Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
Скачать книгу
damit zurecht zu kommen. Er hatte kaum Schwierigkeiten sich anzupassen, ließ Jacks abwertende Kommentare einfach wirkungslos abprallen und gewöhnte sich schneller an die ungewohnten Strapazen als Faith es tat.

      Immer öfter begann sie sich zu fragen, was in aller Welt sie dazu bewogen hatte mit ihnen zu gehen. Es hatte eigentlich alles mit dem Einsetzen dieser Träume begonnen, in denen sich dies alles schon im Voraus gezeigt zu haben schien. Das Erschreckende an der Sache war, die Erkenntnis, dass die vermeintlichen Träume weit mehr als nur Träume waren. Nur verstanden hatte sie ihren Sinn nicht. Erinnerungen wie aus einem anderen Leben waren es gewesen. Ein Leben in einer anderen Zeit, in einer anderen Familie, die in einer ganz anderen Stadt lebte. Einen Bruder hatte sie gehabt und sie hatte diese Träume eine ganze Zeit lang genossen, denn so war ein Leben, wie sie es gerne gehabt hätte.

      Doch bald merkte sie, ihre Träume waren nicht mehr länger Träume, sondern eine erschreckende Realität annahmen. Bewusst wurde ihr dies besonders, als sie den Vater ihrer Träume vor sich erblickte. Ihr war klar gewesen, sie würde nur Antworten finden, wenn sie mit den Fremden gehen würde und so hatte sie den Schutz ihres Zuhauses verlassen, ohne dass irgendjemand sonst noch davon wusste.

      Doch wofür? Erreicht hatte sie nur, dass das Geschehen um sie herum nur noch rätselhafter, verwirrender und vor allem gefährlicher wurde. Manchmal geriet sie in Situationen, in denen sie am liebsten allen ihren Gefühlen freien Lauf lassen wollte und einfach stehen bleiben und heulen. Aber sie wusste, dass es nicht ging. Auch wenn ihr alle Knochen von den ungewohnten Strapazen schmerzten, so würde es niemanden kümmern, wenn sie einfach halten würde oder gar umkehren. Aber ihre Träume wurden schlimmer. Sie spiegelten Ereignisse wieder, die ganz sicher nicht zu ihren Erinnerungen gehörten, denn sie stammten aus Zeiten der Geschichte, die sie mit absoluter Sicherheit noch nicht erlebt hatte, soviel hatte sie mittlerweile gelernt. Es war als würde ein aufgeschlagenes Buch vor ihr liegen, aus dem sie allerdings nicht lesen konnte, sondern dessen Inhalt sie gleich miterlebte. Ob sie nun wollte oder nicht.

      Derart in Gedanken versunken bemerkte sie Stalca erst, als er unmittelbar vor ihr stand. Stumm sah der Isk eine Weile auf sie hinab, schien auf eine Aufforderung ihrerseits zu warten. Sie spürte seinen prüfenden Blick, der ihr allmählich unangenehm wurde und so brach sie die Stille.

      "Was ist?", fragte sie wenig höflich, aber im Grunde wollte sie auch nicht gestört werden.

      Er warf einen Blick über die Schulter zu der Gruppe hinüber, als überlege er, ob es nicht doch eine klügere Idee gewesen wäre wieder ans Feuer zurück zu gehen. Er zuckte mit den Schultern, was wohl seine Antwort darstellen sollte.

      "Warum sitzt du hier so allein?", wollte er stattdessen wissen. Sie mochte den Akzent in seiner Stimme. Weshalb wusste sie auch nicht genau, vielleicht war es die Spannung und Neugier des Fremden.

      Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass sie ihre Ruhe haben wollte, doch das stimmte schließlich nicht. Sie hatte nur nicht den Mut Anderen gegenüber ihre Probleme darzustellen. Sie käme sich lächerlich vor, würde sie über Träume erzählen, die sie nicht für Träume hielt, da sie diese nach und nach zu kontrollieren vermochte.

      Da er keine Antwort erhielt, sie ihn aber auch nicht fort schickte, setzte er sich neben sie auf den erdigen Boden. Er hielt den Abstand, den er für angemessen erachtete, was Faith als zu nah empfand, da sie ihn immerhin nicht kannte, doch sie protestierte nicht. Sie war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch allein und in Gesellschaft zu sein.

      "Wo kommst du her?" Er schien ein Gespräch in Gang bringen zu wollen, auch wenn sie ihn nicht als besonders redselig eingeschätzt hatte.

      "Aus Merewar, ziemlich weit im Süden, fast schon an der Grenze zu Karimdon.", ging sie darauf ein. "Dort ist nicht besonders viel los, es ist nur ein kleines Dorf."

      Ihr fiel nichts mehr ein, was sie noch zu erzählen hätte, also schwieg sie. Allmählich spürte sie Heimweh, was sie bis heute erfolgreich bekämpft hatte. Nun aber gewann es die Oberhand.

