Wie ein Stein im tiefen Wasser. Ian Malz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ian Malz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847627067
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des Alten griffen an seinen Hals. Nun erst begriff Wulfila, was er dort gesehen hatte! Keinen Blitz! Kein Zeichen der Götter! Einen Pfeil! Einen Feuerpfeil! Senkrecht, so wie der Druide dem Licht entgegen geschaut hatte, fiel er rücklings um und das Feuer an seinem Hinterkopf erlosch sofort. Ungläubig verlangsamte Wulfila seine Schritte und tastete sich auf Händen und Füßen auf den Alten zu. Wulfilas Bewegungen wurden immer langsamer, den Blick immer noch auf den am Boden Liegenden gerichtet. Nun bemerkte er das leichte Vibrieren unter seinen Händen in dem abendfeuchten Gras. Er hielt wiederum inne und schaute zu seinen gespreizten, ins Gras greifenden Händen hinunter, so, als wolle er durch sie hindurchschauen, um zu sehen, wo dieses Zittern herkam. Er richtete sich zaghaft auf und machte noch ein paar Schritte auf den leblosen Körper zu. Da begann die Kuppe des Hügels zu leben! Wulfila bemerkte, wie dessen eben noch gerade Kante sich auf und ab zu bewegen schien. Dieses Auf und Ab wurde in seinen Bewegungen immer stärker und stärker, bis es die Form von menschlichen Wesen annahm, die auf Pferden saßen. Wulfila merkte, wie der Herzschlag das Blut in seinem Hals pulsieren ließ. Der schnelle Aufstieg zum Hügel hatte Wulfila kurzatmig werden und sein Herz schneller schlagen lassen. Dieser Anblick jedoch schien um seinen Hals eine eiserne Faust zu schlingen. Als hätte er einen Guss Wasser abbekommen, lief es ihm dann plötzlich eiskalt den Rücken hinunter, um dann wieder heiß in ihm aufzusteigen. Wie oft hatte er sich im Spiel mit den Erzfeinden gekämpft und immer glorreich gesiegt. Wie oft hatten er und sein Freund die Konfrontation mit den Römern herbeigesehnt, um ihnen den Garaus zu machen. Nun kamen sie da vor ihm den Hügel hinauf. Wulfila spürte die Angst in sich aufsteigen. Seine Gesichtsmuskeln begannen zu zucken, und Tränen quollen aus seinen Augen. Eine unbeschreibliche Angst! Diese Römer sahen so anders aus, als in den Erzählungen der Sippenmitglieder, die schon einmal diesen Soldaten gegenüberstanden hatten. Mächtigkeit strahlten sie aus. Mächtigkeit und Brutalität! Wulfila zitterte. Es wurden immer mehr und mehr. Der ganze Hügelkamm stand nun schon voll mit Reitern in glänzenden Panzern, die im fahlen Mondlicht das Unheilvolle noch unterstrichen. Ein Unheil kommt auf uns zu! Langsam drehte sich Wulfila um. Erst machte er ein paar zögerliche Schritte in Richtung Dorf. Dann wurden sie immer schneller. Schließlich lief, rannte Wulfila um sein Leben. Angst! Römer! Was nun!? Seine Kehle war wie zugeschnürt. Im Lauf wandte er seinen Blick nach hinten. Aber die Soldaten schienen ihn nicht bemerkt zu haben. Er musste sein Dorf warnen! Stolpernd und über kleinere Gesteinsbrocken springend, stürzte er auf sein Dorf zu. „Ma..., Mannen!“ schrie er - wollte er schreien! Seine Kehle war immer noch wie zugeschnürt. Er blieb stehen und schaute noch einmal in Richtung Kuppe. Wulfila spürte, wie die Kälte seinen Rücken hinauf kroch und seine Nackenhaare aufrichtete. Er wandte sich wieder seinem Dorf zu. „Mannen, Mannen!