»Das ist kein Mensch, du Hornochse. Das ist ganz offensichtlich der Zwerg, den ich erwarte – etwas größer als der Durchschnittszwerg vielleicht, aber ganz klar ein Zwerg.«
Er wandte sich von seinem nun doch reichlich verblüfften Untergebenen ab und mir zu.
»Seien Sie willkommen, Mister ...«, er dachte kurz nach, »Large war der Name, nicht wahr?«
»Richtig«, erwiderte ich und stieg aus meinem Sattel. »Gungo Large! Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Mit einer kurzen Handbewegung gab Athuro seinem Angestellten zu verstehen, dass dessen Typ hier nicht mehr gefragt war. Dieser gab seinem Pferd daraufhin auch die Sporen. Wahrscheinlich würde er sich nun jemanden suchen, der seine Verletzung versorgen würde und ganz gewiss würde sich derjenige auch das Leid des Zwerges in allen Einzelheiten anhören müssen.
»Eine wirklich beeindruckende Ranch haben Sie, Colonel«, bemerkte ich, während ich meinen Gaul an einem Pfahl vor der Veranda festband. »Aber welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um hier eine Anstellung zu finden? Muss man das Ergebnis generationsübergreifender Inzucht sein?«
Don Athuro grinste. »Ich gebe zu, dass einige meiner Leute nicht viel mehr im Kopf haben als das Vieh, das sie hüten sollen. Für die meisten Arbeiten, die hier anfallen, ist das auch gar nicht notwendig. Das ist allerdings auch einer der Gründe, weshalb Sie hier sind, Mister Large. Aber kommen Sie doch ins Haus, wir haben viel zu bereden.«
Ich ging die Veranda hinauf zum Eingang und er öffnete die wohl gewaltigste Haustür, die ich in meinem Leben jemals erblickt hatte. Nachdem ich sie durchschritten hatte, verschlug es mir angesichts der riesigen Eingangshalle für einen Moment die Sprache.
Diese Eingangshalle hatte den Namen Halle wahrlich verdient. So hoch wie das Innere einer Kirche oder eines Tempels, reichte sie über zwei Stockwerke. Von der gewölbten, stuckverzierten Decke herab hing ein Kronleuchter, der aus Tausenden von funkelnden Glasperlen oder Edelsteinen zu bestehen schien. So wie ich Don Athuro einschätzte, waren es aber wohl eher Edelsteine. Der Boden aus feinstem Marmor, hier und da mit teuer aussehenden Teppichen belegt, erstreckte sich vor mir über viele Meter hinweg bis zur gegenüberliegenden Seite. Dort führten links und rechts zwei breite, gebogene Treppen auf eine Galerie, von der aus man die Räume des ersten Etage erreichen konnte.
Was meine Blicke aber als Erstes auf sich zog, war das ausgesprochen lebensecht wirkende Präparat eines schneeweißen Einhorns. Dieses stand auf einem goldenen Sockel zwischen den zwei Treppen und begrüßte jeden Neuankömmling majestätisch auf seinen Hinterbeinen stehend. Selbst das lange, gewundene Horn ragte noch aus seiner Stirn – eine nahezu unbezahlbare Rarität, da diese Hörner aus diversen Gründen heiß begehrte Objekte unter wohlhabenden Menschen- und Zwergenfrauen waren.
Gerne noch hätte ich das Herrenhaus weiter besichtigt, wäre durch die luxuriösen Zimmer gewandert und hätte mir die zahlreichen, kostbaren Gemälde an den Wänden oder die vielen anderen Dekorationsobjekte angesehen. Doch dies blieb mir leider verwehrt. Der Colonel führte mich umgehend in sein Arbeitszimmer, welches als erster Raum nach der Eingangstür links von der Eingangshalle abging.
»Nehmen Sie doch Platz«, bat mich Don Athuro und deutete auf einen der zwei Sessel, die vor einem lodernden Kamin standen.
Ich nahm meinen Hut ab und kam seiner Bitte nach. Dann sah ich mich in dem Raum um, der das Büro von Bürgermeister Honesty in meiner Erinnerung wie eine Besenkammer wirken ließ. Auch der Schreibtisch des Colonels war um ein Vielfaches größer und wohl auch wertvoller als der seines Cousins. Das Ding war fast schon lächerlich groß, so groß, dass es noch nicht mal zur Hälfte in das Zimmer gepasst hätte, welches ich in Copperhole bewohnt hatte.
Doch Don Athuro setzte sich nicht hinter sein vierbeiniges Statussymbol. Er ging zu einem großen Globus neben dem Kamin und klappte dessen obere Hälfte auf, sodass eine breite Auswahl verschiedenster Flaschen zum Vorschein kam.
