Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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Diese Arbeit war deswegen so beliebt, da es einfach nichts zu tun gab. Der König hielt sich in den letzten Jahren nur innerhalb der Burgmauern auf und dort gab es nie irgendwelche Zwischenfälle. Die Leute fürchteten sich vor möglichen Folgen eines Verbrechens, denn es hieß, der Fluss würde jeden Verbrecher zu sich holen. Natürlich wusste niemand, wie viel Wahrheit dieses Gerücht enthielt, aber trotzdem hatten sie Angst vor dem reißenden Fluss.

      So sorgte der Yesúw dafür, dass es für die Elitegarde keine Arbeit mehr gab. Zwar gab es für sie hartes Kampftraining, falls doch etwas geschehen sollte, aber dieser Fall trat kaum ein.

      Er selbst hatte dieses Mal die Nachtschicht übernommen und in wenigen Minuten würde er abgelöst werden. Er patrouillierte in einem der abgelegensten Bereiche der Festung. Hier gab es nur leere Zimmer und wenige Lagerräume. Früher ging es hier lebendiger zu innerhalb dieser Mauern. Selbst jetzt, wo die Vertreter und Ratsmitglieder zahlreicher Länder eingetroffen waren, wohnten bedeutend weniger Leute hier als damals.

      So flog er allein seine Runden durch die verlassenen Gänge. Mit seinen Gedanken war er bereits bei der Planung des restlichen Tages. Auch die nächsten Tage würde er frei haben, so könnte er eigentlich mit seinem Sohn einen Ausflug nach draußen machen. Dieser kam allmählich in ein Alter, in dem er lernen konnte mit der Welt dort draußen umzugehen. Es wäre eine hervorragende Gelegenheit, denn sie hätten alle Zeit gehabt, die sie haben wollten.

      Nur ein Umstand hinderte ihn daran auch nur im Entferntesten weiter darüber nachzudenken. Die Ratsmitglieder hatten sich nicht umsonst erneut wieder getroffen. Diesmal war es Ernst, denn anscheinend hatte der Menschenkönig Atúl ihnen den Krieg erklärt, was eigentlich undenkbar war, denn warum sollten die Menschen Krieg gegen sie führen? So etwas hatte es noch nie gegeben und eigentlich waren sie davon überzeugt gewesen, es würde auch niemals so weit kommen. Doch wenn es wirklich soweit kommen würde, dann musste er zur Stelle stehen. Er hatte noch nie darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn er in den Krieg müsste. Er war sich sicher, noch niemand hatte darüber nachgedacht, es könne einmal ihn treffen.

      Er war so sehr in seinen Überlegungen verstrickt, dass er die Umgebung um ihn herum völlig vergaß. So war er eine Weile lang über der Spur herübergeflogen, ohne dass sie ihm weiter aufgefallen wäre. Erst später hielt er verblüfft inne. Der Einfachheit halber veränderte er sofort seine Größe, denn auch wenn Yesúw von Elfen bewohnt war, so war die Burg doch in der Größe von Menschen oder ähnlichen Wesen errichtet worden. Er kniete sich neben der Spur nieder, streifte einen Handschuh ab und befühlte den Boden. Sie war noch frisch, nicht angetrocknet. Frisches, feuchtes Blut.

      Sein Herz begann stärker zu schlagen und vorsichtshalber umfasste er den Stab seiner Waffe ein wenig fester, als er sich wieder aufrichtete. Zögernd folgte er dem breiten Streifen. Jemand musste einen Verletzten über den Boden des Flures gezogen haben, bis zu einer der Türen, die in einen der kleinen Lagerräume führte. Lagerräume waren alle mit Türen versehen, im Gegensatz zu vielen anderen Zimmern hier. Auch an der Türklinke klebte ein wenig Blut und nur widerwillig stieß er sie auf. Sie war nicht verschlossen und ließ sich mühelos öffnen. Dahinter lag die Leiche. Er schluckte schwer. So etwas hatte es hier auch noch nicht gegeben.

      Es dauerte gar nicht lange und sofort hatte sich der Mord herumgesprochen. Zwei Dutzend große und kleine Leute drängelten sich vor der kleinen Tür des Lagerraumes. Jeder wollte einen Blick auf die Tote werfen und alle wollten es nicht glauben. Tot, ermordet und erstochen, die Herrin von Naksa. Jeder wollte wissen wie und vor allem wieso so etwas geschehen konnte. Wer interessierte zurzeit noch weniger. Es konnte noch nicht lange her sein diagnostizierten die Heiler, die sich sofort geschäftig an ihre Arbeit machen wollten, doch sie kamen zu spät, um noch irgendetwas tun zu können. Ratlos zuckten alle Anwesenden nur die Achseln.

      "Macht Platz für den König!", schallte schließlich eine Stimme über den aufgeregten Haufen und ehrfurchtsvoll wich die Masse zur Seite.

      Xejohl schritt durch die Gasse, abgeschirmt von einigen Soldaten der Elitegarde, die sich mit einem Mal wieder furchtbar wichtig vorkamen. Doch er stieß sie nur grob zur Seite, als er am Tatort eingetroffen war.

