Kapitel III
„Quintus!“ Wie durch einen Schleier sah er seinen Vater an der Hafenmauer stehen und winken. Mit stolzgeschwellter Brust, den Helm mit der roten Haube unter dem rechten Arm, mit der anderen Hand sich an der Takelage festhaltend, stand Quintus an der Reling „seines“ Schiffes. Der Hafen war voll von winkenden Menschen und salutierenden Soldaten. Und zwischendrin sein Vater. Wo war Mutter? War sie nicht auch stolz auf ihren Sohn? Wer stand da bei Vater? Ach ja, das war Julia, die Tochter des Töpfers und daneben die Geschäftsleute, die beim Vater das Öl kauften. „Quintus!“. Sein Vater rief ihm zu. Nun musste Vater es einsehen, dass sein Platz auf dem Schiff war und nicht im Olivenhain. Das würde ein Willkommen sein! Fast gefällig lächelnd schaute er zurück über sein Boot. Seine Soldaten! „Ja, esst nur Oliven! Oliven? Was machen meine Soldaten? Wir laufen gleich in den Hafen ein und ihr sitzt da herum, nur mit euren Unterkleidern bekleidet und esst Oliven!?“ „Quintus!“. Seines Vaters Stimme wurde nun lauter und ungeduldiger. Er schaute zu der Menschenmenge am Kai hinüber, die nur noch einen Steinwurf von ihm entfernt war. Nun sah er das Gesicht seines Vaters deutlicher. Aber er konnte darin keinen Stolz erkennen. Die Augen waren fast zugekniffen. Langsam kam die Hand unter seiner Toga hervor. Nun würde er ihm gleich zuwinken. Sicher blendete die Sonne - darum der finstere Blick! Die Hand des Vaters erhob sich, um weit auszuholen. Mit Wucht schnellte der Arm nach vorne und aus der sich nun öffnenden Hand flogen ihm Oliven entgegen. Starr vor Entsetzen wollte Quintus ausweichen, doch die Beine machten nicht mit. Nur ganz langsam bewegen konnte er sich. Die Oliven trafen ihn mit voller Wucht am Panzer. Es rasselte, als würde Regen auf das Hausdach niedergehen. Nun bemerkte Quintus, dass die Menschenmenge am Hafen gar nicht zu ihm hinüberschaute, sondern mit auffordernden Blicken zum Vater. Auch die Soldaten salutierten dem Vater zu. „Ich komme doch! Ich bin zur See gefahren und habe den Namen Roms in die Welt gebracht und dort, wo man ihn schon kannte, haben wir ihn noch gefestigt.“ Immer wieder prasselten Oliven auf ihn nieder. Die Menschenmassen fingen an, bei jedem Treffer laut zu klatschen und zu jubeln, so wie sie es in den Arenen machten, wenn die Gladiatoren aufeinander zustürzten und sich schlugen! Wie gerne hätte er sich hinter dem Mast versteckt. Schrecklich peinlich war ihm dieser Empfang. „Quintus! Wenn du jetzt nicht aufstehst, dann werde ich alleine nach Rom fahren!“. Vaters Mund bewegte sich nicht. Er merkte nur eine Hand auf seinem Rücken, die ihn fast zärtlich berührte und dabei schüttelte. Trotzdem drehte er sich ruckhaft um und sah in das lächelnde Gesicht seines Vaters. „Ich bin in meinem Zimmer! Ich habe geträumt! Keine Oliven! Keine lachenden Menschen!“ Er merkte noch, wie sein Atem langsam ruhiger wurde. Hatte er sich im Schlaf so aufgeregt? Ach, ja! Da war ein Schiff - Menschen - Soldaten und Oliven! Oliven? Was hatte das eine mir dem anderen zu tun? Schiffe? Oliven? Langsam wurde er wacher. Der Vater hatte sich schon wieder aufgerichtet und wandte sich der Türe zu. Nun verließ ihn auch immer mehr der Gedanke an den Traum. Musste wohl ein Alptraum gewesen sein! Worum ging es denn noch einmal? „Na, weiß nicht!“ Erleichtert sprang Quintus von seinem Lager hoch und räkelte sich genüsslich. „Was hab ich geträumt? Vorbei!“ Sein Vater drehte sich in der Türöffnung um und meinte, dass er sich doch beeilen solle. Seine Geschäfte in Rom erwarteten ihn und es würde Zeit, dass Quintus auch die Kunden in der Stadt persönlich kennen lerne. „Warum hat er mit Oliven geworfen?“ ging es Quintus für einen Moment noch einmal durchs Gehirn. Doch kaltes Wasser über den Kopf und den nach vorne gebeugten Oberkörper ließen die restlichen Erinnerungen an seinen Traum schnell vergessen. Mutter stand in der Nähe des Atriums und hatte ein langes Gewand über dem Arm. Sie sprach noch mit einer Sklavin und gab ihr Anordnungen. Lächelnd kam sie dann auf ihren Sohn zu, warf ihm das Tuch über die Schulter und schlang es ihm um den Leib. Liebevoll gab sie ihm einen Kuss auf die Wange und meinte, dass er heute wohl besonders gut geschlafen habe. Sehe er doch so vergnüglich und frisch aus! Nun merkte Quintus, dass es noch sehr früh am Tage war. Langsam wurde der goldfarbene Streifen am Dach des dem Atrium gegenüberliegenden Gebäudes, immer breiter. Die Sonnenscheibe musste wohl noch hinter dem Hügel des Olivenhains stehen. Quintus schaute zum Himmel empor. Leichte Nebelschleier verflüchtigten sich nach und nach. Dies würde bestimmt wieder ein schöner Tag werden. Auf Rom freute er sich sehr. Das letzte Mal, dass ihn sein Vater zu seinen Geschäftsleuten mitgenommen hatte, war schon lange her. Da lebte noch sein Bruder. Der musste dann auf Quintus aufpassen, wenn Vater seine Geschäfte tätigte. Und nun war sein Bruder tot. Quintus sollte den Betrieb übernehmen. Darum sollte er mit nach Rom. Aber in Rom gab es noch vieles anderes zu sehen! Zum Beispiel: Soldaten!
