Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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Tee gefüllt war. Nachdenklich blickte der Zwerg aus seinem Fenster. Nach seinen Erfahrungen musste der Mensch eigentlich schon längst an seinem Fenster vorbei geritten sein. Einen anderen Weg hier heraus gab es nicht. Es war sowieso ein sehr merkwürdiger Tag heute gewesen. Kurz nachdem der Mensch ihn besucht hatte, war ein weiterer Reiter den Hügel hinab gekommen. Doch er hielt nicht einmal vor seiner Hütte, sondern hatte sein Pferd angetrieben und war geradewegs auf das Feld hinaus geprescht, als wäre der Tod selbst hinter ihm her. Denn niemand ritt leichtfertig zu den Ruinen. Bisher hatte jeder wenigstens fünf Minuten dagestanden und mit Ehrfurcht und ab und zu leichter Angst auf den Weg vor ihnen geblickt.

      Seufzend stand der Zwerg auf und nahm Tasse und Kanne von dem Tisch. Danach ging er hinaus, betrachtete nachdenklich die letzten Herbstblumen, die schon dabei waren zu verblühen und sah auf das Feld hinaus. Er strengte seine scharfen Augen an, doch er konnte bei allem Willen nichts erkennen. Dabei sah man immer jemanden dort herumlaufen, wenn es dort jemanden gab. Brummend wollte er sich wieder in seine Hütte zurückziehen, doch da war ihm plötzlich, als würde der Boden unter ihm leicht erzittern. Er wandte sich noch einmal der verbrannten Stadt zu und da glaubte er ein schwaches Licht zu sehen. Ein Licht, dass mit einem Mal immer stärker wurde. Und es stieg gen Himmel und da fiel es wieder in sich zusammen und breitete sich über das Land aus, wie ein gigantischer Regentropfen, der herabgestürzt kam. Mit solch einer Geschwindigkeit, dass der Zwerg erschrocken quiekte. Doch bevor er sich schwerfällig in Sicherheit bringen konnte, war es auch schon wieder vorbei. Ratlos starrte der Zwerg eine Weile vor sich her, doch dann ging er zu Bett.

      Als er am nächsten Morgen wieder vor seine Tür trat, war die Welt um ihn herum wie verwandelt. Was ihm zuerst auffiel war, dass die Asche auf dem Boden verschwunden war und auch das Gras wirkte nicht mehr abgestorben braun, sondern erhielt einen blassen Schimmer grün. Die Mauern der Stadt schienen auf einmal mit Efeu und Moos überwuchert und hatten die unheimliche Schwärze verloren, die sonst viele Besucher immer abgeschreckt hatte. Als er beschloss den Weg hinabzugehen und sich alles einmal aus der Nähe anzusehen, da fand er ein Grab, aufgeschichtet mit mehreren Steinen. Er traf einige Menschen, doch sie hatten ihren leblosen Blick verloren und sie hatten sogar damit begonnen rund um das Grab einige Häuser aus Holzlatten zu errichten. Verwirrt versuchte der Zwerg herauszufinden, was denn geschehen sei, doch die Menschen schienen Furcht vor ihm zu haben und wichen ihm aus. Nur ein Mann kam auf ihn zu.

      "Hier ruht Gesh'Nekat.", sprach er. "Justaka brachte ihn hierher und errichtete dieses Grab."

      BEGINN

      Sie waren schon seit einigen Tagen unterwegs. Sie brauchten einige Zeit mehr, als sie geplant hatten, aber den größten Teil des Weges mussten sie ihre Pferde führen. Noch immer herrschte eine ununterbrochene Dunkelheit, die nun nicht mehr von einzelnen, heftigen Gewittern unterbrochen wurde, sondern hier hoch oben in den Bergen von umso heftigeren Schneestürmen. Ab und zu wurden sie sogar ganz zum Halten gezwungen, wenn man seine Hand schon nicht mehr vor Augen sehen konnte und selbst das lauteste Gebrüll von dem Heulen des Sturmes übertönt wurde. Doch Schutz gab es auf dieser Strecke des Weges kaum. Selten fanden sie eine geschützte, kleine Höhle in der sie Zuflucht finden konnten. Meistens boten ihnen nur die Pferde einen schwachen Ersatz hierfür.

      Noch viel schlimmer war der anhaltende Frost, der den auf dem Boden angekommenen Schnee sofort in massives Eis verwandelte. Dadurch erschwerten die spiegelglatten Wege das Vorwärtskommen nur noch mehr. Zudem herrschte eine unnatürliche Kälte, die selbst für das Ostgebirge ein wenig zu kalt war.

      David selbst hatte noch nie zuvor in seinem Leben eine solche Kälte erlebt. Sein Tal war meistens von schweren Wintereinbrüchen verschont geblieben. Es lag nahe genug am Ostgebirge, dass die schweren Wolken vor den Berggipfeln abgefangen wurden und sich dort ihrer Last entluden. Zwar waren sie nicht selten eingeschneit gewesen, aber trotzdem waren alle Situationen an die er sich erinnern konnte, weit harmloser als das hier.

