Wie ein Stein im tiefen Wasser. Ian Malz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ian Malz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847627067
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„Wer macht das?“ fragte er den Vater. „Wo warst du schon wieder mit deinen Gedanken? Herodes in Judäa. Der fürchtet um seinen Posten. Man hat ihm erzählt, dass ein neuer König geboren sei. Da ließ er einfach kurzerhand alle neugeborenen Kinder töten. Der ist sowieso nicht ganz klar im Kopf, dieser Herodes!“. “Wann war das?“ wollte Quintus wissen. „Das muss so vor der letzten Ernte gewesen sein. Einige Seeleute, die aus dem Osten kamen, haben es berichtet. - Sei´s drum, wir haben hier auch unsere Probleme. Varus ist aus Syrien zurück und soll nach Gallien und Germanien weiter. Augustus will ihn als Nachfolger des Tiberius einsetzen.“

      „Mein lieber Publius“ wandte sich der Vater dann an seinem Nachbarn. „So gerne ich dir auch helfen würde, aber das Land am Fluss unten wirst du nicht bekommen! Ich werde es nicht verkaufen. Mein Sohn wird es brauchen und bestellen. Später, wenn ich einmal nicht mehr bin, kann er damit tun und lassen was er will!“ fügte er an. Publius Spurius brauchte das Stückchen Land unbedingt, um einen direkten Zugang zum Fluss zu bekommen, damit er seine Waren schneller transportieren konnte. Publius gehörte der Grund auf der anderen Seite des Waldes, der den seinen von dem des Vaters trennte. So oft hatte er darum gebettelt und viel Gold geboten, doch Livius willigte nie ein. Dass verärgerte Publius zwar; trotzdem hatte er die Einladung des Nachbarn angenommen und war zu diesem Treffen gekommen. Nun zuckte er leicht verlegen die Schultern, was soviel bedeutet, als ob da wohl nichts mehr zu machen sei.

      Dann war das Essen beendet und hatte allen gemundet.

      Mit der Zeit wurde es im Atrium kühler und man begab sich in den Wohnraum, der, obwohl nicht beheizt, eine wohlige Wärme ausstrahlte. Geschmackvoll hatten die Eltern hier die Wände bemalen lassen. Ein Rot, so warm und weich wie der Wein, der schon seit geraumer Zeit der Gäste Begleiter war. Unter der Zimmerdecke war mit weißer Farbe ein Fries gemalt, das ein Mäanderband zeigte. An drei Seiten standen Liegen bereit und in der Mitte des Raumes ein Tisch, dessen Beine aus knochigem Olivenholz gefertigt waren. Darauf eine silberne Platte mit Obst. Man machte es sich dort bequem, obwohl man schon Schwierigkeiten mit dem Sprechen, geschweige denn mit dem Offenhalten der Augen hatte. Die Gäste wollten die Gastgeber nicht beleidigen und die Gastgeber nicht die Gäste. So blieb man also sitzen, bis ab und zu bei dem einen und dann bei dem anderen die Sprache verstummte und die Augenlider zufielen. Es wurde noch ein wenig über Politik gefachsimpelt. Darüber, dass Tiberius und zuvor Drusus es nicht in den Griff bekam, die Germanen da oben im Norden davon zu überzeugen, dass es auf Dauer besser wäre, sich den Gesetzen Roms zu unterwerfen. Es käme der Tag, so konstatierte einer der Gäste mit lallender Stimme, dann würde Rom die endgültige Macht auch zwischen Rhenus und Albis innehaben. Quintus hörte, wenn auch wegen der Schwerfälligkeit mancher Zunge amüsiert, gespannt zu. Wie gerne würde er an Expeditionen teilnehmen, um den Germanen das Fürchten zu lehren, dachte er bei sich. Alt genug wäre er ja! Er müsste sich nur in einer Kaserne melden und die würden dann schon einen richtigen Soldaten aus ihm machen! Den Vater müsste er zwar noch überreden, was nicht ganz leicht werden würde. Doch da er ja aus einer hoch geachteten Familie kam und sein Vater darüber hinaus Senator ihrer Heimatstadt war, würde er es sicherlich schnell schaffen, in der Hierarchie der Soldaten aufzusteigen. Wer weiß, vielleicht befehligt er bald eine Kohorte oder aber sogar eine ganze Zenturie! Dann endlich würde man den wilden Stämmen hoch oben im Norden, in diesem kalten und ungemütlichen Land, Einhalt gebieten. Und wenn er seinem Vater erst einmal bewiesen hätte, dass sein Platz an der Seite Roms ist und nicht an der Ölpresse. Die Beziehungen seines Vaters würden ihm schon dabei helfen.

      Die Öllampen flackerten noch ein wenig, bis sie nach und nach erloschen. Mit dem Gefühl, einen erfolgreichen Tag gehabt zu haben, begab sich das Ehepaar in ihre Schlafräume, nachdem zuvor die Gäste ihre Zimmer zugewiesen bekommen hatten. Und auch Quintus ging zu Bett. Doch schlafen konnte er noch nicht. Die Gedanken kreisten wie wild in seinem Kopf. Er sah das Abschlachten von Kindern. Sah ruhmreiche Legionen. Sah in den Hafen einlaufende Schiffe – tote Kinder - Legionen - Kinder - Schiffe - Schiffe -Schiffe...

