"Hallo.", meldete sich mit einem Mal eine Stimme von dem Eingang des Zimmers. Überrascht erblickte er Faith, die den Vorhang beiseitegeschoben hatte und nun im Raum stand. "Ich wollte dich nicht stören, aber ich wollte wissen, ob es dir schon besser geht."
"Mir geht es...", versuchte David zu antworten, doch er brachte kaum einen Ton aus seiner trockenen Kehle hervor. "... schon besser. Aber nicht besonders gut, fürchte ich."
"Vielleicht sollte ich wieder gehen.", meinte Faith. "Du möchtest dich sicher weiter ausruhen."
"Nein.", hielt er sie auf und versuchte sich mit wenig Erfolg ein wenig aufzusetzen. "Nein. Ich würde mich ehrlich über ein wenig Gesellschaft freuen. Setz dich doch."
Einen Moment zögerte sie noch, doch dann nahm sie sich den freien Stuhl und stellte ihn ein wenig näher an das Bett.
"Wo sind wir?", fragte er, als sie sich schließlich gesetzt hatte.
"Wir sind in Yesúw.", erklärte sie ihm. "Du hättest es von außen sehen sollen. Es war wirklich beeindruckend. Schon allein dieser Fluss. Und alles um einen herum leuchtet in so einem Grün und Gelb. Überall sind Höhlen und du fragst dich, wohin die wohl alle gehen. Wo sie enden mögen, ob vielleicht jemand in ihnen lebt oder ob sie einfach nur nach draußen führen. Vielleicht aber auch tiefer in den Berg hinein und irgendwann enden sie in einer dieser riesigen Tropfsteinhöhlen, von denen man sich erzählt. Ich würde sie zu gern erkunden, aber man braucht sicherlich Tage dafür. Und am Ende sitzt dann da nur ein Monster und frisst dich zur Belohnung für deine Mühen auf."
Sie lachte leise, als sie sich dies vorstellte. Dann sah sie auf, als würde sie gerade aus einem Tagtraum erwachen. "Tut mir leid."
"Was denn?", beruhigte er sie. "Ich habe wohl was verpasst. Erzähl nur."
"Na ja.", fuhr sie fort. "Wir sind dann halt diesen Fluss runter gefahren. Irgendwann hörte man dann dieses ohrenbetäubende Rauschen, was einen komischer Weise überhaupt nicht stört. Es wurde immer lauter, aber trotzdem floss der Fluss in aller Ruhe weiter und die Strömung wurde nicht stärker, oder so. Schließlich war da nur noch eine enge Biegung und als wir da um die Ecke gefahren sind, stand sie auf einmal vor uns. Diese Burg. Das war wirklich atemberaubend. Sie stand plötzlich wie aus dem Nichts so da. Direkt am Wasserfall, als würde sie schon tausend Jahre da stehen. Groß und mächtig mitten in diesem Berg, wie eine richtige Festung, die draußen auf irgendeinem Hügel steht. Zuerst hatte ich fast Angst, dass wir gleich darauf den Wasserfall runterfallen, denn er war nun ebenfalls direkt vor uns. Aber wenn man nicht direkt in der Mitte fährt, sonder ein Stück rechts davon, so wird man irgendwann von einer Strömung erfasst, die einen direkt an die Burg heran spült. Dort sind wir dann ausgestiegen. So unglaublich es klingt, aber es können richtig kleine Schiffe den Fluss befahren, so dass auch unsere Pferde mitfahren konnten. Und du bist auch wirklich nicht müde?"
David schüttelte den Kopf. "Nein, wirklich nicht. Ich denke ich habe schon genug geschlafen."
"Ein paar Stunden nur.", meinte Faith.
"Ein paar Stunden?", wiederholte er ungläubig. "Es kommt mir schon wie Tage vor."
"Sie haben dir so ein Wundermittel gegeben. Keine Ahnung, wie das genannt wird. Auf jeden Fall scheint es ja hervorragend zu wirken. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es besonders gut schmecken würde."
"Keine Ahnung.", gestand er.
"Hast du Hunger?", fragte sie und schielte bereits selbst zu der Obstschale.
"Nein, aber iss ruhig etwas, wenn du Hunger hast.", forderte er sie auf.
Sie stand auf und nahm sich einen roten Apfel. "Ich hatte heute noch gar nichts Wirkliches zu essen.", meinte sie, während sie noch am Kauen war.
"Wieso nicht?", fragte er.
"Weiß nicht.", antwortete sie. "Es gab eigentlich schon etwas zu essen in irgendeinem großen Esssaal, aber ich hatte wohl noch keinen richtigen Appetit."
