Wie ein Stein im tiefen Wasser. Ian Malz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ian Malz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847627067
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von den Seitenwegen in den Verkehr auf der Hauptstraße einfädeln wollten. Vater erlaubte Phoenitius, sich mit auf den Wagen zu setzen, was dieser auch dankbar annahm. Mit herabbaumelnden Beinen saß er nun unmittelbar am Hinterteil des brav dahintrottenden Pferdes und genoss die Entspannung. Er hatte es doch gut getroffen mit seiner Herrschaft, dachte er sich, aber trotzdem würde er über kurz oder lang dieses Martyrium, das noch nicht einmal ein so schreckliches Los für ihn war wie für so viele andere Gefangene, verlassen. Er wollte zu seiner Familie zurück. Er wollte frei sein. Seine Kinder waren damals noch sehr klein, als er mit seinem Volk gegen die in Phoenizien eingefallenen Römer zog und solch eine herbe Niederlage hinnehmen musste. Die meisten Mitstreiter waren gestorben. Er hatte, wie einige andere mit ihm, da noch Glück, als man ihn gefangen nahm, um sie als Sklaven zu verkaufen. Viele Sklavenhändler feilschten um ihn. Er war groß, stark und wild. Die paar Kriegswunden schwächten ihn nicht so sehr, dass dadurch der Preis für ihn gefallen wäre. Wie leicht hätte man ihn aber auch abschieben oder töten können. Tracterian, seinem besten Freund, war es so geschehen. Vier Jahre war er mit ihm zusammen; sie kämpften gemeinsam gegen die Syrer und nun zuletzt gegen die Römer. Der Stärkste war Tracterian nie. Irgendwie hatte er es aber immer wieder geschafft, die Kriege fast unbehelligt zu überstehen. Als der Preis für ihn beim letzten Sklavenhändler zu tief gesunken war, überließ ihn der Sklavenjäger für ein paar Sesterzen der Gladiatorenschule. Schon beim ersten Kampf in der Arena wurde er getötet; sehr zur Belustigung der Zuschauer. Außer einem kurzen Dolch und einem viel zu kleinen Schild, der gerade einmal die Größe eines Tellers hatte, besaß er nichts. Gegen den ausgebildeten Gladiator mit Netz und Dreizack und voller Rüstung hatte er nichts entgegenzusetzen - nur sein Leben. „Ich habe bis hierin mein Leben bewahrt und werde es auch noch weiter tun“, dachte Ursulum, wie er mit richtigem Namen hieß. „Phoenitius“ hieß er nur in dieser Familie, stammte er doch aus Phoenizien und war über das große Meer hierher nach Italien gekommen, nein, gebracht worden. Doch, ihm ging es bei diesen Herrschaften gut. Und seine Familie würde er wiedersehen. Das versprach er sich immer wieder.

      Interessiert schaute sich Quintus das Treiben um sich herum an. Wagen, beladen mit Erzeugnisse der Landwirtschaft, mit blökenden Schafen und meckernden Ziegen zogen in Richtung Stadt. Manchmal wurden sie von zweirädrigen Streitwagen, die von zwei Pferden - und einmal waren es sogar vier - gezogen wurden, in schneller Fahrt überholt. Dann schlug Quintus´ Herz schneller. Seine glänzenden Augen verfolgten die Gespanne, bis sie hinter einer Anhöhe verschwanden und nur noch Staubwolken zurückblieben. Sein Vater war von der Seitenwand des Wagens herunter gesunken und schlief nun tief und fest. Auf dem Wagen war wenig Platz, so dass er seine Beine anwinkeln musste, was ihn aber nicht daran hinderte, ruhig vor sich hin zu dösen. Ruhig nicht gerade. Ein leises Schnarchen war zu hören, trotz des Geräusches, das die Räder auf dem steinernen Boden verursachten. Rechts und links der Via Appia, die nun, ähnlich wie der Tiber zur Mündung hin, immer breiter wurde, standen in unregelmäßigen Abständen Baumgruppen. Immer mehr Ansiedlungen waren zu erkennen, die immer näher an die Hauptstraße heran reichten. „Daher auch auf einmal die vielen Menschen auf der Straße“, dachte Quintus bei sich. In der Stadt zu wohnen konnten sich die wenigsten leisten. Außerdem war auch schon fast alles mit großen Gebäuden zugebaut. Hier draußen war es doch fast noch so wie auf dem Lande und trotzdem war man nicht weit vom Ort vieler Geschehnisse entfernt. Wer gut zu Fuß war, konnte von hier aus schon an einem halben Tag Rom erreichen und wieder zurück nach Hause kommen. Je näher sie an Rom gelangten, umso eleganter wurde die Straße. Nun erhoben sich zu beiden Seiten Marmorsäulen. Zwischendurch kleinere Tempel, die irgendein reicher Geschäftsmann einmal aus Dankbarkeit Roms gegenüber erbauen ließ. Den Grund für diese Bauwerke konnte man meistens im Inneren erfahren. Doch um sich diese mitunter sehr protzigen Gebäude anzusehen, musste man anhalten. Dafür reichte die Zeit aber nicht. Das Geschäft wartete. Und außerdem: Was ging einen die Prunksucht irgendwelcher Kaufleute oder reichen Bürger an?