Der Colonel nahm eine dieser Flaschen heraus.
»Wie wäre es mit einem Glas?«, fragte er, nachdem er einen kurzen Blick auf das Etikett geworfen hatte.
»Von mir aus kann es auch die ganze Flasche sein«, erwiderte ich.
»Ja, davon habe ich gehört.« Athuro befüllte ein Glas – oder besser gesagt ein Behältnis aus kostbarem Kristall – und reichte es mir. »Von Ihrer, sagen wir mal, Vorliebe zu hochgeistigen Getränken, meine ich.«
Er nahm mir gegenüber auf dem anderen Sessel Platz.
»Mein Cousin hat mir bereits einiges über Sie erzählt. Sofort nachdem ich ihm mein Anliegen vorgetragen hatte, erwähnte er Ihren Namen. Sie wären genau der Richtige, meinte er: Kriegsveteran, ein hervorragender Schütze und nicht unbedingt auf den Kopf gefallen. Leider jedoch würden Sie dem Genuss von Alkohol in etwas zu hohem Maße zusprechen.«
»Ich bin ein Säufer«, brachte ich seine Ausführungen auf den Punkt. »Ist das ein Problem?«
Athuro verneinte. »Für mich nicht, solange es Ihre anderen, positiven Eigenschaften nicht beeinflusst.«
»Hat es nie.« Ich nahm einen Schluck. Der mit Abstand beste Whisky, der jemals meine Zunge überquert und meine Geschmacksknospen liebkost hatte, bahnte sich seinen Weg in meinen Magen.
Das wohlige Gefühl, für das er dort sorgte, übertraf die angenehme Wärme des Kaminfeuers bei Weitem.
»Hat Ihr Cousin auch erzählt, dass ich ein ungehobelter und zudem sehr ungeduldiger Kerl bin?« Ich hoffte, diese Bemerkung würde den Colonel dazu bewegen, sich kurzzufassen. Er schien jedoch ein Zwerg zu sein, der sich sehr gerne selbst beim Reden zuhört.
»Kennen Sie das Lied vom Troll, Mister Large?«, fragte er dann auch meiner Meinung nach wenig zielführend.
Ich sah ihn von dieser Frage etwas verwirrt an. »Ja, es ist ein altes zwergisches Lied, das meist zu späterer Stunde in den Saloons gegrölt wird.«
Don Athuro lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Singen Sie es mir doch einmal vor.«
Ich lachte kurz und laut auf. »Auf gar keinen Fall! Selbst wenn Sie Ihren ganzen Globus leer getrunken hätten, würden Sie das nicht ertragen!«
»Dann rezitieren Sie doch mal den Text«, bohrte Athuro weiter.
Auch das lehnte ich ab. »Den kenne ich nicht so genau. Wenn Sie mich aber unbedingt als Alleinunterhalter engagieren wollen, könnte ich Ihnen das Lied vom Baumwollaugen-Joseph vortragen.«
Der Colonel winkte ab. »Nein, darum geht es nicht.«
Er erhob sich aus seinem Sessel und mit dem Glas in der Hand begann er, auf und ab zu gehen. Irgendwie musste dieses Verhalten wohl in der Familie liegen.
»Wissen Sie, in dem Lied vom Troll geht es um die verhängnisvolle Verbindung zweier unterschiedlicher Rassen. Ein Troll verliebt sich in eine Ogerfrau und allen Widrigkeiten zum Trotz finden sie am Ende zusammen. Das Kind jedoch, welches aus dieser Verbindung entsteht, ist ein blutrünstiges, hirnloses Monster, das alles zerfleischt, was seinen Weg kreuzt.
Verstehen Sie, Mister Large? Dieses Lied ist eine Mahnung. Es ist eine Warnung, dass die Vereinigung unterschiedlicher Gattungen nur Übles und Böses hervorbringen kann.«
Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen und seufzte. »Leider gibt es nun auch in meiner Familie eine solch unheilvolle Verbindung. Meine Stieftochter – Gundel – hat sich in einen Elfen verliebt.« Ein Anflug von Zorn verfinsterte seine Miene. »Ausgerechnet in einen Elfen, in einen der Wilden, die ich mein Leben lang bekämpft habe!« Im Gesicht des Colonels gaben sich die Gefühlsregungen die Klinke in die Hand. Nun war es der Ausdruck von Abscheu, der darin erschien. »Ein Zwergenmädchen und ein Elf – was kann es Absurderes, Widernatürlicheres geben? Ich habe keine Ahnung, wie sie sich kennengelernt haben, aber natürlich haben wir ihr sofort den Umgang mit diesem spitzohrigen Lumpen untersagt. Es ging sogar so weit, dass wir sie in ihrem Zimmer einsperren und