Jahr der Ratten. L.U. Ulder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.U. Ulder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738017168
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er Valeries erstaunten Blick, er schien förmlich auf eine Reaktion seiner deutschen Kollegin gewartet zu haben.

      „Ich habe mir gestattet, mein Büro mit ausrangierten Möbeln ein wenig persönlicher zu gestalten. Hier verbringe ich schließlich einen großen Teil meines Lebens, und dieser unpersönliche Behördenschnickschnack ist überhaupt nicht mein Ding. Schlimm genug, dass ich hier fast den ganzen Tag eingesperrt bin“, fügte er spitzbübisch dazu.

      Er ergriff ihre Hand und schaute in ihre Augen. Valerie zuckte unmerklich, nur mit Mühe konnte sie den Reflex unterdrücken, die Hand zurückzuziehen.

      „Leving“, sinnierte er nachdenklich.“Ist das Ihr Geburtsname oder haben Sie ihn nach der Heirat angenommen?“

      Als konnte er in ihren Gedanken wie in einem Buch lesen, schüttelte er den Kopf und lachte glucksend.

      „Nein, Sie verstehen mich falsch. Ich erkundige mich bei jedem, den ich treffe, nach seinem Namen. Nun ja, vielleicht nicht wirklich bei jedem. Aber Ihr Name ist hochinteressant.“

      „Finden Sie. Ich halte ihn eher für nichtssagend.“

      „Aber um Himmelswillen. Haben Sie sich nie für Genealogie interessiert?“

      Jetzt lachte auch Valerie.

      „Ich weiß noch nicht einmal genau, was das ist, wie soll ich mich dafür interessieren.“

      „Nachdem sie angerufen hatten, habe ich sofort meine Bücher gewälzt, ich konnte gar nicht mehr ruhig sitzen. Das geht mir jedes Mal so, wenn ich einen neuen Namen höre. Ahnen- und Familienforschung ist eine meiner Leidenschaften. Woher stammen ihre Eltern?“

      Obermeier war nicht mehr zu bremsen.

      „Mein Vater ist in Hamburg aufgewachsen, meine Mutter auch. Das heißt, Moment, sie hat einige Jahre in Italien gelebt, aber sie ist auch in Hamburg geboren.“

      „Leving. Ein norddeutscher Name mit einer Konzentration in Richtung Niederlande. Haben Sie dort Verwandte? Moment, Sie kommen doch aus Den Haag.“

      Valerie grinste amüsiert und schüttelte den Kopf.

      „Den Haag ist nur der Sitz von Europol. Ich stamme ebenfalls aus Hamburg, wie meine Eltern.“

      „Leving ist abgeleitet von Leeuwerik“, ließ der Österreicher nicht locker. „Das bedeutet Lerche. Ein fröhlich trillernder Mensch, den nichts umwerfen kann.“

      Wenn du wüsstest, wie fröhlich ich ständig bin, dachte Valerie in einem Anflug von Sarkasmus.

      Besonders in letzter Zeit.

      „Ich könnte mich noch stundenlang mit Ihnen über Ihren Namen unterhalten. Sie glauben nicht, zu welchen überraschenden Ergebnissen man kommt, wenn man sich ernsthaft mit diesem Thema beschäftigt. Aber ihr Besuch hat ja leider einen anderen Grund“, wechselte er unvermittelt das Thema und wandte sich seinem Schreibtisch zu.

      Valeries Blick wanderte derweil durch den Raum.

      An den Wänden hingen mehrere Bilder, aufwendig gerahmte Kunstdrucke alter Meister. Interessiert schaute sich Valerie um, sie erkannte zwei Monet an den verschwimmenden Konturen. Daneben hing „Die Versuchung des heiligen Antonius“ von Dali.

      Ein Bild in einem kleinen Rahmen, winzig klein und wegen seiner dunklen Grundfarben unscheinbar wirkend zwischen den großen, kraftvollen Bildern, fesselte plötzlich ihre ganze Aufmerksamkeit. Beinahe wäre ihr Blick achtlos vorüber geschweift. Neugierig trat sie einen Schritt näher. Obermeier war ihr Interesse nicht entgangen. Gebannt blieb er mitten in der Bewegung hinter seinem Schreibtisch stehen und beobachtete seinen Gast.

      Schön. Anrührend und schön zugleich.

      Ein kleines Mädchen. Selbstbewusst stand es da, die Hände in den Manteltaschen, die Füße steckten in schweren Stiefeln, schaute es trotzig zwischen gelocktem, blonden Haar und einer schwarzen Kappe hervor und wirkte dabei doch so zerbrechlich und zart. Azurblauer Mantelstoff. Ein perfekter Lichteffekt, ein die Sonne reflektierender Punkt auf dem braunen Lederstiefel gab dem Porträt die Authentizität einer Fotografie.

