Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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das Wetter reden möchte."

      "Na ja, normalerweise haben Gespräche so etwas wie eine Einleitung.", versuchte Nekat zu erklären, doch er traf nur auf Unverständnis. "Aber schön, lassen wir das weg. Stört mich nicht."

      "Ich komme eben gerne schnell auf den Punkt.", verteidigte sich Justaka.

      "Ich fange lieber immer mit einer Einleitung an.", meinte Nekat, als überlegte er nur laut vor sich hin. "Da kann man seinen Gesprächspartner schonend darauf vorbereiten, was man von ihm will. Weißt du, da fällt man nicht so plötzlich über ihn her."

      "Ich glaube, das haben wir nicht nötig.", stellte Justaka fest, den das Gespräch nur zu sehr verwirrte.

      "Kann schon sein.", stimmte Nekat ihm zu. "Ist nur die Macht der Gewohnheit."

      "Schön.", brummte Justaka missmutig. "Und wie macht man so eine Einleitung?"

      Nekat sah ihn nur weiterhin an und versuchte sich nicht über ihn lustig zu machen. "Man redet über belanglose Dinge."

      Justakas Augen wurden ein wenig schmaler. "Nun, das haben wir ja jetzt schon getan.", meinte er mit einer kleinen Schärfe in seiner Stimme.

      "Sicher. Dann können wir wohl zur Sache kommen.", stellte Nekat fest.

      "Wieso bist du hier, Nekat?" Justaka blickte nun ebenfalls über die Weiten der Ebene. Am Himmel begannen sich dunkle Wolken zusammenzuziehen. Es sah nach Regen aus. Vielleicht würde es sogar schon den ersten Schnee geben, doch dafür war es eigentlich noch zu warm. Doch die Zeit kam langsam immer näher.

      "Aus welchem Grund sollte ich nicht hier sein?", fragte Nekat zurück.

      "Du hast die ganze Zeit über nach deinen Kindern gesucht.", erwiderte der Dämon langsam. "Das weiß ich. Du hast sie gesucht, auch wenn du wusstest, dass es sinnlos sein würde. Denn was hast du dir davon erhofft? Sie zu finden, zu wissen wo sie wären und sie dann doch wieder sterben sehen? Und jetzt hast du sie gefunden. Jetzt, wo du sicher sein kannst, dein Leben zu beenden, welches kurzzeitig angehalten wurde. Jetzt, zweitausend Jahre später. Ich bewundere deine Hartnäckigkeit. Doch stellt sich mir die Frage, weshalb du diese Zeit nicht mit ihnen verbringen möchtest. Denn woher weißt du, ob diese Zeit nicht viel schneller vorbei sein kann, als du bisher annahmst. Dein Leben könnte von nun an kurzfristig zu Ende gehen, ohne dass du es geplant hast. Also frage ich dich, wieso bist du hier?"

      Nekat sinnierte eine Weile über eine mögliche Antwort dieser Frage nach. Er gestand sich, dass ihm dies nicht leicht viel. "Vielleicht hast du recht. Ich könnte meine noch verbleibende Zeit so weiterleben, wie ich es ursprünglich vorgehabt hatte. Denn ich habe meine Kinder vermisst, wie ich meine Frau vermisst habe. Doch nur die Kinder sind mir noch geblieben und ich wusste, dass auch sie irgendwann wieder leben würden. So wie es am Beginn war. Sie würden ihre Erinnerungen zurückerlangen uns so sein wie früher, damit sie ihre Pflichten erfüllen, die ihnen die Geschichte auferlegt hat. Doch als ich sie endlich fand, wusste ich, dass nichts mehr sein würde, wie es früher war, denn es lagen zweitausend Jahre dazwischen und mögen ihre Erinnerungen zurückkommen, haben sie doch noch immer die Erfahrung aus ihrem jetzigen Leben. Ich bin in diesem Leben nicht ihr Vater und werde es auch nicht sein können. Ich habe gesehen, dass sie leben und dass sie weiterleben werden. Und ich weiß, dass sie glücklich sind, wie sie bisher gelebt haben. Vielleicht wird es ihnen nicht möglich sein, dieses Leben unbeschwert weiterzuleben, doch sie brauchen mich nicht. Also kann ich mich Dingen zuwenden, die mich ebenfalls zweitausend Jahre lang verfolgt haben."

      Er stand auf, klopfte sich den Dreck von der Hose und zog sein Schwert aus der Scheide. Justaka betrachtete ihn nur unberührt.

      "Du würdest nicht gegen mich gewinnen können.", meinte er gelassen. "Das ist unmöglich."

      "Das weiß ich.", antwortete Nekat mit ebensolch einer Ruhe. "Glaubst du, dies hätte ich vergessen? Doch diese Erde verlangt nach meinem Blut. Denn hier ist etwas geschehen, was nicht hätte geschehen dürfen. Wie mein Leben einfror, so ist auch das Leben hier eingefroren."

      "Du meinst es ernst." In Justakas Stimme lag eine leichte Bitterkeit. Als würde es ihn doch in irgendeiner Art berühren, was hier geschah.