“ schrie er nun endlich, fast atemlos. Einige Hunde in den Hütten hörten ihn zuerst und antworteten ihm bellend. Als er sich dem Dorf näherte, sah er einige Gestalten aus den Hütten kommen, sah, dass diese Gestalten begannen, hektisch hin und her zu laufen, hörte Frauengeschrei und das Brüllen einiger Männer. Nach und nach kamen immer mehr Dorfbewohner aus ihren Hütten und deuteten aufgeregt in die Richtung, aus der Wulfila angelaufen kam. Ob sie Ihn sahen? Das Unheil, das sich dort oben am Kamm des Hügels abzeichnete, sahen sie auf jeden Fall. Viele Männer liefen zurück in die Hütten, kamen, bewaffnet mit Schwertern und Stangen, wieder heraus, schoben Frauen und verschlafene Kinder vor sich her und befahlen ihnen an, sich schnell in den benachbarten Wald zu retten. Dorthin, wo sie schon vor langer Zeit Zufluchtstätten errichtet hatten. Nun, nachdem Wulfila immer näher zum Dorfe kam, hörte er auch schon die befehlsmäßigen Zurufe der Männer, vermischt mit Kinderweinen und dem aufgeregten Schreien und Rufen der Mütter. Wulfila hatte jetzt fast den Versammlungsplatz erreicht. Sein Blick ging in Richtung seiner Hütte in der Hoffnung, auch dort seine Familie bei den Fluchtvorbereitungen zu sehen. Überall herrschte nun schon hektisches Treiben. Doch vor seinem Haus war es still. Keuchend erreichte er den Eingang und hielt sich mit beiden Armen am Türpfosten fest, so, als wolle er die Hütte umwerfen. Schwer ging sein Atem. Er blickte noch einmal über seine Schulter. Zwischen den Häusern hindurch sah er das Heer der Soldaten, einer Schlammlawine gleich, sich auf das Dorf zuwälzen. Wo war seine Familie? Wulfila betrat die Hütte und fand Mutter, Großmutter und seine Schwester, die beim ersten Anzeichen der drohenden Gefahr zurück gelaufen war, zusammengekauert in der Ecke beim Vater an der Liege. Er schlief tief und fest. Dieser Schlaf sollte ihm Genesung bringen! Und nun? So hilflos! „Ihr müsst in den Wald, euch verstecken“, keuchte Wulfila seine Familie an. „Kommt, wir müssen in den Wald, schnell! Die Römer!“ Mutter schüttelte nur den Kopf und sah Vater an. Helmgard schaute zitternd und fragend zu ihr auf und Großmutter stierte nur auf das Häuflein Asche, dass noch in der Feuerstelle vor sich hin qualmte. Wulfila griff die Mutter an den Armen und versuchte sie hochzuheben. Sie machte sich aber schwer und blieb störrisch am Boden sitzen. „Fatar, Fatar!“ Wulfila rüttelte den kranken Vater, der aber nur ein leises Röcheln hervorbrachte. Erschreckt blickte Wulfila zur Öffnung ihrer Hütte. Hörte er schon Waffengerassel zwischen den Stimmen der aufgeregten Dorfbewohner? „Sie kommen, sie kommen!“ Die Angst in ihm verstärkte sich. Seine Kehle wurde trocken und Tränen quollen aus seinen Augen. Er zitterte am ganzen Körper. „In den Wald, ihr müsst in den Wald!“ Endlich ließ die starre Haltung der Mutter nach und sie erhob sich, von Wulfila gestützt, schwerfällig. Helmgard hing an ihrem Rockzipfel und umschlang, fest an sie angelehnt, ihre Beine. Nur Großmutter stierte immer noch auf den Aschehaufen. Wulfila und seine Mutter versuchten, dem Vater von seinem Krankenbett aufzuhelfen. Das Geschrei der Frauen und Kinder draußen vor der Hütte wurde immer lauter. Die Pferdehufe der nahenden Reiterei unterschieden sich nun schon deutlich von den Angstschreien und dem Getrampel auf dem Versammlungsplatz. Immer lauter wurde das Kampfesgebrüll des anrückenden Fußvolkes. Der Lautstärke nach konnten sie noch nicht das Dorf erreicht haben. Die Reiterei war viel schneller. Vermischt mit dem Gebrüll drang an Wulfilas Ohren das gleichmäßige Dröhnen immer lauter werdender Trommeln, das sich, in rhythmischen Abständen, mit schrillen Tönen aus Blasinstrumenten verband. Aus dem friedlichen Abend wurde eine grauenvolle, tödliche Nacht.

