»Kann ich Ihnen helfen, Frau Monden?«, ertönte Herrn Wiesers Stimme von draußen.
Es war ihr nicht möglich, ihm zu antworten. Sie schwitzte, als sich ihr gesamter Mageninhalt einen Weg nach draußen bahnte. Eine Minute später war der Spuk vorbei. »Ich bin gleich wieder bei Ihnen«, brachte sie hervor.
Eva spülte sich den Mund aus und wusch ihr Gesicht mit kaltem Wasser. Was war nur mit ihr los? Hatte sie mit dem Frühstück abgelaufene Milch zu sich genommen? Machte sich Juls Abwesenheit bemerkbar? Auf jeden Fall war ihr das Ganze furchtbar peinlich.
»Es tut mir leid. Ich habe mir wohl den Magen verdorben«, meinte sie, als sie sich vor die Tür wagte. Ihre Wangen brannten.
»Kein Problem«, versicherte Herr Wieser. Er kam gerade aus dem Schlafzimmer. »Sie sollten nach Hause fahren und sich erholen. Ich habe mich ohnehin bereits umgesehen. Die Wohnung ist perfekt. Sie können den Kaufvertrag aufsetzen.«
»Vielen Dank, Herr Wieser. Ich verspreche Ihnen, dass ich das nächste Mal die Besichtigung wieder anführen werde. Falls Sie meine Hilfe erneut in Anspruch nehmen möchten.«
Herr Wieser griff nach ihrem Ellbogen. »Sie schwanken ja schon wieder. Wie gesagt, ich habe Verständnis. Und jetzt schaffen wir Sie nach Hause.«
Eva fühlte sich tatsächlich so schwach, dass sie seine Hilfe annahm. Sie ließ sich von ihm in einem Taxi zum Immobilienbüro bringen. Bevor sie sich ins Bett legen konnte, musste sie einige Dinge regeln.
»Diese Übelkeit kam ziemlich abrupt für eine Magenverstimmung«, bemerkte Herr Wieser, kurz bevor das Taxi vor Evas Büro anhielt. »Meine Schwester lief auch einige Tage mitten im Gespräch würgend aus dem Raum, nachdem sie ihre Schwangerschaft bemerkt hatte.«
»Daran liegt es bei mir bestimmt nicht.« Das Taxi blieb in zweiter Spur stehen. Eva reichte dem Fahrer sein Geld. »Danke für Ihre Hilfe, Herr Wieser. Sie hören dann von mir.« Sie stieg aus und betrat das Gebäude.
Im Lift runzelte sie die Stirn. Was für eine seltsame Anmerkung von Herrn Wieser! Wie kam er bloß auf die absurde Idee, sie könnte schwanger sein? Eva nahm die Pille, und Jul konnte als Ältester keine Kinder zeugen.
Er hatte diese Position allerdings vor ungefähr zwei Monaten abgegeben. Und Evas Körper hatte sich im Laufe der letzten Wochen verändert. Sie hatte es auf den Bluttausch geschoben. Genauso hatte sie ignoriert, dass ihre Regel ausgeblieben war. Den Grund dafür hatte sie in der engen Verbindung mit der Macht, der Übernahme der Leitung der Bruderschaft, dem Stress auf Arbeit und der körperlichen Umstellung auf die Pille vermutet.
Aber was war, wenn diese seltsamen Anzeichen doch nichts mit der Macht zu tun hatten?
Sie schüttelte den Kopf.
Dennoch machte sie auf dem Nachhauseweg einen Umweg. Sie hatte Katherina zugesagt, morgen wieder fit zu sein. Wenn sich ihre Befürchtung bewahrheitete, würde ihr Magen sich außer in den Morgenstunden ohnehin nicht mehr bemerkbar machen.
Sie stand ziemlich ratlos in einem Drogeriemarkt vor dem Regal mit den Schwangerschaftstests. Sie kannte sich mit diesen Produkten nicht aus. Frühtests, Schwangerschaftstests mit Wochenanzeige, Packungen mit mehreren Tests, verschiedene Firmen … Schließlich schnappte sie einfach zwei.
Noch an der Kasse wurde ihr klar, dass sie den Test nicht alleine machen wollte. Sie wusste nicht, wie sie mit einem positiven Ergebnis umgehen sollte. Nach dem Verlassen des Ladens wählte sie Mimis Handynummer.
