»Wie heißt du eigentlich?«, wollte ich wissen.
»Merluzo Fuerte de la Raqueta«, lautete die Antwort.
»Und wie nennen dich deine Freunde?«
»Merluzo Fuerte de la Raqueta.«
Er hatte wohl keine Freunde, nahm ich an.
Nicht Willens, mir eine solche Litanei zu merken, entschied ich mich, ihn fortan Merl zu nennen.
»Dann hol mal dein Pferd, Merl, wir brechen sofort auf.«
7
Der Schwarze Vorsitzende hatte die materielle Welt verlassen.
Er spürte weder seinen Körper, der irgendwo an einem schwach beleuchteten Ort auf dem Boden saß, noch registrierte er irgendwas von dem, was um selbigen herum geschah. Natürlich hatte er vorher für die Sicherheit seines Leibes gesorgt und sämtliche Möglichkeiten einer Störung ausgeschlossen. Unsichtbare magische Fallen, die jedes nahende Lebewesen sofort zu Asche verwandeln würden, hatte er um sich herum positioniert. Zudem umgab ein Kraftfeld seinen Körper, das kein auf dieser Welt bekanntes Material durchdringen konnte. Wahrnehmbare Geräusche hatte er mittels Watte in den Ohren auf ein Minimum reduziert. Nur so war es ihm möglich, alle äußeren Sinnesreize zu blockieren und seinen Geist derart zu fokussieren, dass dieser sich gänzlich von der realen Welt und seiner fleischlichen Hülle lösen konnte.
Leicht war es dem Schwarzen Vorsitzenden trotzdem nicht gefallen, diese Reise bei Tag und zu solch ungewohnter Stunde anzutreten. Er zog es vor, solcherlei Tätigkeiten in der Stille der Nacht auszuüben. Die dafür unbedingt notwendige Konzentration konnte er dann wesentlich müheloser aufbringen. Zudem quälte ihn des Nachts nur selten seine Migräne, die ihn schon seit frühester Kindheit tagsüber oftmals heimsuchte.
Nahezu alle namhaften Heilkundigen Avaritias hatte er bereits konsultiert, um diese hämmernden, unregelmäßig auftretenden Schmerzen in seinem Schädel loszuwerden. Druiden, Schamanen und andere Zauberwirker der unterschiedlichsten Rassen hatten ihre Heilzauber schon auf ihn gewirkt. Doch nichts hatte ihn von dieser Geißel befreien können.
Wahrscheinlich war es die enorme magische Kraft in ihm, die diesen Schmerz verursachte – diese Vermutung hatte einst ein Medizinmann der Bergtrolle geäußert. Dessen Ausführungen zufolge reizten die pulsierenden, mystischen Energien von Zeit zu Zeit die Nerven seines sterblichen Körpers. Selbiger war angeblich gar nicht für so machtvolle Magie geschaffen. Nur ein untoter Magier – mindestens Level einhundert – wäre imstande, solch ungeheure Kräfte problemlos zu ertragen, so hatte es ihm der Medizinmann erklärt. Linderung hatte dieser ihm allerdings auch nicht verschaffen können und so hatte sich der Schwarze Vorsitzende letztendlich mit dieser Bürde abgefunden. Das Verlegen seiner Aktivitäten in die Nacht war ihm dabei, wie bereits erwähnt, sehr hilfreich.
Doch leider hatte er das rhythmische Vibrieren seiner Ohrläppchen diesmal schon am frühen Nachmittag verspürt. Es hatte ihm signalisiert, dass irgendjemand Kontakt mit ihm aufzunehmen versuchte.
Etwas verärgert über diesen Umstand und erst nach einer halben Stunde krampfhafter Bemühungen hatte er sein Bewusstsein von seinem Leib lösen können. Nun schwebte selbiges in jener fremdartigen Dimension, die mit herkömmlichen Worten unmöglich zu beschreiben war.
Weder Zeit noch Raum existierten in dieser Dimension. In ihr gab es weder hell noch dunkel, weder oben noch unten, weder warm noch kalt. Und einen anständigen Drink bekam man dort natürlich auch nirgendwo.
Wie schon erwähnt – einfach nicht zu beschreiben.
Hätte es dort so etwas wie Zeit gegeben, der Schwarze Vorsitzende hätte einiges davon wartend verbracht, bevor er endlich die Anwesenheit einer anderen Person verspürte. Sehen konnte er diese andere Existenz natürlich nicht. Er nahm die Aura des anderen Bewusstseins war, so wie man in der normalen Welt auch die Wärme eines Körpers erfühlen kann. Die Charakteristik dieser Aura war ihm jedoch nicht bekannt.
