht Juls sondern Justitian von Wolkensteins, erinnerte Jul sich. Er musste achtgeben. Wenn der Rufer Justitian von Wolkenstein erwähnte, dann war er an der Reihe. Das Merken des sich ständig ändernden Namens war manchmal eine ziemliche Herausforderung.
Sekunden später ritt Jul auf seinen Gegner zu, der sich auf der anderen Seite des Tilts befand. Er senkte die Lanze, um den ersten Punkt zu erringen. Jul zielte auf die linke Schulter des anderen Ritters, den der Rufer Gottfried von Auen genannt hatte.
Ein Treffer auf den Schild oder Helm würde reichen, um einen Punkt zu erhalten. Das vom Pferd Stoßen des Gegners wäre zwei Punkte wert, die Jul schneller zu den drei Punkten und damit dem Sieg bringen würde. Da Jul es allerdings mit einem jungen Gegner zu tun hatte, wollte er ihn nicht unnötig in Gefahr bringen.
Über seinen keuchenden Atem hinweg hörte Jul das Krachen, mit dem die Lanze auf den Schild seines Gegners traf. Juls Lanze brach an der Sollbruchstelle ab. Da Jul sich rechtzeitig zur Seite drehte, ging die Lanze von Gottfried von Auen ins Leere.
Das Publikum tobte. Klatschen und Rufe drang zu Jul. Er lachte glücklich.
Auf der anderen Seite reichte Manus als Knappe Jul eine neue Lanze, bevor Jul auf seinem Renner neuerlich Aufstellung nahm.
Dieses Mal zielte Jul auf den Helm seines Gegners, von dem die Lanze aber abglitt, als Gottfried von Auens Lanze Juls Oberkörper traf. Der unerwartete Schmerz ließ Jul das Gesicht verziehen.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte Manus sich, als Jul bei ihm anlangte.
»Nichts gebrochen.« Wut vernebelte Juls Gehirn. »Trotzdem werde ich die Angelegenheit in der nächsten Runde schnell beenden.«
Der Schweiß rann über sein Gesicht. Sein Herz klopfte gegen seine Rippen. Die Macht peitschte das Blut durch seine Adern. Wie lebendig er sich fühlte!
Er hatte Manus angelogen. Für ihn waren diese Ritterkämpfe Tests, denen er sich unterziehen musste. In den letzten Jahrhunderten war er abgestumpft. Ewige Jugend und die Liebeleien mit Frauen mochten eine willkommene Abwechslung darstellen, wenn man jung und unbedarft war. Inzwischen allerdings hatte er aufgehört, die Jahre seines Lebens und die Frauen zu zählen, mit denen er geschlafen hatte. Er war alt geworden. Älter als ein Mensch werden durfte. Die Zeit hatte ihn verändert. Jul brauchte das Adrenalin und den Kampf. Wenn er diese Turniere überlebte, wäre er wert, irgendwann der Älteste zu werden.
Jul umfasste die Lanze