      Ihre letzte Pause schien schon wieder Stunden her zu sein. Vielleicht war inzwischen sogar wieder Nacht, das war zurzeit schwer zu unterscheiden. Seine Augen drohten ständig zuzufallen und seine Füße schmerzten bereits grausam. An diesem Tag waren sie noch nicht einmal dazu gekommen auf ihren Pferden reiten zu können. An einigen Wegstellen in dieser breiten Schlucht fanden sie eine solche Eisschicht vor, dass sie die Tiere absatteln mussten und ihr Gepäck selbst tragen. Sie konnten es nicht riskieren eines bei einem Sturz zu verlieren. Die Verletzungsgefahr war einfach zu groß, wenn das Gewicht auf dem Rücken zu schwer wurde.

      Doch schneller als ihm lieb war, war auf einmal alles vergessen, als sie vor sich einige Reiter im Schnee stehen sehen glaubten. Voller Überraschung blieben sie mit einem Ruck stehen. Als sie nahe genug heran waren, löste sich der vorderste Reiter von der Gruppe und kam ein paar Schritte auf sie zu. Mit Erschrecken erkannte David ihn wieder. Es war der gleiche Reiter auf dem gleichen, riesigen Schimmel, der ihm schon in Caparian City begegnet war. Der blaue Umhang wehte leicht im Wind. Doch ansonsten schienen Ross und Reiter kaum von dem um sie herum tobenden Unwetter beeindruckt. Wie ein helles Licht am dunklen Nachthimmel stand er wie aus dem Nichts vor ihnen. Dann verschwand das Bild, ohne das er etwas dagegen tun konnte, vor seinen Augen.

      Es war Nacht. Ein schreckliches Gewitter tobte. Der Himmel schrie seinen Protest, war jedoch unfähig etwas zu tun. Die zornigen Blitze erhellten den Schauplatz einer der größten Tragödien der Geschichte.

      David erkannte den Ort wieder, auch wenn er sich stark verändert hatte. Vor langer Zeit war er einmal mit Pitch bei der Ruine gewesen, doch er hatte sich spannendere Abenteuer ausgemalt, als es dort zu sehen gab. Nur ein Haufen Schutt und Asche war nicht besonders interessant für einen Jungen, in dessen Alter er damals war.

      Er stand in einem langen Gang im Innern der Festung Moragán. Direkt vor einem Fenster, welches auf den Burghof hinaus zeigte. Die Burg war vollkommen intakt. Die Mauern zeigten kein einziges Loch. In den Ställen sah man einige Ponys stehen, aus den Scheunen quoll das Stroh. Auf dem Burghof selbst war ein ganzes Heer versammelt. Soweit David es in der Dunkelheit erkennen konnte, waren es Isk-Krieger.

      Doch die beiden Gestalten, die vor dem Fenster standen, waren es nicht. Sie waren David völlig fremd. Der eine hatte pechschwarze, lange Haare, die ihm wirr ins Gesicht fielen. Sein Gesicht war lang und schmal. Die Stirn hoch und die darunter liegenden Augen lagen tief in den Höhlen. Ein dunkles Licht glühte in ihnen, das jeden sterblichen Menschen in Angst und Schrecken versetzen ließ. Sein Mund war im Vergleich zum Rest des Gesichts ein wenig vorgeschoben und wenn er sprach zeigten sich die scharfen, spitzen Zähne. Er war ziemlich groß und hatte eine aufrechte und recht muskulöse Gestalt. Seine Stimme war tief und hohl und schien an den Wänden der Gänge widerzuhallen. Doch trotzdem wusste David, dass es sich bei ihm um einen Angehörigen des gefürchteten Volkes der Hujak handelte, auch wenn ihm dieses Wort im Moment gleichzeitig überhaupt nichts sagte. Er hatte keine Ahnung, woher dieses Wissen stammte, aber es war da.

      Neben dem Hujak stand ein Mann, dem David ebenfalls kein ihm bekanntes Volk zuordnen konnte. Er war ein wenig kleiner und hielt sich respektvoll im Hintergrund. Seine langen, braunen Haare umrahmten ein fast schon perfektes Gesicht. Als er sich herumdrehte, konnte David in seine dunklen Augen sehen. Er hatte noch nie zuvor in seinem Leben eine Elfe gesehen und er hatte sie sich nach den kurzen Beschreibungen von Tarry und Céwik ein wenig anders vorgestellt, doch tief in seinem Herzen spürte er es einfach. Er hatte das Gefühl bis tief in die Seele des Mannes sehen zu können, doch gleichzeitig war er sich sicher, dass es nicht das wahre Wesen des Mannes war, welches er zu sehen glaubte. Dieser Anflug verschwand sofort, als sich der Mann wieder zum Fenster drehte. Er zog seinen Fellmantel enger um sich, als ein scharfer Wind durch den Gang fegte.

      Der Hujak beugte sich ein Stück weit vor und seine Stimme schallte über den Burgplatz. Und jetzt sah David auch, warum die Armee im Hof versammelt war, der Hujak die ganze Zeit beunruhigt vor sich hingebrummelt hatte und die Nacht eine finstere Stimmung verbreitete. Vor dem hölzernen, riesigen Tor stand eine zweite Armee. Doch diese war viel größer und bestand aus Menschen, nicht aus Isk.

      Auf dem Befehl des Hujak öffneten sich die beiden dicken Holztüren des Tores und die Isk machten sich bereit dem Feind entgegenzutreten. Es blieb nur wenig Zeit, denn kurz darauf trafen die beiden Heere zusammen. Der Kampf verlief für die Isk überraschend gut. Trotz ihrer Minderheit kämpften