Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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Es wird morgen bestimmt schon besser, heute war es einfach ein wenig anstrengend."

      Skepsis blieb in Rugars Augen, doch sie stand entschlossen auf. "Wirklich."

      "Ich bezweifle das ein wenig.", warf Rugar ein, doch er beließ es wie immer dabei.

      Seine Anteilnahme ehrte ihn, auch wenn sie nie darauf einging. Natürlich hatte er Recht: Sie überforderte sich, hatte in den letzten Nächten mehr gelesen als geschlafen. Tagsüber war sie damit beschäftigt gewesen einem möglichen Angriff entgegenzuwirken. Ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich inzwischen bestätigt, Atúwar womöglich bereits unterwegs. Dies besserte ihr Gemüt nicht unbedingt.

      "Vielleicht hast du Recht.", gab sie so leise zu, dass Rugar es kaum hören konnte.

      Sie trat auf ihn zu und drückte ihr Gesicht gegen seine Brust. Tatsächlich fühlte sie sich ein wenig kraftlos, nachdem nun auch Peroth ihre letzten Hoffnungen zerstört hatte.

      "Dich beschäftigt noch immer etwas.", stellte Rugar fest, während Rawnes sich wieder von ihm löste. "Macht jedenfalls den Eindruck."

      "Ich war mir nicht sicher, ob es Peroth gefallen würde, wenn er wüsste, dass wir es wissen.", bestätigte sie. "Ich glaube, es hat ihm noch nicht einmal gefallen, dass wir das hier nun schon wissen. Prophezeiungen haben einen Haken: Je mehr von ihr wissen, desto weniger gehen sie in Erfüllung und die Prophezeiungen der Weisen scheinen sehr wichtig zu sein. Leider kenne ich nur winzige Auszüge aus ein paar unwichtigen von ihnen." Sie machte eine kurze Pause. "Wie gut kennst du Justaka?"

      "Soll das ein Witz sein? Für wen hältst du mich?", erwiderte er. "Ich habe ihn noch nicht einmal wirklich gesehen. Es gibt nur einen, der ihn kennt und dieser jemand ist Anrar. Vielleicht unterhält er sich mal mit dir, wenn du ihn nett fragst."

      "Ich frage nur, weil mir eine Sache komisch vorkommt.", erklärte sie ihm. "Als ich das Buch gelesen habe und wieder einigermaßen zusammengefügt, da fiel mir eine nachträgliche Randnotiz auf. Gerade in dem Abschnitt, wo es vor allem um Irask ging. Sie war nicht von dem Verfasser des Buches geschrieben, dazu war die Handschrift viel zu unleserlich. Als würde sie von einem kleinen Kind geschrieben oder als wollte dieser Unbekannte es eigentlich gar nicht schreiben, als würde ihn jemand anderes daran hindern wollen. Na ja, auf jeden Fall besagt diese Notiz, dass Justaka der Großvater von Irask sei."

      "Aha.", war zunächst einmal alles, was Rugar darauf zu antworten hatte. "Das würde also bedeuten Sherina wäre seine Tochter oder Ulasta sein Sohn."

      "Ich glaube, Sherina ist seine Tochter.", überlegte Rawnes. "Aber das würde bedeuten, dass Justaka ein Isk wäre und das ist es dann, was die ganze Sache auch so komisch macht. Das könnte ich mir nicht vorstellen, aber die Alternative ist noch viel unvorstellbarer. Irgendetwas stimmt da nicht."

      Rugar zuckte nur mit den Achseln. Enttäuscht sah sie ihn an. "Es ist dir egal, oder?"

      "Tut mir leid.", entschuldigte er sich. "Aber es scheint so."

      "Gibt es wirklich nichts auf dieser Welt, was dir nicht egal ist?"

      Sie wusste, dass es nicht einfach war. Auch nach zweitausend Jahren nicht. Rugar war nun einmal, was er war und so schnell konnte sich daran nichts ändern, auch wenn sie es in einigen Momenten gerne gehabt hätte. Er kannte keine Emotionen und es war schon immer fraglich, ob er sie auch jemals kennenlernen würde. Sie konnten eigentlich schon froh sein, dass er bei ihnen blieb, auch wenn es ihm sicher eigentlich egal war. Er war noch nie besonders viel mehr gewesen, als jemand, dem man Befehle erteilte und der sie aufs Kleinste genau ausführen würde, dem nur das nicht egal war.

      Sie erhielt solange keine Antwort, dass sie sich schließlich herumdrehte. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, doch da wich er ihr schon wieder aus. Aber es reichte ihr und ein triumphierendes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit.

      "Hast du heute Abend noch etwas vor?"

      Sie sprang auf und ihre Augen leuchteten wieder mit ihrem unternehmungslustigen Glanz.

      "Nein. Ich habe nie etwas vor.", antwortete er schließlich.

      "Gut.", meinte sie. "Dann lass uns noch was essen gehen. Ich hatte schon den ganzen Tag noch nichts Vernünftiges zu essen. Und unterwegs sehen wir noch einmal bei David vorbei. Er wird schlafen, hoffe ich, doch ich muss einfach wissen, wie es ihm geht und ob sie sich auch wirklich gut um ihn kümmern."

