Wie ein Stein im tiefen Wasser. Ian Malz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ian Malz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847627067
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mussten lachen oder kümmerten sich einfach nicht darum. Hatten die Händler doch sowieso genug Geld und verkauften ihre Waren auch noch überteuert! Geschah ihnen ganz recht, diesen Halsabschneidern.

      Der Soldat bog um eine Ecke. Helmgard wurde von dem Pferd unsanft gegen die Hauswand gestoßen, so dass sie sich den Arm aufscheuerte. Nun schmerzten nicht nur ihre Füße, jetzt tat ihr auch noch ihr Arm weh, den sie mit leicht verzerrtem Gesicht mit der linken Hand rieb und drückte. Weinen konnte und wollte sie nicht mehr. Jegliche Gefühlsregung war ihr seit der Nacht vergangen, in der sie von diesem Mann verschleppt wurde, verschleppt aus ihrem Dorf, fort von Mutter, Vater und Bruder. „Großmutter“, dachte sie, „Großmutter würde mir jetzt auf die schmerzende Stelle am Arm Kräuter legen. Die würden kühlen und den Schmerz lindern“. Wie oft hatte Großmutter ihr von dieser grünen Paste, die sie mit ihrem Speichel noch geschmeidiger machte, auf eine Wunde gestrichen. „Großmutter, wo bist du?“ Mit gesenktem Kopf trottete Helmgard hinter dem Römer her, mit der Linken immer noch ihre schmerzenden Wunde reibend. Immer häufiger blieb der Soldat stehen und sprach in seiner für sie unverständlichen Sprache mit anderen Männern, die vor den Häusern standen und mit Frauen, die mit Körben über dem Arm wohl vom Feld oder vom Markt kamen. Hier musste er wohl bekannt sein, dachte Helmgard. Nach einer weiteren Biegung und kamen unvermittelt zwei Jungen angerannt und begrüßten den Soldaten überschwänglich. „Ob dies seine Söhne sind?“ ging es ihr durch den Kopf. Der Soldat tätschelte den beiden Jungen liebevoll den Kopf. „Zu mir war er so böse, hat mich einfach mitgenommen und mich so gequält! Vater soll mich auch wieder in die Arme nehmen! Vater!“ Erst jetzt bemerkten die beiden Knaben, dass hinter dem Pferd noch jemand stand. Helmgard zitterte am ganzen Leib und hielt den Kopf gesenkt. Der jüngere von Beiden, er war einen Kopf kleiner als sie, kam langsam um das Pferd herum und näherte sich vorsichtig dem Mädchen. Wer das sei, fragte er und zeigte auf das Mädchen. Die habe er von einem Barbarenstamm mitgebracht, antwortete sein Vater, der Soldat. Ihre Haare und vielleicht auch das ganze Mädchen brächten gutes Geld. Der Junge war gerade noch einen Schritt von Helmgard entfernt und hob nun seine Hand zu deren von Schmutz und Schweiß zottelig und strähnig vom Kopf hängenden Haaren. „Was ist denn so besonderes daran?“ fragte er den Soldaten. „Warte, bis deine Mutter sie gewaschen und gebürstet hat, dann wirst du es sehen! Sie sehen aus wie das reife Korn auf den Feldern, und wenn die Sonnenstrahlen sich darin fangen, dann leuchten sie wie geflochtenes Gold. Die feinen Damen in Rom tragen auf dem Kopf Hüte, die über und über mit diesen Haaren geschmückt sind, als seien sie ihre eigenen. Du wirst sehen, das Mädchen wird viele Sesterzen einbringen. Doch wo ist mein Weib?“ Helmgard verstand kein Wort von dem, was der Mann mit den Jungen gesprochen hatte, doch sie spürte, dass es um sie ging. Als sie den Kopf langsam hob, bemerkte sie, wie der größere der beiden Jungen, der in der Zwischenzeit ins Haus gelaufen war, mit einer Frau an der Hand wieder zum Vorschein kam. Auf deren Gesicht lag ein Lächeln. Sie lächelte aber nicht den Ankömmling an, sondern geradewegs die gegenüberliegende Wand. Unvermittelt schaute Helmgard in die vermeintliche Richtung. Doch da war nur eine Wand. Die Frau war etwa so groß wie Helmgards Mutter und trug ein langes Gewand, von dem sogar die Arme bedeckt wurden. Solche Gewänder hatte Helmgard noch nie gesehen. Bei denen ihrer Mutter blieben deren Arme immer unbekleidet. Nun lächelte die Frau sogar die Ohren des vor ihr stehenden Pferdes an! Das alles fand Helmgard doch sehr verwunderlich. Während die Frau mit ihrer einen Hand die Wand vor sich abtastete, hielt der Junge sie immer noch an der anderen Hand und führte sie dabei auf den Römer zu. Nun löste sie sich aus der führenden Hand des Jungen und hob beide Arme, um ihren Gegenüber zu umarmen. Der Soldat ergriff beide Unterarme der Frau und legte sie links und rechts um seinen Hals. Dann ließ auch er seine Hände ihre Arme hinaufgleiten, bis sie ihren Hals erreichten. Nun lagen sich beide in den Armen. „Vater hat nie die Hände um Mutters Hals gelegt“, dachte Helmgard. „Mutter hat auch nie die Hütte oder die Ohren eines Pferdes angelächelt. Mutter hat selten gelächelt. Aber über meinen Kopf hat sie mir auch schon einmal gestrichen. Mutter!