Der Sklave Phoenitius, ein großgewachsener Mann mit dunklen und freundlich blinzelnden Augen, hatte schon den zweirädrigen Karren mit Ölfässern der verschiedensten Größen und Inhalte beladen. Alle Sklaven im Hause schauten, trotz ihrer Gefangenschaft und mühseliger Arbeit, recht zufrieden aus, waren doch Herrin und Herr ihnen gegenüber immer gut und gerecht. Nun stand Phoenitius neben dem Pferd und tätschelte liebevoll dessen breiten Hals. Er deutete eine Verbeugung an, als der Hausherr mit Quintus zum Wagen kam und sich auf den Seitenklappen niederließ. Phoenitius erwartete vom Vater den Befehl, das Fuhrwerk in Gang zu setzen. „Noch bevor die Sonne untergegangen ist, werden wir wieder zurück sein“ rief Livius seiner Frau Livia zu, um dann dem Sklaven zuzunicken. Der griff an den Halfter des Pferdes, das sich ob der ungewohnten Last tänzelnd in Bewegung setzte. Phoenitius ruckte kurz am Halfter, redete dem Tier besänftigend zu, worauf dieses, wieder beruhigt, mit seiner schweren Last dem Ausgangstor zustrebte. Nachdem sie das Grundstück verlassen hatten, lenkte er das Gespann in Richtung der Anhöhe, die hinter den Olivenhainen verlief. Dort führte ein mit zerbrochenen und festgestampften Tonziegeln befestigter Weg durch den Wald von Olivenbäumen. In Reih und Glied standen diese fruchtbringenden, knorrigen Gewächse. Zwischen den Baumreihen sahen die Reisenden Arbeiter, die mit dem Aufhacken des Bodens beschäftigt waren. Manche winkten freundlich zu ihrem Herren und seinem Sohn. Andere, die noch nicht so lange im Dienst des Olivenbauern standen, beäugten scheu das vorbeifahrende Fuhrwerk. Aufseher, die eben noch gemütlich an einem Baum gelehnt hatten, sprangen auf, um Beschäftigung vorzutäuschen. Doch als der Wagen an der nächsten Wegbiegung aus ihrem Blickfeld verschwunden war, ließen sie sich schnell wieder bequem nieder. Nachdem das Gespann den noch im Schatten liegenden Hain verlassen hatte, wurde es auf der Höhe doch merklich wärmer. Vor ihnen tat sich in Richtung Osten eine mit Piniengruppen bewachsene, leicht hügelige Landschaft auf, durch die sich der Tiber in sanften Windungen schlängelte. Selten war Quintus bisher auf dieser Anhöhe gewesen; deshalb genoss er jetzt den Blick in Richtung Tiber, dem Fluss, an dem Rom erbaut wurde und der in der Nähe seines Heimatortes in das Meer mündete. Kaum etwas hatte Quintus bis jetzt auf diese Anhöhe locken können, war doch sein Platz unten am Hafen. Ihm war eigentlich nie so richtig klar geworden, dass auf diesem sich zur Mündung hin immer mehr verbreiternden Fluss auch Schiffe fuhren. Nicht ganz so große, wie er sie kannte, aber doch immerhin so groß, dass doch auf einigen von ihnen ganze Rinder- und Schafherden zum Transport Platz fanden oder aber auch Reisende, die sich den Luxus gönnten, mit dem Schiff von Rom zum Meer zu fahren oder wieder zurück. In der Mitte des Stromes sah Quintus ein paar kleinere Schifferboote dümpeln, auf denen einige Fischer die Netze einzogen.
Das Fuhrwerk mit dem Olivenhändler, seinem Sohn und dem Sklaven Phoenitius, dessen Gang neben dem Fuhrwerk sich auf der nun langsam abfallenden Straße in einen leichten Trab gewandelt hatte, näherte sich der Via Appia, der großen Straße, die, fast schnurgerade, aus dem Norden kommend über Rom in Richtung Süden verlief. Dies war nun schon eine mit großen Steinplatten und seitlichen Abflussgräben versehene, breite Straße, auf der das Reisen mehr Freude machte, als auf den unbefestigten Wegen, die zu den einzelnen Dörfern führten. In dem wassergefüllten Graben längs der Straße stelzten trotz der immer noch nicht übermäßig warmen Tageszeit ein paar Kinder herum. Frauen standen beisammen und unterhielten sich angeregt, neben sich ihre Körbe mit der noch feuchten Wäsche, die sie zuvor