      Sie drängte schon vorwärts und wollte ihn bereits mit sich ziehen, doch er hielt sie zurück. "Es gibt doch etwas auf dieser Welt, was mir nicht egal ist.", sagte er schließlich, als wäre es ihm gerade erst wieder eingefallen. Dann küsste er sie. Er wusste nicht einmal wieso, aber diesmal hielt er es nicht für nötig länger darüber nachzudenken und so tat er es einfach.

      DIE VERLORENEN KINDER

      Er bekam nicht wirklich mit, was mit ihm und um ihn herum geschah. Auf einmal war der Zeitpunkt erreicht, wo er einfach nicht mehr konnte, an dem er bereit war alles aufzugeben. Die Kälte wurde egal, der Hunger wurde egal und das einzige was nur noch zählte war die überwältigende Müdigkeit, die ihn befiel. Sein einziger Wunsch war es fortan zu schlafen. Sich hinzulegen und zu schlafen, doch tief in seinem Innern kämpfte er noch immer dagegen an. So kam er nicht zur Ruhe, auch wenn ihn eine immer lauter werdende Stimme in seinem Kopf dazu ermutigte.

      Irgendwann war es vorbei. Der ständige Kampf wach zu bleiben, durchzuhalten und auf Rettung zu hoffen. Der Kopf wurde furchtbar schwer und wollte immer wieder nach vorne fallen. Der Schmerz im Fuß hörte mit einem Mal auf, der Körper schien vor Hitze zu verbrennen und gleichzeitig schlotterte er vor Kälte. Doch diese Signale erreichten schon lange nicht mehr ihr Ziel.

      Die Umgebung begann allmählich zu verschwimmen und schließlich sah er nur noch Finsternis, von ein paar wenigen noch dunkleren Umrissen unterbrochen. Er versuchte zu reden, aber sein Mund war trocken und die Lippen aufgesprungen. Seine Ohren hörten seine Worte nicht und so gab er es gleich auf. Später spürte er, wie ihn jemand in eine Decke oder ähnliches wickelte. Wie er hochgehoben wurde und auf ein Pferd gesetzt. Er versuchte die Augen zu öffnen, doch er konnte nichts sehen. Geräusche bestanden nur noch aus dumpfen Pochen, die Kopfschmerz verursachten.

      Das Pferd unter ihm bewegte sich so schnell es ihm möglich war durch den Schnee. Jemand saß hinter ihm und hielt ihn auf dem Rücken des Tieres. Er besaß längst nicht mehr die Kraft sich selbst zu halten. Dann bekam er gar nichts mehr mit. Die Welt versank nun vollständig in Finsternis, sein Körper reagierte auf keine Wirkungen mehr und er konnte sich hinterher nicht mehr erinnern, was geschehen war.

      Das Erste, was er wieder mitbekam war, dass er in einem weichen Bett lag. Normalerweise schien es sich um ein ganz gewöhnliches Bett zu handeln, aber er lag auf einem Dutzend Decken und fast ebenso viele waren über ihn ausgebreitet. Sein Kopf lag versunken in einem Berg von Kissen, aber trotzdem spürte er die Wärme nicht. Es schien noch immer alles so kalt wie zuvor zu sein. Er versuchte sich zu bewegen, aber seine Knochen schienen zu Eis erstarrt. Wenigstens gelang es ihm für kurze Zeit die Augen zu öffnen und so konnte er feststellen, dass er in einem kleinen, hellen Zimmer lag. Ein gewöhnliches Gästezimmer. Ausgestattet mit dem Bett, auf dem er lag, einem Tisch mit zwei Stühlen, einer großen Truhe für persönliche Besitztümer und ein großer Kleiderschrank, der eine gesamte Wand für sich beanspruchte. Auf dem Tisch stand eine große Schale mit Obst, aber komischer Weise verspürte er keinen Hunger.

      Er schmeckte einen leichten, bitteren Geschmack nach Kräutern in seinem Mund und glaubte, irgendetwas Nahrhaftes zu sich genommen zu haben. Auf dem Fenstersims stand eine Vase mit einem Strauß Blumen. Er fragte sich, wo zu dieser Jahreszeit noch solch duftende Blumen herkommen konnten. Langsam begann er auch wieder deutlicher zu hören. Zuerst dachte er auch das monotone Rauschen wäre nur die verzerrte Wiedergabe irgendwelcher anderen Geräusche, doch nun erkannte er es eindeutig als das Rauschen eines reißenden Flusses. Eine Tür gab es in diesem Zimmer nicht. Dort wo sie normalerweise war, gab es nur einen dunklen, zugezogenen Vorhang, so dass man die eiligen Schatten sehen konnte, die im Flur vorbei huschten.

      Auf einem der Stühle hingen seine Kleider. Sorgfältig zusammengelegt und gewaschen, wie es schien. Er selbst trug nun fremde Sachen,