      Mit Müh und Not brachten sie den Vater bis vor die Türe. Ab und zu öffnete dieser die Augen, um aus verschleiertem und ungläubigem Blick erst sein Weib, dann Wulfila und dann wieder in die Nacht zu schauen, um dann wieder, in den Knien einsackend, den Halt zu verlieren.

      Die ersten Reiter preschten schon durch das Dorf und über den Versammlungsplatz hinweg. Im Schutze des Hausschattens versuchten sie, den Vater hinter die Hütte zu bringen. Eng an sie gekauert hing Helmgard an Mutters Seite. „Großmutter!“ dachte Wulfila, „wo ist Großmutter!?“ Unsanft drückte Wulfila den Vater gegen die Hauswand, so dass Mutter ihn alleine halten musste und lief die paar Schritte zurück zum Eingang. Großmutter lag zusammengekauert, so, als wolle sie die Feuerstelle schützen, um das kleine Häuflein Asche herum und summte, ja, gurrte eine für ihn unverständliche Melodie. Wulfila war mit ein paar wenigen Sprüngen bei ihr, um ihr aufzuhelfen. Doch sie schüttelte immer wieder den Kopf und gab unverständliche Geräusche von sich. Während Wulfila mit aller Mühe versuchte, sie vom Boden aufzuheben, hörte er von draußen einen gellenden Schrei. „Mutter!“ ging es ihm durch den Kopf. Fast unsanft ließ er die Alte wieder in den Staub fallen und rannte zur Türöffnung. Neben dem Pfosten stand sein Holzschwert. Instinktiv griff er danach, sich wohl bewusst, dass er damit gegen die schwer bewaffneten Soldaten, die mit ihm bestimmt kein Spiel spielen würden, keinerlei Chance hätte und stürmte hinaus. In der Dunkelheit sah er nur die unheimliche, drohende Gestalt eines Reiters, fast so hoch wie ihr Haus, der sich dann nach etwas hinab beugte. Wulfila konnte den Vater am Boden wie einen Schatten liegen sehen. Mutter kauerte neben ihm und hielt sich mit beiden Händen den Kopf. Eiskalt lief es Wulfila den Rücken herunter, als er sah, wie dieser Soldat, als er sich wieder aufrichtete, an den Haaren seine Schwester zu sich auf Pferd zog, die, den Zug an ihren Haaren zu lindern, sich krampfhaft selber daran festhielt. So hatte Wulfila seine Schwester noch nie schreien hören. Schreie aus Schmerz und Todesangst. Wulfila stand wie versteinert in der Türöffnung und sah den verschwitzten, von einem Helm eingezwängten Kopf eines römischen Soldaten, über dessen Gesicht ein triumphales Grinsen ging, als er sich, seinem Pferd die Sporen gebend, davon zu reiten versuchte. Voller Wut rannte Wulfila hinterher. Seine Schwester lag bäuchlings vor dem Soldaten über dem Pferd und schrie. Für einen kurzen Augenblick glaubte Wulfila, ihrem Blick begegnet zu sein. Angsterfüllte, um Hilfe flehende Augen hatten ihn angeschaut. Genervt vom Geschrei schlug der Soldat