      Am Geruch, der nun in der Luft lag, konnte man feststellen, dass die Stadt nicht mehr fern war. Zwischen einigen Hügeln vor sich konnte Quintus schon ab und zu größere Gebäude erkennen. Jetzt, nach der letzten Biegung, lag sie da! Die ewige Stadt. Die Stadt, von der aus die Welt beherrscht wurde. Die Stadt der Macht. Rom. Hier würde er eines Tages triumphierend einmarschieren. Quintus kannte die Triumphmärsche nur aus Erzählungen seines Vaters. Es musste schon etwas Erhabenes sein, wenn tausende Menschen den siegreichen Soldaten mit ihren Anführern zujubelten. Die Häuser zu beiden Seiten der Via Sacra, die geradewegs zum Capitol führte, wären dann geschmückt mit Lorbeer und Zweigen der Palmen und Pinien. Gesäumt würde der Zug der tapferen Soldaten von einer Ehrenlegion, die, wenn der Zug an ihnen vorübermarschierte, salutierten. Die Menschenmassen würden jubelten. Und am Ende der Prachtstraße führte die große Treppe hinauf zum Capitol, eingefasst von überlebensgroßen Götterfiguren aus Marmor. „Dies werde ich einmal erleben. Und wenn ich es erlebe, dann nicht als alter Mann! Rom werde ich dienen. Rom werde ich mein Leben weihen. Für Rom werde ich, wenn es denn die Götter so wollen, auch sterben. Aber jetzt noch nicht! Einmal werde ich vor dem dankbaren Kaiser stehen. Bestimmt!“ Das Stimmengewirr, das Gewieher, das Blöken und Gackern wurde, je näher sie zur Stadt kamen, immer lauter und aufgeregter und hektischer. Vater öffnete, noch leicht benommen, die Augen. Als er bemerkte, dass sie Rom erreicht hatten, richtete er sich auf und war hell wach. Leicht verlegen und doch emsig, reinigte er seinen Umhang vom Staub der Straße und hockte sich wieder auf den Rand des Wagens. Er schaute hinüber zu Quintus, der den Blick lächelnd entgegennahm. Phoenitius war schon ein ganzes Stück vor Erreichen der Stadtgrenze vom Gespann herabgesprungen und führte nun das Pferd wieder am Halfter durch die Straßen. Er kannte den Weg zum Händler. Der nahm meistens den größten Teil der Ware ab, um sie, umgefüllt in kleinere Gefäße, weiterzuverkaufen. Heute wollte Vater aber noch einen anderen Kunden treffen, der ebenfalls Interesse an seinem Öl hatte. Am Ende einer langen Straße, in der die Häuser dicht an dicht standen, lag das Haus des Marcus Caelius. Wie Quintus später erfuhr, war dies nur so eine Art Geschäftshaus, in dem seine Waren - neben Öl handelte er auch noch mit Stoffen, Schmuck und Perücken, besonders blonden, teuren Perücken - aufbewahrt wurde und seine Familie während der geschäftigen Zeit zu wohnen pflegte. Draußen, vor der Stadt, besaß Marcus Caelius noch ein Anwesen mit Blick auf den Tiber. Hierin zog er sich des Öfteren zurück, um sich von der Arbeit zu erholen oder aber um sich mit Kunden zu treffen. Heute aber wartete er schon auf Livius und seinem Sohn Quintus. Freudig winkte er schon von weitem dem Gespann zu. Ebenso freundlich winkte der Vater zurück. Auch Quintus hob zum Gruß die Hand. Vor dem Geschäftshaus angekommen, sprangen beide vom Wagen. Quintus mit einem leichten Satz über die Außenwand, Vater sprang vorne, eine Hand auf die Schulter des Phoenitius gestützt, herunter. Leicht stöhnend und mit einem simulierten, schmerzverzerrten Blick kam er unten an. Die Männer lachten sich zu und spotteten über die alten, spröden Knochen. Caelius war auch schon ein grauhaariger Mann mit einem für sein Alter doch noch dichtem Haar. Seine Haut war gebräunt und das Gesicht glatt rasiert. Der Umhang war einfarbig und hing ihm locker über die Schultern, wobei er das längere Ende elegant über seinen rechten Arm hängen ließ. Vater hatte nur ein Gewand an, das er mit einem Gürtel zusammenhielt. „Vater sieht irgendwie bescheidener aus“, dachte Quintus. Doch wehe, wenn es ums Verhandeln ging! Marcus Caelius legte die Hand auf Vaters Schulter und deutete ihm an, ins Haus gehen zu wollen. Dem Sklaven zeigte er zuvor noch die Stelle, an der er die Ölgefäße abladen solle. Quintus folgte der Einladung des Gastgebers und trottete in einem geringen Abstand hinter diesem und seinem Vater her ins kühle Haus. Draußen war es doch nun schon recht warm geworden. Nicht so warm wie im Sommer, aber die Sonne schien vom hellblauen Himmel auf die Stadt und erwärmte die Dächer der Häuser. Diese wiederum gaben sie an die Straßen und Gassen weiter, wo die Wärme sich dann ausbreitete und dumpf hängen blieb. Sie kamen in einen großen Raum, der mit Krügen und Kisten gefüllt war. Auf Tischen breiteten einige Frauen Stoffe aus und sortierten sie nach Farbe und Material. Männer wuchteten Kisten und Körbe auf einen zweirädrigen Wagen, der von einem Mann an zwei Stangen in Waage gehalten wurde. Zu Dritt schoben und zogen sie den Karren in einen benachbarten Raum, der, so konnte Quintus sehen, als er neugierig dem Gespann hinterher ging, länger und höher war als der vordere. Hier wurden die Waren gelagert, bis sie dann auf Märkten angeboten oder an Händler verkauft wurden. Phoenitius rief ihm hinterher, dass er zu seinem Vater kommen solle, der mit Marcus in das obere Stockwerk gegangen war. Quintus nahm gleich drei Stufen auf einmal,