»NY152, bist du es?«, fragte die andere Präsenz, wobei diese Art der Kommunikation selbstverständlich nichts mit herkömmlichem Reden gemein hatte. Es war eine rein mentale Übermittlung von Gedanken. Der Schwarze Vorsitzende begriff, dass es sich bei der anderen Existenz lediglich um eine junge Waldnymphe handelte, die diese Dimension als Partnerbörse missbrauchte.
»Verpiss dich!«, erwiderte er, woraufhin das fremde Bewusstsein beleidigt entschwand. Zwei weitere Begegnungen dieser Art musste der Magier über sich ergehen lassen. Er stellte verärgert fest, wie viele Idioten zu dieser Tageszeit diese Sphären bevölkerten. Als ihm ein weiteres Bewusstsein eine Penisverlängerung anbot, platzte ihm der Kragen. Da er auch in dieser Dimension über seine Fähigkeiten verfügte, vernichtete er die aufdringliche Existenz ohne viel Aufhebens. Irgendwo auf dieser Welt sackte wohl nun ein lebloser Körper ohne Seele – aber mit großem Gemächt – in sich zusammen.
Danach verspürte er endlich die Anwesenheit eines ihm bekannten Bewusstseins. Schon oft hatte er sich mit dieser Person in dieser fremdartigen Umgebung getroffen.
»Sie sind es«, stellte er fest. »Was ist so dringend, dass Sie mich am helllichten Tag damit belästigt?«
»Verzeiht, Vorsitzender«, bat die andere Existenz unterwürfig. »Ich weiß ja, dass Sie diesen Ort tagsüber nur ungern besuchen. Es hat sich jedoch etwas ereignet, das Einfluss auf unsere Pläne haben könnte. Es erschien mir ratsam, Sie schnellstmöglich davon in Kenntnis zu setzen.«
»Dann nur raus mit der Sprache«, forderte der Vorsitzende, was in diesem Umfeld natürlich aus bereits erwähnten Gründen völlig unangebracht war.
»Der Colonel hat jemanden losgeschickt, um Gundel zu suchen. Er soll ins Land der Moonytoads reisen und dort seine Suche beginnen.« Das andere Bewusstsein strahlte eine Besorgnis aus, die der Vorsitzende nicht teilen konnte.
»Na und? Damit war doch zu rechnen! Es hätte mich eher gewundert, wenn der alte Sack nichts unternommen hätte. Ist doch rührend, wie sehr er sich um seine Stieftochter sorgt.«
»Er schickt aber keinen seiner trotteligen Cowboys«, gab die andere Präsenz besorgt zu bedenken. »Er hat einen Zwerg namens Gungo Large engagiert und dieser Typ scheint nicht ganz so bescheuert zu sein. Er ist zwar ein hoffnungsloser Säufer und eine gescheiterte Existenz, doch ein paar Gehirnzellen scheinen seine Saufgelage überlebt zu haben. Ich habe bereits einen meiner Spione auf ihn angesetzt. Kaum auszudenken, was dieser Large auf seiner Suche so alles über uns herausfinden könnte!«
Der Schwarze Vorsitzende antwortete nicht sofort. Gungo Large – dieser Name brachte etwas in ihm zum Klingeln, eine kleine Alarmglocke in seiner Erinnerung, die aus unerklärlichen Gründen zu schlagen begann. Irgendwie, irgendwo, irgendwann hatte er diesen Namen schon einmal gehört. Doch so sehr er sich auch bemühte, Ort und Zeit dieser Begebenheit wollten ihm einfach nicht einfallen. Allein die Tatsache jedoch, dass ihm dieser Name bekannt vorkam, ließ die Besorgnis des anderen Bewusstsein doch nicht so ganz unbegründet erscheinen. Der Schwarze Vorsitzende merkte sich keine Namen von unwichtigen Personen. Wenn er so etwas tat, dann musste diese Person auf irgendeine Art und Weise Eindruck auf ihn gemacht haben. Und wenn jemand Eindruck auf ihn machen konnte, dann konnte er auch eine Bedrohung darstellen.
Selbst auf die Gefahr hin, dass er niemals in Erfahrung bringen würde, wie dieser Name den Weg in sein Gedächtnis gefunden hatte, entschloss er sich, dieses potentielle Risiko zu eliminieren.
»Dann sollte sich jemand um Mister Large kümmern«, stellte er fest. »Wo befindet er sich zurzeit?«
»Er ist auf dem Weg nach Hoochtown, von dort will er mit der Eisenbahn nach New Solitude weiterreisen.«
Die Aura des Vorsitzenden verfinsterte sich. Dies konnte man natürlich nicht sehen, sondern nur wie eine Art unheilvoller Ausstrahlung spüren. So, wie manche Wesen es fühlen können, wenn ihnen irgendein Unheil droht.
»So