Er blickte sie nur skeptisch an, sagte darauf aber nichts. Lange Zeit schwiegen sie einfach nur und lauschten dem rasch dahin strömenden Fluss. David war solch eine Situation nicht fremd und er hasste sie. Wenn man sich gegenüber saß, nichts zu sagen wusste und sich einfach nur anschwieg. Die meisten fingen in solchen Situationen an über das Wetter zu reden, über den Nachbarn zu tratschen oder einfach nur die letzten Geschehnisse zusammenzufassen. Aber er fand diese Themen auch nicht immer besonders ergiebig und aus Erfahrung wusste er, dass sie auch nicht lange ausreichenden Gesprächsstoff lieferten. Während er noch vor sich hin grübelte, was er denn sagen könne, führte sie bereits wieder ihre Unterhaltung fort.
"Was ich dich schon immer fragen wollte.", begann sie zögernd. "Kennst du sie auch, diese Träume, die schon fast wie Erinnerungen sind und allmählich auch nicht nur nachts kommen? Das klingt vielleicht verrückt, aber..." Sie verstummte wieder.
"Nein.", widersprach David. "Ganz im Gegenteil. Ich meine, vielleicht ist es ja verrückt, aber für mich klingt es nicht so. Ich weiß, wovon du sprichst. Erinnerungen, die keine Erinnerungen sein können, da sie nicht aus meinem Leben zu sein scheinen und es irgendwie dennoch sind. Aber zwischendurch kommen Träume auch tagsüber, die dann keine wirklichen Träume mehr sind, sondern noch viel mehr. Ich weiß nicht, als wäre es wirklich geschehen."
"Es ist wirklich geschehen.", bekräftigte sie. "Hast du so was oft?"
Er schüttelte langsam den Kopf, nachdem er darüber nachgedacht hatte. "Nicht wirklich. In letzter Zeit eigentlich gar nicht, was auch nicht weiter schlimm ist, denn ehrlich gesagt habe ich nicht immer gerade viel davon verstanden."
Wieder schwiegen sie. "Ich kann es beeinflussen.", meinte sie schließlich.
David richtete sich aufmerksam wieder ein Stück weiter auf. "Was meinst du damit?"
"Ich muss mich nur stark genug konzentrieren.", antwortete sie. "Ich muss mir nur ganz genau vorstellen, was ich wissen will. Was irgendwo irgendwann geschehen ist. Und dann kann ich es sehen. Es ist, als würde ich direkt daneben stehen und doch tue ich es nicht. Das ist irgendwie unheimlich."
"Geht das auch mit Dingen, die noch nicht geschehen sind?", wollte David wissen.
Sie hob den Kopf und blickte ihn nachdenklich an. "Ich weiß nicht."
Plötzlich hörten sie ein Geräusch und der Vorhang wurde erneut zur Seite geschoben. Mit einem knappen Lächeln stellte Stalca zufrieden fest, dass es David besser zu gehen schien. Er schob sich in das Zimmer hinein, um nicht weiter auf dem Flur zu stehen.
"Habt ihr Hunger?", fragte er schlicht. Er schien nicht gerade bester Laune zu sein, aber David hatte ihn bisher noch nicht viel anders erlebt. Es interessierte ihn schon brennend warum, doch bislang war es noch nicht angebracht gewesen zu fragen.
Faith zuckte mit den Schulten, obwohl David ihre Antwort schon wusste.
"Wenn ihr immer öfter darüber redet, schon.", sagte er selbst.
"Ich bezweifle, dass du in der Lage sein wirst zum Esssaal zu gehen.", bemerkte Faith.
"Wäre ja kein Problem was herzuholen.", behauptete Stalca stattdessen.
"Macht das ruhig, ich warte halt solange.", stimmte David dem zu, doch als die Beiden sich nach einer kurzen Verabschiedung auf den Weg machten, überfiel ihn wieder der Wunsch nach Schlaf, aber er blieb wach.
Zum ersten Mal seit einigen Tagen fühlte er sich auf eine bizarre Weise zufrieden. Gerade eben erst war er von dämonischen Kriegern verfolgt worden und wäre beinahe auf der Flucht erfroren. Trotzdem schien das schon wieder weit weg, denn etwas anderes wurde viel wichtiger.
Er war nicht mehr länger irgendjemand, der zufällig einer bunt zusammengestellten Gruppe folgte, da ihm nichts anderes übrig blieb. Inzwischen begann er sich mit ähnlichen Leidgenossen zusammenzugesellen und dieses Gefühl überwog doch zunächst alle anderen Sorgen.
ZWISCHENSPIEL
Er hatte eine der beliebtesten Arbeiten inne, die