      „Das bin ich“, sagte Valerie und drehte sich zu Obermeier um, der verblüfft dreinschaute.

      „Oder besser gesagt mein Alter Ego.“

      Obermeiers Gesicht war ein einziges Fragezeichen, aber er schwieg weiter. Die Arme vor der Brust verschränkt wartete er gespannt auf ihre Erklärung.

      „Das kleine blaue Mädchen, so haben wir es jedenfalls in der Familie genannt. Als ich es zum ersten Mal gesehen habe, musste ich unbedingt so einen blauen Mantel haben und ich habe nicht eher Ruhe gegeben, bis ich ihn endlich bekommen hatte. Skagen, das Museum am nördlichsten Punkt Dänemarks, dort hängt es im Original und es ist ein Kroyer, nicht wahr? Peder Severin Kroyer. Ich habe mich immer gefragt, wie er wohl diese Lichtspiegelungen hinbekommen hat, auf seinen anderen Bildern wie dem Strandspaziergang sind sie noch wesentlich ausgeprägter.“

      Der Hauptmann zog die Augenbrauen hoch.

      „Dass jemand mein Lieblingsbild kennt“, sinnierte er mehr für sich. „Sie sind die Erste überhaupt, die dieses Bild und den Maler aus dem Stegreif kennt. Wie kommt das? Die Mehrzahl der Polizeibeamten sind eher nicht ....“

      Er druckste herum, wollte den Satz nicht beenden.

      Sie verstand sofort, worauf er hinaus wollte und sprang ihm ins Wort.

      „Ich bin oft in der Gegend von Skagen gewesen, zuerst mit meinen Eltern, später dann allein oder mit Freunden. Ich stamme aus Hamburg, da ist die Entfernung nicht ganz so groß. Dort oben kann man wunderbar surfen, wenn man sich weit genug von der Spitze fernhält. Die Strömung, wissen Sie? Und wenn einen mal der Westwind im Stich lässt, ist es nur ein Katzensprung und schon ist man an der Ostsee.“

      Wieder schien ihr Blick ihre Gedanken verraten zu haben.

      „Wissen Sie, wenn man diese Berge ständig vor den Augen hat. Exotisch ist immer das, was man nicht hat.“

      Er lachte dabei und schob eine ganze Reihe von Bilderrahmen zur Seite, um Platz auf der Schreibfläche für seine Akten zu schaffen. Ehefrau, Kinder, Enkelkindern, Kinder mit Hunden und Kinder mit Katzen.

      Nachdem Kaffee in den Tassen dampfte, wurde er ernst. In wenigen Worten informierte er sie über die knappen Fakten mit und reichte ihr eine dünne Akte.

      Aber viel gab es ohnehin nicht zu sagen. Ein Motorradfahrer, in einer Kurve gestürzt und über das Hochbord in die Schlucht gestürzt.

      „Sehen Sie selbst, dafür hat sich Ihre Fahrt sicher nicht gelohnt. Wie kommt es überhaupt, dass sich jemand von Europol für einen Unfall bei uns interessiert? Mir ist neu, dass Europol Mitarbeiter für Außenermittlungen hat.“

      „Es wird einiges umstrukturiert, ich bin eine der ersten Mitarbeiterinnen“, log Valerie und fühlte sich unwohl, ausgerechnet diesen Kollegen anzulügen, der sie so freundlich aufgenommen hatte.

      „Ich untersuche mehrere Todesfälle von Soldaten, die in einer Einheit zusammen Dienst gemacht haben.“

      Sie wollte nicht noch weitere Notlügen gebrauchen und Obermeier gab sich damit zufrieden.

      „Gab es denn irgendetwas Ungewöhnliches in Verbindung mit diesem Unfall?“

      „Nein, überhaupt nicht. Er hat sich bei dem Sturz das Genick gebrochen. Vielleicht ist auch das Motorrad noch auf ihn gestürzt. Er hatte eine Vielzahl von Verletzungen, das Übliche bei einem derartigen Unfall. Aber tödlich war der Genickbruch.“

      „Gab es sonst noch Auffälligkeiten an diesem Tag, etwas, das aus dem Rahmen fiel?“

      Er lächelte sie nachsichtig an.

      „Meine Liebe, Unfälle wie dieser hier sind unser Tagesgeschäft. Die Strecke ist ein Magnet. Sie kommen allein oder in Gruppen, fahren ihre Rennen mit den abenteuerlichsten Maschinen und überschätzen sich dabei immer wieder. Es reichen ein paar kleine Steinchen auf der Fahrbahn aus. Durch die Temperaturunterschiede