“ Helmgard spürte den Druck in ihren Augen, sie wollte weinen, aber es ging nicht. Die Frau in den Armen des Peinigers sprach zu ihm und auch er sagte etwas zu ihr. Der kleinere Junge stand immer noch bei Helmgard und stierte ihre fettigen Haare an. Der Mann löste sich aus der Umarmung seiner Frau und drehte sie so von sich, dass sie seitlich neben dem Pferd stand. Ihre Hand glitt an dessen Hals hinauf, bis sie die Mähne ertasten konnte. Sie lächelte immer noch, als sie die Ohren fühlte und zwischen ihnen die Blesse des Pferdes tätschelte. Aus den Nüstern schnaubte es freudig, so als hätte es auf diese Begrüßung nur gewartet. Merkwürdig, dachte Helmgard, nun steht sie neben mir und schaut mich gar nicht an. Plötzlich drehte sich die Frau so unvermittelt zu ihrem Mann um, dass Helmgard erschrak. „Nun hat sie mich doch gesehen!“ Sie wandte sich an ihren Mann und der führte sie auf Helmgard zu. Zuerst schaute sie wieder auf die Wand. Doch als beide kurz vor dem Mädchen standen, hob der Mann die Hand der Frau und legte sie dem Mädchen auf den Kopf. Wieder fragte die Frau etwas in der fremden Sprache und Helmgard spürte, dass es um sie ging. Der Römer gab nur einen kurzen Laut von sich und schaute auf die Hand der Frau, die nun langsam vom Kopf des Mädchens hinunterglitt. Als sie das Ohr des Mädchens erreichte, griff die Frau auch mit ihrer anderen Hand zu und hielt Helmgards Kopf in Händen. Helmgard zitterte noch mehr. „Was will die Frau von mir?“ ging es ihr durch den Kopf. „Sie sieht immer nur über mich hinweg und schaut mich gar nicht an!“ Die Hände ertasteten ihre Wangen. Es tat gar nicht weh! „So hat mich Mutter auch oft berührt, wenn ich weinte oder ich mir wehgetan habe. Dann wurde es mir bald besser und es tat gut.“ Die Hände der Frau waren sanft zu ihr. Trotzdem zitterte sie vor Angst. Mit den Fingerspitzen suchte die Hand der Frau den Weg zu Helmgards Augen, die diese erschrocken zukniff. Von dort aus tasteten sich die beiden Daumen der Frau über Helmgards Nasenrücken hinab bis zur Nasenspitze. Die übrigen Finger glitten dazu über die Wangen bis zum Unterkiefer. Dort legten sich beide Hände um den Hals des Mädchens, um auch daran herab zu gleiten. Plötzlich stockte die tastende Bewegung, als sie das lederne Band um den Hals des Mädchens gewahr wurde. Zu ihrem Mann gewandt sagte die Frau etwas, und es hörte sich wie ein zorniger Befehl an, woraufhin der Soldat ein Messer aus dem Gürtel zog und einen Schritt auf das Mädchen zuging. Vor Schreck wich Helmgard einen Schritt zurück, so dass die Arme der Frau unvermittelt hinunterfielen. Mit dem Zeigefinger der linken Hand griff der Mann Helmgard zwischen Hals und Lederband, führte das Messer vorsichtig dazwischen und durchschnitt die Fesselung mit einem kurzen Ruck. Sofort griff sich Helmgard mit beiden Händen an den Hals und massierte sich die geschundene Stelle. Die Frau fasste das Mädchen nicht mehr an. Sie sagte nur etwas zu ihrem Mann, der sie daraufhin am Arm ergriff und zum Haus führte. Helmgard schaute den beiden nach. Nun kamen die beiden Jungen wieder näher und verfolgten noch einmal den Weg, den die Frau mit den fühlenden Händen vorgegeben hatte, mit ihren Augen. Erst über die fettigen Haare, dann die Ohren, die Nase, der Mund, den Hals. Jeden Blick der Beiden folgte Helmgard argwöhnisch. „Was wollen die von mir? Ich will zu Modar und Fatar!“ Nun verspürte sie, wie die Angst wieder in ihr aufstieg. Zuerst spürte sie den Druck im Bauch, der dann langsam, aber immer heftiger werden, ihren Hals erreicht. Der Hals begann zu pochen, ihr Kopf begann zu schmerzen. Flehentlich schaute sie von einem Jungen zum anderen, dann auf das Pferd, dann wieder auf die Jungen. Ihr Blick glitt hinauf zu den Sternen. Sterne! dachte sie und merkte, dass es rings um sie dunkel geworden war. Panische Angst stieg plötzlich in ihr auf. Sie wollte weglaufen, aber wohin? „Bitte helft mir doch“, mochte sie den Jungen zurufen. Doch sie konnte ihre Sprache nicht. Hätten sie ihr denn geholfen? Sicher nicht! Fast wahnsinnig vor Angst schüttelte sie ihren Kopf. Erst langsam dann immer schneller. Sie stieß schmerzvolle Klagelaute aus, die bei jeder Kopfbewegung immer lauter und drohender wurden. Die beiden Jungen machten beängstigt einen Schritt zurück. Nun begann sie mit den Füßen zu stampfen und griff sich in die Haare. Rücklings stieß sie an die Hauswand und rutschte daran herunter, immer lauter schreiend. Plötzlich konnte Helmgard wieder weinen. Es war für sie wie eine Befreiung. Sie schluchzte laut los, den Kopf zwischen die Knie versenkt und die Hände, wie zum Schutz vor herabfallendem Geröll, über dem Kopf verschränkt.

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