      "Ich habe diese Stadt geliebt.", fuhr Nekat fort. "Und ich liebe sie heute immer noch. Ich bin es ihr schuldig. Also lass uns dort beginnen, wo wir letztes Mal aufgehört haben."

      Probeweise ließ er sein Schwert durch die Luft schneiden. Mit einem leisen Zischen folgte es willig jeder seiner Bewegungen. Es schien leicht wie eine Feder in seiner Hand zu liegen.

      Währenddessen hatte sich Justaka erhoben und ebenfalls seine Klinge gezogen. Obwohl es eher den Anschein hatte, als wäre sie auf einmal in seiner Hand erschienen. Vielleicht war es sogar so, denn dieses Schwert war ganz und gar nicht so, wie ein normales Schwert sein sollte. Ihm fehlte es einfach an Substanz. An Wirklichkeit. Anstatt einer Klinge aus Stahl besaß es eine Klinge aus Luft, wie es schien. Nicht einmal die Strahlen der Sonne zerteilten sich an ihr, sondern gingen einfach hindurch, wie alles hindurch gehen würde, was hindurch gehen sollte. Nur ein leichtes Flackern verriet, dass sie überhaupt vorhanden war. Und trotzdem war diese Klinge schärfer, als jede andere auf dieser Welt.

      Als Justaka sein Schwert durch die Luft gleiten ließ, geschah dies völlig lautlos. Und als ihre Waffen zusammentrafen, gab zwar Nekats Schwert ein helles Klingen von sich, wie es üblich war, wenn Eisen auf Eisen trifft, aber Justakas Schwert gab nur einen dumpfen Ton ab, der mit rein gar nichts zu vergleichen war und wahrscheinlich nur ertönte, um darauf hinzuweisen, dass die Klinge gerade auf Widerstand gestoßen war.

      "Ich habe nur eine Bitte.", wandte Nekat ein.

      "Du kannst mich bitten, was du willst.", behauptete Justaka. "Doch kann ich dir nicht garantieren, dass ich deine Bitte gewähren kann."

      "Verzichte auf Rugar."

      Überrascht wehrte Justaka mühelos einen weiteren Hieb ab. "Du bittest für Rugar? Du bittest für denjenigen, der deine geliebte Stadt, die Stadt, in der du geboren, in der du aufgewachsen bist, in der selbst deine Kinder geboren wurden, niederbrennen ließ bis auf den Grund ihrer Mauern? Für ihn bittest du?"

      "Er entfachte den Funken und schürte das Feuer, welches Silver Rain vernichtete. Aber er tat es nicht nach seinem Willen. Ich glaube, dass er nicht einmal einen Willen hatte, als er dies tat, oder dass er selbst einen Willen danach gehabt hätte. Doch nun scheint er einen gefunden zu haben und ich denke, er hat nun ein besseres Leben, als er es bisher hatte. So merkwürdig es auch sein mag, aber er ist mein Freund geworden. Mein bester, vielleicht einziger Freund. Immerhin kennen wir uns jetzt zweitausend Jahre lang."

      "Es war schon merkwürdig genug, dass du ihm das Leben gerettet hast." Ihre Schwerter zogen durch die Luft und trafen aufeinander, als würden sie einem regelmäßigen Muster folgen. Doch mühelos war es, als wäre es nur ein einstudiertes Spiel. "Während andere ihn sterben hätten lassen."

      "Vielleicht brauchte ich gerade ein wenig Unterhaltung." Nekat achtete auf jeden seiner Schritte und bewegte sich trotzdem kaum von seiner Stelle. "Auch wenn er mir die ersten hundert Jahre auf die Nerven ging, war es doch angenehm jemanden bei sich zu haben, der nicht nach kurzer Zeit gleich wieder verstarb."

      "Deine Bitte ehrt dich." Justaka wich einem Hieb leichtfüßig aus, um kurz darauf einen Gegenschlag zu landen. "Doch ich kann sie dir nicht gewähren. Ich rufe ihn nicht zurück, denn ich brauche ihn nicht mehr. Er unterliegt einem anderen Zwang, der sein Denken bestimmt. Es ist die Magie, die stärker ist als zuvor, seit ich wieder diese Welt betrat, nachdem ich das Gleichgewicht erneut verschob. Wenn er ihrem Willen unterliegt, dann wird er wieder zurück kommen. Doch nur er kann es bestimmen. Es tut mir leid."

      "Das verstehe ich." Nekat spürte, wie ihm die Kraft verloren ging. Die Schläge wurden immer schwerer abzufangen. Es würde nicht mehr lange dauern und es wäre zu Ende. Ab und zu kam er ins Straucheln, doch er fing sich wieder. Er konnte den Kampf schneller beenden lassen, aber dies war unter seiner Würde.

      Am Ende des Trampelpfades, kurz bevor der Weg den Hügel hinauf begann, stand eine kleine Hütte. In ihr lebte ein kleiner, verrunzelter Zwerg. Zurzeit saß er vor seinem großen Küchentisch mit einer