      "Was willst du von mir?" Sie erinnerte sich daran nicht allein zu sein.

      Er sah sie fragend an. "Was meinst du?"

      "Niemand kommt einfach so auf einen zu. Man hat eigentlich immer einen Grund, oder nicht?", behauptete sie sicher.

      "Mag sein." Er zuckte lächelnd mit den Schultern. "Vielleicht war es Neugier? Ich habe noch nie vorher eine Frau von euch gesehen.", fuhr er fort, nach einem forschenden Blick ihrerseits.

      Erst jetzt wurde ihr richtig bewusst, dass sie aus zwei verschiedenen Welten stammten, die sich nicht unbedingt freundlich gegenüber gesinnt waren. Statt betretenem Schweigen wählte sie jedoch lieber den direkten Weg.

      "Und?", hakte sie nach. "Zu welchen Erkenntnissen bist du gekommen?"

      "Angenehmen. Immerhin kannst du verständlich sprechen und hässlich bist du auch nicht.", meinte er leicht scherzhaft. "Es gibt im Grunde auf den ersten Blick kaum erkennbare Unterschiede. Keine Ahnung, womit ich gerechnet hätte."

      Wieder dieses Schulterzucken, was seine Unsicherheit verriet und damit, dass er ihr nicht die volle Wahrheit sagte, aber sie beließ es dabei. Was er ihr nicht sagen wollte, wollte er ihr nun einmal nicht sagen, auch wenn es sie interessiert hätte, welches Bild er von ihnen hatte.

      "Faith!" Ausgerechnet Jack hatte sich von der Gruppe getrennt und rief zu ihr herüber. Nur widerstrebend stand sie auf und ging auf ihn zu.

      "Sei vorsichtig bei dem, was du tust.", warnte er sie.

      "Was soll das? Er ist nett.", entgegnete sie unwirsch.

      "Wenn es so bleibt.", beharrte Jack ruhig.

      "Als ob er irgendwie bösartig wäre.", protestierte sie schnippisch.

      "Ich rede in dem Fall nicht von ihm sondern von uns.", korrigierte Jack. "Zumindest aus seiner Sicht -- und ich behaupte nicht, dass dies schlecht wäre. Was gäbe es auch anderes zu erwarten? Wenn dir eine alte Frau auf die Füße tritt und dir deine Handtasche klaut, begegnest du dann nicht allen alten Frauen mit der gleichen Erwartung? Und das war nur ein harmloses Beispiel. Er wurde zutiefst verletzt, seelisch wie wohl auch körperlich, ihm wurde jeglicher Besitz verwehrt, durfte in einer fast zusammen gefallenen Hütte wohnen. Was glaubst du, denkt er über uns?"

      Wäre nicht der unerwartete Ernst in Jacks Stimme gewesen, hätte Faith ihn wohl einfach stehen gelassen.

      "Ich will mich nirgendwo einmischen, du weißt was du willst.", fuhr er fort. "Ich will dich nur warnen, damit du vorsichtig bist."

      Nun wandte er sich von ihr ab und kehrte zum Lagerfeuer zurück. Sie warf einen Blick über die Schulter, aber Stalca war auch schon gegangen. Nachdenklich setzte sie sich wieder auf ihre Matratze und wickelte sich in ihre Decke ein.

      Nun, wo sie sich wieder begann Fragen zu stellen, über die beiden Neuankömmlinge, fingen auch ihre Träume wieder von vorne an.

      Es musste Winter sein. Die gesamte Landschaft vor ihr war mit Schnee bedeckt und auch jetzt fielen noch immer einige Flocken vom Himmel hinab. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, trotzdem war der Boden vor ihr mit zahlreichen Fußspuren übersät. In weiter Entfernung, aus Richtung der Spuren, glaubte sie ein hohes Gebäude erkennen zu können. Einen hohen Turm, der in den Himmel ragte und um ihn herum schienen sich weitere Häuser zu befinden. Eine Burg vielleicht. Ansonsten war nicht mehr zu sehen, denn sie schien sich in einem Tal zu befinden, dass von einer langen, hohen Hügelkette umgeben war. Nachdenklich drehte sie sich herum und versuchte herauszufinden, wo die Spuren hinführten.

      Plötzlich schien sie sich an einem ganz anderen Ort zu einer ganz anderen Zeit zu befinden. Dichtes Schneetreiben erschwerte die Sicht nun zusätzlich, doch es war kaum zu übersehen, dass sie nicht mehr allein war. Trotzdem wich sie nicht zurück, denn inzwischen war ihr bewusst nicht von anderen gesehen werden zu können. Eine Gruppe aus mehreren verhüllten Gestalten schien fast mühelos durch den Sturm zu wandern. Eine weitere Gestalt stampfte mühsam hinterher.

      "Das kannst du nicht tun!", rief diese der Gruppe hinterher. Er war ihr nahe genug, dass sie ihn erkennen konnte. Doch solch einen Bewohner Zahurs hatte sie noch nie zuvor gesehen.