       Kapitel II

      Versteckt hinter einer Buschgruppe, das Gesicht mit Lehm beschmiert, hockte Wulfila und wartete. Er verhielt sich ganz still. Nur seine Augen wanderten über den freien Platz vor sich und den Weg, der aus dem Wald herausführte, abtastend hin und her. Hörte er nicht ein leichtes Knacken vom Waldrand her? Sofort glitt sein Blick zu der schon fast dunklen Wand aus niedrigen Gehölzen und Buschwerk. Wie ein Frosch vor dem großen Sprung hockte er da. Die Knie reichten ihm links und rechts bis fast an die Ohren. Obwohl er doch recht gelenkig war, begannen seine Oberschenkel zu kribbeln bis hinab zu den Knien. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte seine schmerzenden Glieder gereckt. Aber er konnte diese unbequeme Sitzposition noch nicht verlassen, ohne sich zu verraten. Auf gar keinen Fall durfte er sein Versteck preisgeben. Da! Schon wieder ein Knacken! Jetzt mehr seitlich von ihm. Das, was sein Opfer werden sollte, pirschte sich am Waldesrand entlang, geschützt von Hecken und Büschen, in Richtung der Hütten. Wulfilas Augen konnten nun dem Punkt, von dem das Geräusch kam, nicht mehr folgen. Langsam drehte er den Kopf in die vermeintliche Richtung. Es war nur ein kurzer Moment, in dem er den Blick vom Weg mit den Büschen in seiner Umgebung abwandte. Die immer stärker einsetzende Dunkelheit zwang ihn dazu, für einen Augenblick angestrengter auf eine Silhouette am Waldesrand zu schauen. Ein Busch? Ein Baum? Oder... Das Gebrüll, kurz hinter seinem Rücken, ließ ihn den Kopf zurückschnellen. Zu spät! Das Schwert traf ihn am rechten Arm. Ein kurzer Schmerz durchzuckte ihn. Wulfila sprang aus seiner Hockstellung auf und merkte, dass diese Kauerstellung ihm doch die Blutzufuhr in den unteren Gliedmaßen unterbunden hat. Mit der linken Hand massierte er sich den Arm und mit der anderen umfasste er seine Wade und rieb sie. „Na warte“, sagte er seinem Gegenüber, der mit breitem Grinsen vor ihm stand, „das nächste Mal werde ich dich kriegen“. Lachend, wenn auch ein bisschen ärgerlich darüber, dass er auf den Trick seines Freundes hereingefallen war, boxte er Ansgar gegen die Brust. „Hätte ich ein Schwert aus Eisen gehabt und nicht dieses hölzerne, dann hättest du jetzt einen Arm weniger!“ bemerkte Ansgar. Beide setzten sich auf den Findling, den sie als den ihren ansahen und schauten auf das etwas tiefer gelegene Dorf herab, ihr Dorf am Ufer des Flusses, der ihnen Fische und Wasser gab. Aus einigen der verstreut liegenden Hütten stiegen schmale Rauchsäulen empor. Sicherlich würde es bald etwas zu Essen geben. Dort, wo Wulfila mit seinen Eltern, seiner Schwester, der Großmutter und den vielen Tieren lebte, machte der Fluss eine Biegung in die Richtung, aus der die Sonne schien, wenn sie sehr hoch stand. Nachts sah man an dieser Stelle den Mond. Hier war der Fluss besonders flach und man konnte bequem die Schafe und die anderen Tiere über das Wasser zu den Weideflächen auf der anderen Seite bringen. Hier wuschen auch die Frauen die Kleidung. Manchmal sah man sie auch ihre Haare dort waschen. Brachten die Männer des Dorfes Rehe, Kaninchen oder vielleicht auch schon einmal einen Bär von der Jagd mit nach Hause, so wurden die abgezogenen Felle an dieser Stelle gereinigt. Und wenn die Tage sehr heiß waren, spendete das Wasser hier allen im Dorf Abkühlung.

      Trotz des vermeintlichen Durcheinanders der strohgedeckten Holzhäuser war doch eine gewisse Ordnung erkennbar. Im mittleren Bereich gab es einen Platz. Und selbst im Dunkeln konnte man von hier oben aus einen noch dunkleren Fleck, die Feuerstelle, erkennen. Hier traf sich das Thing zu seinen Gesprächen und Beratungen. Hier wurde die Jagd besprochen und hier wurde der Fürst gewählt, der geeignet schien, die Sippe am mutigsten und edelsten anzuführen. Hier wurde viel Met getrunken. An diesem Abend war der Platz aber leer. Außer ein paar Dorfbewohnern, die, vom Fluss kommend, ihn überquerten, um in ihre Hütten zu gelangen. Ein streunender Hund schnupperte an dem schwarzen Kohlefleck in der Hoffnung, dort noch einen Knochen vom vormals im Feuer gebratenen Wildbret zu finden. Doch im Dorf war Ordnung und Sauberkeit höchstes Gebot. Nach Sitzungen oder Gelagen wurde der Platz immer sogleich von allen Essensresten gereinigt. Ein kurzer Tritt eines vorübergehenden Mannes verscheuchte das Tier von der Feuerstelle. Mit eingezogenem Schwanz und kurz aufjaulend verschwand der Hund zwischen den Hütten.

      Wulfila und Ansgar - beide kannten sich schon, so lange sie denken konnten - waren die besten Freunde. Heute war es ein besonders schöner Tag gewesen; so saßen die beiden noch auf ihrem Felsen, bis die Sonne in der Richtung unterging, in der so mancher befreundete Stamm lebte, der seine Freiheit nicht mehr genießen konnte, so wie sie hier es taten. Keinem fremden Herrscher waren