»Hallo, Eva! Wie schön, dass du mich von meinem Job ablenkst«, meldete sich Mimi. »Was kann ich für dich tun?«
»Das wird sich zeigen. Ich könnte im Augenblick Gesellschaft brauchen. Kannst du bei Juls Wohnung vorbeischauen?«
»Ich habe eigentlich erst in zwei Stunden Mittagspause. Wenn ich die vorverlegen kann, bin ich in einer halben Stunde bei dir.«
Keine Fragen, kein Zögern. Der Druck um Evas Brustkorb ließ nach. »Vielen Dank. Bis gleich.«
Eva fuhr in die Wohnung, setzte Tee auf und öffnete eine Packung Salzstangen. Mehr wollte sie ihrem Magen im Augenblick nicht zumuten. Während sie auf der Couch wartete, knabberte sie an einer Stange. Ihre Gedanken kreisten permanent um die Gegenstände in der Tüte vor ihr. Als es endlich an der Tür klingelte, zuckte sie zusammen.
Mimi umarmte Eva, noch bevor sie die Türschwelle überschritten hatte. »Was ist los, Süße? Du siehst total fertig aus.«
»Das bin ich auch. Aber komm erst einmal rein.« Eva führte Mimi ins Wohnzimmer.
»Hat die Schönberg einen Rückzieher gemacht? Wird das mit der Partnerschaft doch nichts?«, stellte Mimi Vermutungen an.
»Nein. Wir haben ein Angebot aufgesetzt, und ich war bereits bei der Bank. Es sieht gut aus. Vielleicht können wir den formellen Teil bald hinter uns bringen.«
Mit gerunzelter Stirn betrachtete Mimi nun den Tee und die Salzstangen. Sie wich einen Schritt von Eva zurück. »Bist du krank?«
»Das würde ich gerne mit dir gemeinsam klären.«
»Seit wann stehst du auf die vagen Antworten, auf die sich dein Vater spezialisiert hat?«
»Tut mir leid. Ich kann es einfach nicht laut aussprechen.« Eva griff nach der Tüte auf dem Couchtisch und reichte sie Mimi weiter. »Das sollte jedes weitere Wort überflüssig machen.«
Mimi holte eine der Schachteln hervor. Als sie die Beschriftung las, wurden ihre Augen groß. »Scheiße!«
»Das kannst du laut sagen. Wenn das stimmt … ganz mieses Timing.«
»Wäre irgendein anderer Zeitpunkt besser?«
Eva seufzte. »Keine Ahnung. Ich habe einfach noch nicht darüber nachgedacht. Jul und ich haben seit Weihnachten das erste Mal eine harmonische Beziehung geführt. Auch wenn ich mir Sorgen gemacht habe, war ich noch niemals in meinem Leben so glücklich. Aber wenn dieser Test positiv ausfallen sollte, würde das eine Komplikation bedeuten …« Sie schüttelte den Kopf.
»Wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass du schwanger sein könntest?«
Als sie das Wort aus dem Mund ihrer Freundin hörte, lief Eva ein Schauer über den Rücken. »Nachdem ich mich während einer Wohnungsbesichtigung an meinen Kunden klammern und mich dann übergeben musste, fiel mir auf, dass ich überfällig bin.«
»Habt ihr denn nicht aufgepasst?«
»Natürlich! Ich nehme die Pille, verdammt«, brauste Eva auf. »Ich kann eigentlich gar nicht … du weißt schon.«
»Dann klären wir das jetzt auf der Stelle.« Mimi griff nach Evas Hand und zog sie ins Badezimmer. Dort drückte sie Eva auf den Badewannenrand nieder. Mimi öffnete den Karton und holte einen Test heraus. »Du pinkelst auf das Teil vorne, und dann verraten uns die Striche die Wahrheit. Zwei bedeuten ein kleines Wunder, einer … du nennst es im Augenblick vermutlich Jackpot.«
Eva starrte das Plastikstäbchen in Mimis Hand an.
»Hoffentlich kriegst du das mit dem Pinkeln alleine hin. Ich habe nämlich keine Lust, dir dabei zuzusehen.«
»Schon gut. Ich schaffe das.«
Mimis Blick zeigte Mitleid, bevor sie die Tür des Badezimmers schloss.
Es war Eva nicht möglich, sich zu bewegen. Die Situation konnte nicht irrealer sein. Vor ein paar Monaten noch hatte sie befürchtet, die dunkle Seite des Mannes, den sie gerade kennengelernt hatte, könnte irgendwann zum Problem werden. So viel war in der Zwischenzeit passiert. Sie hatte gedacht, sie hätte alles Menschliche hinter sich gelassen. Und jetzt das.
Es war so verdammt unfair. Sie hatte nichts falsch gemacht. Sie war kein fünfzehnjähriges Gör, das sich über die Konsequenzen einer leidenschaftlichen Nacht nicht im Klaren war. Sie hatte Vorkehrungen getroffen!
Schließlich