Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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sie waren, dann musste er sich gestehen, dass seine Antwort mit der des Rates übereinstimmte.

      "Es hieß, Menschen hätten ihn erschaffen.", kam es aber über seine Lippen.

      "Es heißt, die Menschen hätten uns alle erschaffen, doch über diese Theorie lässt sich lange und ausgiebig diskutieren. Nur hierfür haben wir keine Zeit.", entgegnete das hagere Ratsmitglied.

      "Glaubst du daran, Jack Bradley?" Wie eine leise Musik erklang die Stimme der zauberhaften Hohepriesterin Sayonara durch den Raum.

      Erneut zögerte Jack. Er hatte bereits vieles in seinem Leben gesehen, war weiter herum gekommen als manch Anderer in seinem Alter. Und vieles war ihm begegnet, was unerklärbar schien. Nur wenige Antworten fand er auf hundert Fragen, doch an was er glaubte, diese Antwort fiel ihm schwer.

      "Er glaubt an gar nichts.", knurrte der Berater neben dem König mit seinem harten Akzent. "An absolut gar nichts. Genauso wenig, wie sein einstiger Mentor."

      Diesmal fiel es Jack durchaus schwerer sich zurückzuhalten. Und hätte nicht Xejohl rechtzeitig mit einer gebieterischen Handbewegung eingegriffen, wären ihm sicher ein paar unkluge Worte aus dem Mund gerutscht.

      "Sprich nicht über Leute, die nicht anwesend sind.", wies der König seinen Nachbarn zurecht. "Wir wollen hier nicht diskutieren, ob ihre Gründe gut oder schlecht, oder ob Nekats Glaube an sie Wahrheit besitzen kann. Außerdem wollen wir uns auf die Gegenwart konzentrieren und nicht zu weit in die Vergangenheit geraten. Was zählt ist, das vor kurzem Geschehene zu sortieren, um uns so ein Bild von dem machen zu können, was geschehen muss. Nekat brach mit seiner Gruppe auf, um seine vor langer Zeit verschollenen Kinder zu finden. Er hat sie gefunden, doch währenddessen geschahen noch ganz andere Dinge, Rawnes."

      Die Herrin von Naksa stand langsam auf. Sie wusste eigentlich gar nichts. Nur von einer verlassenen Stadt hatte sie zu berichten, aber für Leute, die nicht dort waren, gab es sicherlich tausend Gründe, weshalb Shin'Anrar verlassen auf der Spitze des Fergales-Berges stand, einer der heiligen Stätten der Isk.

      "Es gab keinen wirklich erkennbaren Grund für uns nach Shin'Anrar zu gehen, doch es war wie... wie eine Vorahnung. Als wir dort ankamen, war die Stadt verlassen. Vollkommen leer, es gab keine Lebenden aber auch keine Tote. Es gab einfach gar nichts."

      "Vielleicht sind sie aus der Stadt geflohen?", mischte sich ein kleines, schmales Wesen ein, welches ebenfalls nicht aus Zahur stammte, sondern von sehr weit gereist kam, um seinem Land über die Umstände berichten zu können.

      "Aber wo sollten sie denn hin?", kam es von der anderen Seite des Tisches, wo ein alter Bibliothekar aus Sunspring saß. Er schob seine klapprige Brille nach unten und sah das Wesen über die Ränder hinweg an. Es war bekannt, dass Bibliothekare sehr herablassend werden konnten und man sich unter ihren Blicken wie ein kleines, dummes Schulkind fühlte.

      "Sie haben die Stadt nicht verlassen.", wiederholte Rawnes noch einmal mit deutlicherer Betonung. "Es sah alles eher nach dem genauen Gegenteil aus. Die Tore waren von Innen vollständig verriegelt. Sie hatten nicht einmal die Absicht nur einen Blick hinaus zu werfen."

      "Das sieht dann wohl eher nach einem Angriff aus.", stellte der Berater neben dem König sachlich fest. "Doch wer sollte so töricht sein Shin'Anrar anzugreifen? Die Stadt ist als uneinnehmbare Festung bekannt."

      "Der Tempel Ulastas ist entweiht. Wir fanden Justakas Zeichen dort.", fügte Rawnes hinzu.

      "Nicht einmal Justaka ist fähig diese Stadt anzugreifen, solange noch jemand darin ist.", erwiderte der Berater.

      "Das ist es doch eben!" Sie hatte gewusst, dass es nicht leicht sein würde vor diesen Leuten zu sprechen. Man hatte ihr gesagt, dass sie ihre eigenen Sichten von der Welt dort draußen hatten, auch wenn sie sie selten betraten. Sie waren stur und stellten sich meist absichtlich dumm, um ihren Willen durchsetzen zu können. "Es ist niemand mehr dort."

      "Wie sollen sie denn bitteschön verschwunden sein?", knurrte der Berater ungeduldig. Er wollte, dass es nun bald mit der eigentlichen Geschichte weiterging.

      "Sie sind nicht fort.", kam es plötzlich leise aus den Reihen der Zuhörer. "Sie sind noch immer dort."

