Prophezeiungen der Weisen. Dörthe Haltern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dörthe Haltern
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844263015
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er nicht, was er zu sehen bekam.

      "Ihr seid ein Zwerg.", bemerkte er schließlich.

      "Ja, das bin ich.", bestätigte dieser. "Für wen haltet Ihr mich denn sonst? Ja, so sind sie. Jeder fragt dies, wenn er vor mir steht."

      "Aber...", wollte der Wanderer ansetzen.

      "Spart euch Eure langen Fragen.", wehrte der Zwerg ihn ab. "Hier gibt es vieles, was nicht sein darf."

      Der Wanderer nickte bedächtig. Der Zwerg war angenehm überrascht, denn nicht viele akzeptierten diese Antwort sofort.

      "Sagt, kommen hier viele des Weges?", wechselte der Wanderer das Thema.

      "Sicher.", antwortete der Zwerg bereitwillig. "Seht Euch nur den Weg an! Man könnte meinen, dies wäre eine der viel befahrenen Handelsstraßen des Reiches. Es kommt selten vor, dass man hier mehrere Tage seine Ruhe genießen kann. Die meisten sind einfach nur abenteuerlustige Gesellen, die einmal etwas gehört in den seltensten Fällen gelesen haben und nun auf Abenteuer los sind. Sie alle sagen dasselbe, dass diese Ruinen sie wie magisch angezogen hätten. Doch dann stehen sie hier neben mir und blicken auf das Feld vor ihnen, so wie Ihr gerade heute, und plötzlich lässt diese Anziehung auf ebenso phantastische Weise nach. Sie sind sozusagen geheilt, noch bevor sie ihr Ziel erreicht haben. Einige sind ein wenig hartnäckiger und ich muss sie erst noch davon überzeugen, dass es besser für sie wäre umzudrehen und einige wagen es wirklich auf das Feld hinaus, aber schon bald sehe ich sie wie der Blitz wieder an meinem Fenster vorbei sausen. Nicht einmal auf Wiedersehen sagen sie. Doch nicht alle sind so, mit einigen konnte ich noch eine Tasse Tee trinken und wir unterhielten uns über das Geschehen in der Welt. Wollt Ihr vielleicht auch ein Tässchen? Ich habe feinsten Waldblüten-Tee hier. Etwas wirklich Außergewöhnliches."

      "Nein, danke.", murmelte der Wanderer, während er seinen Blick kaum von den schon nahen Ruinen lösen konnte.

      "Ah, verstehe.", brummte der Zwerg. "Ihr seid einer von der schwierigen Sorte."

      Er musterte den Menschen eine Weile. Menschen, so waren seine Erfahrungen, waren eigentlich sehr schnell davon zu überzeugen, ihr Vorhaben bleiben zu lassen. Deswegen war er schon ein wenig erstaunt. "Woher kommt Ihr und aus welchem Grund seid Ihr hier?"

      Der Wanderer schien seine Frage zu überhören. "Was seht Ihr, wenn Ihr auf das Feld hinausblickt?", fragte er stattdessen.

      Der Zwerg drehte sich ein wenig verdutzt um. So eine Frage hatte wirklich noch niemand gestellt. Die meisten erzählten immer sehr schnell und sehr gerne ihre Karriere-Geschichte, die sie an irgendeiner Universität abgeschlossen hatten.

      "Ich sehe verbrannte Erde, die sich nie erholen wird, als laste ein schwerer Fluch auf ihr. Ich sehe die Ruinen einer ebenfalls verbrannten Stadt. Ab und zu sehe ich sogar seelenlose Gestalten, die umherirren und manchmal sogar wirklich schauerliche Laute von sich geben. Vor kurzem erst, kamen sie sogar bis zu meiner Hütte. Ich bekam vielleicht einen Schrecken! Ich dachte, jetzt ist es aus, jetzt gehen sie auf die Welt los, aber sie zogen sich wieder zurück. Mehr sehe ich nicht. Was meint Ihr denn zu sehen?"

      Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen, bis der Wanderer sich doch noch dazu entschloss zu antworten. "Silver Rain.", hauchte er fast. "Ich sehe die weiß gekalkten Häuser, an deren Wände sich das Sonnenlicht spiegelt und es einem in den Augen brennt, wenn man gegen Mittagszeit direkt darauf sieht. Ich sehe das riesige Kuppeldach der Bibliothek, wie es sich in den Himmel erstreckt, als wolle es zu den Sternen greifen. Die Sonne bricht sich auf dem Glas und strahlt in alle Richtungen, als wäre sie selbst direkt über der Stadt. Ich sehe die Kinder, wie sie über die Wiesen tollen. Kurz vor den Frühlingsfesten sitzen sie dort in Scharen und binden sich Blumenkränze, die sie sich dann während der Feiern aufbinden. Ich sehe die Frauen, wie sie mit ihren Körben voller Wäsche zum Fluss hinunter laufen.