      "Was ist geschehen?", fragte er, nachdem er einen knappen Blick auf die tote Rawnes geworfen hatte.

      "Sie ist tot.", verkündete der Berater vom Vortag fachmännisch. Sofort fing er sich einen solch bitterbösen Blick ein, dass selbst er erschrocken zusammenzuckte.

      "Das weiß ich." Jedes von Xejohls Worten war wie ein Peitschenhieb. Noch niemand hatte den König in solch einem Zorn erlebt und sie zogen schüchtern die Köpfe ein. "Ich möchte wissen, wer, wie und wann. Vor allem aber wieso. Wenn ihr den Mörder noch nicht habt, weshalb steht ihr dann hier herum? Ich möchte unverzüglich wissen wer es war und wie dies geschehen konnte."

      "Natürlich.", stotterten die Verantwortlichen und sahen sich ratlos an, denn keiner von ihnen hatte den Hauch einer Ahnung, wo er beginnen sollte.

      Abseits von dem Rest der Ansammlung von Schaulustigen stand Rugar. Er wusste bereits was geschehen war und doch wusste er es auch nicht. Bis in den späten Morgen hinein hatte er lang und ausgiebig geschlafen. Er hatte zuvor nur selten ruhig geschlafen, denn Schlaf war normalerweise nichts für ihn. Es war eine Verschwendung von Zeit, auch wenn er davon eigentlich mehr als genug hatte. Auf jeden Fall hatte er nicht gemerkt wann sie aufgestanden war. Es war ihm irgendwann aufgefallen, dass sie nicht mehr da war, doch da hatte er noch an ihre Rückkehr geglaubt.

      Aber sie kam nie wieder und noch bevor er es erfahren hatte, begann er es zu ahnen. Eine Ahnung, welche er sich genauso wenig erklären konnte, wie das, was geschehen war. Er hatte eine wunderbare Nacht gehabt, wie er sie noch nie in seinem Leben zuvor gehabt hatte. Er glaubte sich selbst gefunden zu haben, endlich eins zu werden mit dem Leben, welches er seit geraumer Zeit führte. Er war zufrieden und nichts war ihm in diesem Moment egal gewesen. Doch nun war dies alles wieder vorbei.

      Er hätte es wissen müssen. Er hätte wissen müssen, dass er nicht in einer Welt der Sterblichen leben konnte. Er hatte hier nichts zu suchen, sie war ihm fremd. Was hatte er denn erwartet? Dass er eine Art Beziehung zu einer sterblichen Frau führen konnte? Nun hatte er erfahren, was zwangsläufig geschehen würde. Sie hatte nicht ewig Zeit zur Verfügung. Sie starb irgendwann und er wurde nicht einmal älter. Sie hätten sowieso nur eine Handvoll Jahre zur Verfügung gehabt. Vielleicht war es besser so, dass er schon jetzt zu dieser Erkenntnis kam. Er war nicht wie die Leute mit denen er die letzten Jahre verbracht hatte. Nicht einmal annähernd. Er gehörte hier einfach nicht her und so war es sicher besser zu gehen. Also ging er.

      Mit einem lauten Klirren fiel das Stück Metall auf den steinernen Boden. Kilo schien es zu wiegen, eine kaum zu tragende Last. Völlig erschöpft, nach Atem ringend und zitternd stand sie in der Mitte ihres Zimmers und wusste nicht wohin. Eine Weile versuchte sie sich vergeblich zu beruhigen und sich einzureden, dass nun endlich alles gut werden würde, aber sie wusste, dass es eine Lüge war. Nur dafür war es jetzt zu spät. Ihre Knie wurden weich und gaben unter ihr nach. Verzweifelt ließ sie sich auf dem Boden nieder. Sie wusste nicht, wie sie es geschafft hatte. Sie wusste nicht, wie sie den schweren Körper bis hin zu dem abgelegensten Ort schaffen konnte, der ihr einfiel. Wie sie ungesehen von dort bis in ihr Zimmer flüchten konnte.

      Sie starrte auf den Dolch vor ihr. Mit Blut befleckt. Ihre Hände ebenfalls. Sie versuchte diese an ihrem Kleid abzuwischen, doch dadurch verfärbte sich nur der helle Stoff. Sie schrie ihren Zorn heraus. Alles hätte so einfach gehen können. Sie hätte einfach wieder gehen können und nichts wäre geschehen und niemand hätte erfahren, was hätte geschehen können. Doch noch bevor sie gehen konnte hatte Rawnes sich einfach umgedreht und sie stand da mit der Waffe in der Hand. Und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass es ja gar nicht ihre war und das niemand davon wissen durfte, dass Atúl jemals hier gewesen war. Ihr wurde bewusst, dass es nur einen Weg gab, dass es auch niemand erfahren würde. Gleichzeitig war da dieser Ausdruck in den Augen Rawnes', der nur allzu deutlich verriet, dass die junge Priesterin ebenfalls wusste, was geschehen sollte. Es gab gar keine andere Möglichkeit.

      Sie spürte noch immer ihre Panik, mit der sie einfach drauflos gestochen hatte. Ihre Verzweiflung, was passieren würde, wenn es jemand erfahren würde. Erst hinterher wurde ihr wirklich vor