      Alle Ratsmitglieder und Nicht-Ratsmitglieder, Besucher und Gäste und überhaupt alle Anwesenden drehten sich erstaunt zu der jungen Menschenfrau um, die sich von ihrem Platz erhoben hatte, allerdings nicht viel von ihrer Umgebung mitzubekommen schien. Ihre Augen schienen leer, als wäre sie in einer Art Trance und doch waren sie mit Leben gefüllt und irrten hin und her, als würde sie Dinge sehen, von denen sie alle nichts wussten.

      "Wer ist das?", fragte Xejohl, dem es normalerweise gar nicht gefiel, wenn sich fremde Leute in seine Besprechungen einmischten.

      "Faith.", antwortete Rawnes automatisch und ging schon um den Tisch herum auf die Frau zu. Dort verschaffte sie sich Platz zwischen den nun erneut murrenden Zuschauern und ergriff die warmen Hände, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. "Was siehst du, Faith?"

      Zunächst schien gar nichts zu geschehen, dann richtete Faith ihre dunklen Augen direkt in Rawnes'.

      Es war ihr kaum möglich viel von ihrer Umgebung erkennen zu können. Zwar herrschte helle Aufregung um sie herum und die Straßen waren voller hektischem Leben, aber alle Gestalten schienen vor ihren Augen nur schattenhafte Schemen zu sein, die sich schwammig vor ihr dahin bewegten. Versuchte sie in Gesichter zu sehen, blickten ihr nur dunkle, ausdruckslose Masken entgegen, die alle gleich zu sein schienen. Trotzdem ließ sich an ihrer Art sich zu bewegen, zu sprechen und untereinander zu agieren schließen, dass es sich um Isk handelte. Hunderte von Isk in einer riesigen von einer breiten Mauer geschützten Stadt.

      Die Stadt wiederum präsentierte sich in allen Details vor ihr. Kleine, flache Lehmhütten säumten die breite Hauptstraße auf der sie sich gerade befinden musste. Zahlreiche Nebenstraßen und kleine Gässchen durchzogen sich fächerförmig durch den Kern der Stadt. Von der Landschaft außerhalb ließ sich nicht viel erkennen, denn die Mauer war meterhoch und verbarg alles vor neugierigen Blicken. Sie bestand ebenfalls aus massivem Lehm und war nur nach innen mit dicken Baumstämmen verstärkt. Die Stämme waren so breit, dass sie ein erwachsener Mann sicherlich nur mit Mühe gerade eben mit den Armen umgreifen konnte. Sie mussten von weit her herangeschafft worden sein, denn in der näheren Umgebung gab es keine Wälder, die solch eine Menge an Holz liefern konnten. Die Mauer überragte auch sämtliche Gebäude, bis auf ein einziges.

      Zwar liefen alle um sie herum wie in Panik vor dem Tempel davon, doch sie wusste, nur hier würde es Antworten auf das Geschehen um sie herum geben. Der Tempel war riesig. Nicht nur von kolossaler Größe, so dass man ins Grübeln kam, wie die Isk hier in den Bergen eine solche meisterhafte Arbeit leisten konnten. Er streckte sich auch bis in die kleinsten Winkel der Stadt hinein. Er beherbergte nicht nur die Opferräume, Priester und Ruhestätten. Er bot Wohnraum für zahlreiche Arbeiter, die das Leben in der Stadt ermöglichten. Von gewöhnlichen Bauarbeitern bis hin zu Finanzministern. Wer auch immer in der Stadt etwas zu regeln hatte, lebte mit seiner gesamten Familie unter dem Schutz des Tempelgebäudes. Des obersten und heiligsten Tempels der Isk. Dem Tempel Ulastas.

      Sie war dem Gebäude immer näher gekommen, während sie immer einsamer wurde. Die Isk strömten in Massen in Richtung der Stadttore und als sie den Fuß des kleinen Hügels erreicht hatte, auf dem sich der Tempel in die Höhe wand, da konnte sie sehen, wovor sich die Isk fürchteten. Es hieß, der Tempel war mit einer Art Zauberspruch geschützt worden. Dieser Spruch würde die Dämonen von ihm fernhalten, so hieß es, doch anscheinend schien dieser Bann keine besonderen Auswirkungen auf Anrar auszuüben.

      Der mächtige Dämon bräuchte nur ein paar Schritte tun und er würde direkt im Zentrum stehen. Irgendetwas schien unglücklich verlaufen zu sein. Vielleicht verlor der Bann mit der Zeit seine Wirkung. Sie betrachtete Anrar. Sein schwarzer Mantel wehte leicht in einem geheimnisvollen Wind, der nur zu wehen schien, um Anrar einen machtvolleren Eindruck zu geben. Seine dunklen Haare wehten ebenfalls in diesem Wind und unterstrichen die Wirkung nur. Es war bekannt, dass die Dämonen wie Menschen aussahen, doch Faith musste sich an die Theorie erinnern, die auch Jack vor kurzem noch angesprochen hatte. Aber wieso sollten die Menschen Dämonen nach ihrem Ebenbild schaffen? Wenn die