      Wusstet Ihr, dass es hier einst einen Fluss gab? Er versorgte die gesamte Stadt mit frischem Wasser. Nur in den Frühjahrestagen, wenn das Schmelzwasser die Berge hinab kommt, muss man darauf Acht geben, dass einem der Keller nicht voll läuft. Der Fluss verschwindet irgendwann in den Boden in eine kleine Höhle. Die Kinder passen noch durch die enge Öffnung und im Hochsommer baden sie gerne in den kühlen Schatten. Doch es ist nicht ganz ungefährlich. Mein Sohn wäre beinahe ertrunken. Seine Schwester hat ihn gerettet. Dabei war sie erst acht Jahre alt. Sie haben mir erst zwei Jahre später davon erzählt, da sie befürchteten, ich würde ihnen verbieten wieder dort hinzugehen."

      Der Zwerg betrachtete den Wanderer erstaunt. "Ihr habt eine wirklich ausgeprägte Phantasie, mein Herr.", meinte er kopfschüttelnd. "Sagt, wer seid Ihr eigentlich?"

      Endlich schien der Wanderer sich für einen Moment von dem Anblick lösen zu können. "Fragt Ihr das auch jeden, der hier vorbeikommt?"

      "Nein, eigentlich nicht.", gab der Zwerg zu. "Meistens frage ich sie erst, wenn sie bereits eine Tasse Tee getrunken hatten. Aber ich habe es so im Gefühl, dass wir beide keinen Tee zusammen genießen können."

      "Hm, da mögt Ihr wohl Recht haben.", stimmte ihm der Wanderer zu. Dann schien er sich endgültig von einer anderen Welt loszureißen und sah dem Zwerg direkt in die Augen. "Mein Name ist Hares. Ich besitze einen Gutshof in der Nähe der Stadt Overwealth. Doch leider ist es mir kaum gegönnt zu Hause bei meiner Familie sitzen zu können, denn ich arbeite an der Universität von Caparian City und diese Arbeit hält mich meist die ganze Zeit über in der Hauptstadt."

      Mit diesen Worten wandte sich der Wanderer von dem Zwerg ab und stieg wieder auf sein Pferd. In zügigem Tempo ritt er auf das Feld hinaus. Der Zwerg sah ihm nur kopfschüttelnd hinterher.

      "Wieder so einer.", murmelte er in seinen Bart. "Ein Fluss! Hier hat es nie einen Fluss gegeben!"

      Er gab ihm höchstens fünf bis zehn Minuten, während er wieder in seine Hütte ging und einen Kessel Tee aufsetzte.

      Es war warm. Fast zu warm für diese Jahreszeit, doch die Sonne stand hoch am Himmel und brannte ungehindert auf die braune Erde. Von dem Hügel aus, auf dem Nekat saß, hatte man einen weiten Blick über das gesamte Land, welches sich von hier aus bis zu den Bergen streckte. Einst war es mit weiten, saftigen Wiesen bedeckt. Nur wenn es stark geregnet hatte, bildeten sich vereinzelt kleine Seen, die aber schnell wieder austrockneten. Einst liefen Pferde und Rinder über diese Wiesen. Frei von Zäunen und trotzdem blieben sie bei der Stadt, doch nun gab es kein einziges Tier mehr. Nicht einmal einen noch so kleinen Vogel. Tod war das Land vor ihm. Auch von dem Fluss war kaum mehr eine Spur geblieben. Kannte man seine ungefähre Lage, konnte man gerade noch das ausgetrocknete Flussbett erkennen, welches im Laufe der Zeit immer weiter von Sand verweht wurde.

      Eine Gestalt kam heran. Sie kündigte sich durch einen langen Schatten an, der von Süden her auf den Boden geworfen wurde. Langsam kam sie näher, dann blieb sie stehen, unschlüssig, ob sie sich setzen wolle. Anscheinend schreckte der Boden sie ab. Doch schließlich raffte sie ihren Mantel zusammen und ließ sich mühsam auf den Boden sinken. Zuerst wusste sie nicht wohin mit ihren Beinen, doch dann saß sie, wie Nekat auch, mit überkreuzten Beinen da und starrte ebenfalls auf das weite Land. Aber schon bald fand sie keinen Gefallen mehr daran und fragte sich, was es denn Spannendes zu gucken gäbe.

      "Nach was hältst du Ausschau, Nekat?", fragte die Gestalt schließlich.

      Nekat spürte einen leichten Schmerz in seinem Kopf, doch er verflog schon bald wieder. "Ich halte nicht nach irgendetwas Ausschau. Ich blicke nur über das Land und stelle mir vor, wie es einst gewesen war. Ich versuche mich an die alten Zeiten zu erinnern. Es ist ein schöner Tag heute. Ziemlich warm. Es könnte fast noch Sommer sein."

      Die Gestalt blickte Nekat verständnislos an. Nekat spürte diesen Blick. "Jetzt müsstest du eigentlich sagen, dass es wirklich ein schönes Wetter heute ist. So beginnt man ein Gespräch, wenn man nicht weiß, was man sich zu sagen hat."

      "Tut mir leid, dass wusste ich nicht.", antwortete die Gestalt verwirrt. "Ich habe schon sehr lange kein Gespräch mehr geführt."

      Nekat drehte sich zu seinem Nachbarn und sah Justaka direkt in seine in tiefem Rot leuchtenden Augen. Die Magie brannte stark in ihm. "Das glaube ich."

      "Kann ich nicht